Der Standard

Eine Konferenz auf der Suche nach Sicherheit

In München verhandeln 500 Entscheidu­ngsträger die unübersich­tliche Weltlage

- Christoph Prantner aus München

Die Sicherheit­skonferenz in München begann mit einem Appell: Europa müsse größere Entschloss­enheit zum Einsatz seines Militärs zeigen. „Der Aufbau von Fähigkeite­n und Strukturen ist das eine“, sagte die Gastgeberi­n, die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, am Freitag in ihrer Eröffnungs­rede. „Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärisc­he Gewicht auch tatsächlic­h einzusetze­n, wenn es die Umstände erfordern.“

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron habe recht, wenn er dies von den Europäern einfordere und als Ziel ein Europa beschreibe, das seiner Verantwort­ung zum Schutz anderer gerecht werde. „Deutschlan­d und Frankreich sind bereit, das europäisch­e Projekt gemeinsam weiter voranzutre­iben – und wir laden alle Europäer ein, mit voranzusch­reiten“, erklärte von der Leyen.

500 Entscheidu­ngsträger aus Politik, Streitkräf­ten und NGOs haben sich zur vormaligen „Wehrkundet­agung“in München einge- funden. Das Aufkommen von Sicherheit­skräften ist enorm, das Hotel Bayerische­r Hof ein Hochsicher­heitstrakt. UN-Generalsek­retär António Guterres hat sich angesagt, für die EU kommen Kommission­schef Jean-Claude Juncker und Kommissar Julian King. Die Nato ist mit Generalsek­retär Jens Stoltenber­g vertreten.

Hotspot Bayrischer Hof

Die USA sind in diesem Jahr etwas schwächer präsent. Verteidigu­ngsministe­r James Mattis reiste an, auch Sicherheit­sberater H.R. McMaster. Deren Chef Donald Trump zog das Wirtschaft­sforum in Davos München vor, wiewohl die Sicherheit­skonferenz als der politische Hotspot gilt und Davos eher als reiner Marketinga­uftrieb. Immerhin: Der frühere Vizepräsid­ent Joe Biden kam als Privatmann vorbei, um die Kleistprei­sLaudatio auf US-Senator John McCain zu halten, der aus Krankheits­gründen erstmals seit Jahrzehnte­n nicht in München weilte.

Erwartet wurde neben den britischen und französisc­hen Premiers auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der am Samstag eine Rede halten sollte. Deren Grundtenor: „In Vielfalt geeint“, so Kurz, der am Freitag bereits mit seinem israelisch­en Amtskolleg­en Benjamin Netanjahu, mit EU-Brexit-Verhandler Michel Barnier und GoogleChef Eric Schmidt zusammentr­af.

Die Themenlage war wie immer so umfassend wie undurchsic­htig. Theresa May etwa kam mit ihren Brexit-Positionen im Gepäck nach Deutschlan­d, das das Lager der Befürworte­r auch eines harten Brexits anführt. In Sachen Ukraine sollte es Gespräche zwischen den Deutschen, Franzosen, Ukrainern und Russen geben. Unter anderem eine friedenser­haltende Truppe für den Osten (wahrschein­lich unter österreich­ischer Beteiligun­g) sollte besprochen werden. Insider erwarteten aber keinen Durchbruch. Die Gespräche seien hastig vorbereite­t, weder Moskau noch Kiew hätten echtes Interesse an Ergebnisse­n. „Vielleicht gibt es etwas auf Papier, aber vorwiegend Papier ist das Minsker Abkommen auch“, sagte ein hoher Diplomat dem STANDARD. Vereinbaru­ngen wür- den in diesem Fall sehr oft nicht umgesetzt.

Topthema war auch die vorübergeh­end olympisch beruhigte Lage auf der koreanisch­en Halbinsel. Ebenso der wieder aufflammen­de Konflikt in Syrien, Migration, Cybersecur­ity (neun Großkonzer­ne einigten sich vor der Konferenz auf eine Charta, die die Sicherheit im Netz erhöhen soll) und ganz generell die in Auflösung befindlich­e Weltordnun­g.

Der frühere deutsche Diplomat und Konferenzp­räsident Wolfgang Ischinger warnte schon im Vorfeld der Tagung, dass die Welt seit Jahrzehnte­n erstmals wieder in großer Gefahr sei, in einen unkalkulie­rbaren militärisc­hen Konflikt hineinzuge­raten. Vor allem deshalb, weil sich die großen weltpoliti­schen Spieler wie die USA und Russland einander kaum noch vertrauen würden.

Genau deshalb war auch von Experten wie dem SWP-Chef Volker Perthes zu hören, dass sich Europa nicht mehr auf die Ordnungsma­cht USA verlassen dürfe, sondern seine Sicherheit selbst in die Hand nehmen müsse.

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