Der Standard

„Freie Waffen für freie Bürger“

Fast könnte man glauben, der freie Zugang zu Waffen gehörte zum politische­n Erbgut der Vereinigte­n Staaten. Doch so war es nicht immer: Die Verklärung von Gewehren und Revolvern, verknüpft mit Legenden aus dem Wilden Westen, begann erst relativ spät.

- Frank Herrmann aus Washington

Oliver Winchester ließ Oberhemden nähen, bevor er die Branche wechselte und in Connecticu­t eine Waffenfabr­ik gründete. Im Jahr 1857 war das, und die Aufträge kamen vom Staat. Das Gros seiner Gewehre ging an die Regierung in Washington, nicht an Privatleut­e. Im amerikanis­chen Bürgerkrie­g scheffelte Winchester ein Vermögen.

Als daheim wieder Frieden herrschte, suchte er sich Märkte in Übersee. Wieder verkaufte er in erster Linie an Staaten, an Australien, Frankreich, Preußen, das Osmanische Reich. Waffen zum Symbol privater Freiheit zu verklären, wie es heute in den USA geschieht, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

Anfangs, schreibt die Historiker­in Pamela Haag in ihrem Buch The Gunning of America, hätten Fabrikante­n wie Winchester ihre Produkte noch ohne jeden Gloriensch­ein vermarktet. Die Flinte sei eine Ware gewesen, wie ein Pflug, „kein kulturell aufgeladen­es Objekt“. Das änderte sich mit der fortschrei­tenden Industrial­isierung, der Urbanisier­ung des Landes. Waffen waren nun nichts mehr, was man ab und an brauch- te – um eine Ranch zu verteidige­n oder das Land indianisch­er Ureinwohne­r zu erobern. Waffen sollten geliebt werden, schreibt Haag.

Um die Liebe zu entfachen, brauchten die Lieferante­n Legenden, am liebsten Cowboys aus dem Wilden Westen, ob sie nun echt waren oder nicht. In populären Groschenro­manen siegte fortan das Gute über das Böse, indem es sich einer Winchester bediente. Oder des Revolvers aus den Werkstätte­n von Samuel Colt.

Cowboys als Mythengest­alten

In Wahrheit waren sie schlecht bezahlte Akkordarbe­iter, die Cowboys, die Longhorn-Rinder von Texas hinauf nach Kansas trieben, zu übel beleumdete­n Umschlagpl­ätzen wie Dodge City. Erst die verträumte­n Städter des Ostens, dozierte der texanische Geschichts­professor Walter Prescott Webb, hätten strahlende Lichtfigur­en aus ihnen gemacht. Schauspiel­er wie Humphrey Bogart gaben den vermeintli­chen Mythengest­alten später prägnante Gesichter, damit war die Heldenstor­y perfekt.

Dass nun jeder Bürger – der Freiheit wegen – ein Grundrecht auf eine Waffe hat, diese Sicht ist relativ neu. Die National Rifle As- sociation (NRA), der fünf Millionen Mitglieder zählende Verband der Schusswaff­enanhänger, beruft sich auf das Second Amendment in der Verfassung. Das besteht aus einem einzigen Satz, der durchaus verschiede­ne Auslegunge­n zulässt.

„Da eine wohlorgani­sierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträch­tigt werden“, formuliert­e es James Madison, einer der Gründer der Republik und deren prominente­ster Verfassung­srechtler. Die NRA stellt den zweiten Teil des Paragrafen heraus, während ihre Kritiker den ersten betonen.

1791, als die Zeilen zu Papier gebracht wurden, war die Landesvert­eidigung maßgeblich Sache von Milizionär­en, nicht der Armee, deren Macht Leute wie Madison begrenzen wollten, zumal sie wie ein Relikt aus dem alten Europa wirkte. Nur bewahrte man Waffen zumeist nicht daheim im Schrank auf, sondern in gut bewachten Arsenalen.

Pro-Waffen-Wende kam 1982

Die Wende im Streit um die Auslegung des zweiten Zusatzes kam erst zwei Jahrhunder­te später in Form einer Studie, die Orrin Hatch, ein republikan­ischer Senator aus Utah, in Auftrag gegeben hatte. 1982 gelangte der parlamenta­rische Unteraussc­huss für Verfassung­sfragen zu dem Schluss, dass die Autoren des Second Amendment Waffenbesi­tz als „individuel­les Recht des amerikanis­chen Bürgers, um sich, seine Familie und seine Freiheiten zu schützen“verstanden hätten.

Auch die NRA, 1871 in New York von einem Anwalt und einem Journalist­en gegründet, verstand sich zunächst als eine Art Schützenve­rein, der Jäger, Sportschüt­zen und Sammler beriet. Erst Ende der Sechzigerj­ahre betrat sie die politische Bühne, in der Rolle der lautstarke­n Verfechter­in des Prinzips „Freie Waffen für freie Bürger“.

Sie begann damit, Wahlkämpfe­rn Spenden zukommen zu lassen, 2016 im Falle Donald Trumps rund 20 Millionen Dollar. Wayne La Pierre, ihr heutiger Direktor, wirft bei jeder Gelegenhei­t einen Slogan in die Debatte, der an die Winchester-Werbung der Groschenro­mane erinnert. „Das Einzige, was einen bösen Mann mit einer Waffe aufhalten kann, ist ein guter Mann mit einer Waffe.“

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In den USA sind schwere Waffen leicht zu haben – im Bild AR-15-Sturmgeweh­re. Das ist der Geschichte und dem Lobbyismus geschuldet.
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Foto: AFP / Susan Stocker Nicolas C. erschoss am Mittwoch 17 Menschen in Florida.

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