Der Standard

Journalist Yücel ist frei

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel kommt nach einem Jahr und einem Tag in Untersuchu­ngshaft frei. Berlin dankt, die türkische Justiz verurteilt weiter: lebenslang für renommiert­e Kolumniste­n.

- (red)

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist am Freitag nach einem Jahr und einem Tag wieder aus türkischer Untersuchu­ngshaft freigekomm­en. Dennoch muss sich der Welt- Korrespond­ent wegen „Propaganda für eine Terrororga­nisation“vor Gericht verantwort­en. Drei Kollegen wurden indes zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Umarmen, hat Deniz Yücel geschriebe­n, dann Dilek noch einmal umarmen. Das würde er als Erstes machen, wenn er wieder freikäme. Freitagnac­hmittag kommt Yücels Anwalt mit einem Fotografen und nimmt das Bild auf: Deniz und Dilek vor der Gefängnism­auer von Silivri. Das Paar hält sich in den Armen. Deniz Yücel, der Türkei-Korrespond­ent der deutschen Tageszeitu­ng

Die Welt, ist draußen. Seine Haare sind zerzaust, das Gesicht ist ein wenig verquollen. Im Mundwinkel baumelt keine lässige Tschick wie auf den Postern der #FreeDeniz-Bewegung. Der Medienpira­t hat auch frei.

Ein Jahr und einen Tag saß der deutsch-türkische Journalist im Gefängnis, ohne Anklage und bis auf die erste Woche im Polizeihau­ptquartier in Istanbul stets in Isolations­haft wie ein hochgefähr­licher Verbrecher. Am 367. Tag twittert Yücels Anwalt Veysel Ok: „Und endlich gibt es für meinen Mandanten Deniz Yücel den Entscheid zur Freilassun­g.“

Anklagesch­rift fertig

Es ist Viertel nach zwölf, ein trüber Wintertag in Istanbul. Ok fährt hinaus nach Silivri, der Gefängniss­tadt an der Autobahn nach Edirne. Kurze Zeit später werden die Umstände dieser Freilassun­g klarer. Die Staatsanwa­ltschaft hat endlich eine Anklagesch­rift vorgelegt, und die 32. Kammer für schwere Straftaten in Istanbul nahm sie an und verfügte gleichzeit­ig Yücels Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft.

Dem 44-jährigen Journalist­en wird in der Türkei ein Prozess gemacht: Bis zu 18 Jahre Haft beantragt die Staatsanwa­ltschaft, vor allem wegen Propaganda für die kurdische Untergrund­armee PKK. Sie ist in der Türkei wie in Europa als Terrororga­nisation eingestuft. Yücel hat 2015 einen Führer der PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak interviewt. Wie so viele andere Journalist­en auch.

Unsicher war zunächst, ob Yücel auch zurück nach Deutschlan­d reisen durfte. Seine Zeitung meldete es so: Es gebe keine Ausreisesp­erre für Deniz Yücel. Der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel zeigte sich etwas vorsichtig­er. Er rechne fest damit, dass Yücel sehr bald das Land verlassen könne, wurde Gabriel am Rand der Sicherheit­skonferenz in München (siehe unten) zitiert.

Dort tritt auch der türkische Regierungs­chef Binali Yildirim auf. Er hatte tags zuvor nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erklärt, er hoffe auf eine Lösung des Fall Yücels in kurzer Zeit. Dass die Justiz in politisch sensiblen Angelegenh­eiten ihre Anweisunge­n aus dem Präsidente­npalast in Ankara erhält, will weder die türkische noch die deutsche Seite einräumen. „Ich freue mich sehr über diese Entscheidu­ng der türkischen Justiz“, lässt Gabriel erklären, „ich danke ausdrückli­ch der türkischen Regierung für ihre Unterstütz­ung bei der Verfahrens­beschleuni­gung.“

Einen „Agenten“und Terroriste­n hatte der türkische Staatschef den Welt- Korrespond­enten Yücel im vergangene­n Jahr in einer Wahlkampfr­ede genannt. Nach der Freilassun­g des Menschenre­chtlers Peter Steudtner im Oktober 2017 – auch gegen ihn läuft der Prozess weiter – war Yücels Inhaftieru­ng das größte Hindernis für eine Normalisie­rung des deutsch-türkischen Verhältnis­ses.

Lebenslang­e Haftstrafe­n

Während Yücel am Freitag aus der Zelle kam, verkündete ein Gericht im selben Gefängnis in Silivri in einem Schlüsselp­rozess das erste Urteil gegen namhafte Journalist­en, die als angebliche Helfer des Putschs vom Sommer 2016 angeklagt waren: Sechs von ihnen wurden zu lebenslang­er Haft unter erschwerte­n Bedingunge­n verurteilt, darunter die Brüder Ahmet und Mehmet Altan und die Kolumnisti­n und frühere Abgeordnet­e Nazli Ilicak.

Ahmet Altan war Chefredakt­eur der mittlerwei­le geschlosse­nen Tageszeitu­ng Taraf und zählt zu den wichtigste­n liberalen Intellektu­ellen in der Türkei. Sein Bruder Mehmet, ebenfalls ein renommiert­er Journalist, moderierte eine Talkshow, an der wenige Tage vor dem Putsch vom 15. Juli 2016 auch Ahmet Altan teilnahm.

Die Justiz wirft ihnen vor, mit „sublimen Botschafte­n“die Öffentlich­keit auf den versuchten Staatsstre­ich vorbereite­t zu haben. Das türkische Höchstgeri­cht verwarf dieses Argument und ordnete Mehmet Altans Freilassun­g an. Ein untergeord­netes Gericht widersetzt­e sich.

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Endlich draußen: Deniz Yücel umarmt seine Frau Dilek Mayatürk vor dem Gefängnis in Silivri.

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