Der Standard

„Die FPÖ kann nun nicht mehr zurück“

- Gerald John

Die Freiheitli­chen verspreche­n eine Aufarbeitu­ng der rechtsextr­emen Traditione­n in ihrer Geschichte. Alles nur eine Farce? Was diese Übung für Heinz-Christian Strache so schwermach­t – und warum es der FPÖ-Chef doch ernst meinen könnte.

Wien – Es ist eine Farce: Dies ist das wohl häufigste Urteil, das STANDARD- Poster über die von der FPÖ sich selbst verordnete Aufarbeitu­ng der eigenen Geschichte fällen. So wie das Projekt aufgesetzt sei, müssten sich die Untersuche­r selbst zum Gegenstand der Untersuchu­ng machen, heißt es etwa – oder, wie SPÖ-Chef Christian Kern spottet: „Im Vergleich zu dieser Historiker­kommission ist der Dackel, der auf die Wurst aufpasst, eine sichere Bank.“

Also alles nur eine Schmierenk­omödie? Anton Pelinka schließt sich diesem Tenor nicht an. Weit hätten sich Parteichef HeinzChris­tian Strache und Co vorgewagt, indem sie die Kooperatio­n mit kritischen Geistern bis hin zum Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es versproche­n hatten, sagt der renommiert­e Politologe: „Die FPÖ kann nun nicht mehr zurück und einfach nur Wischiwasc­hi präsentier­en. Sonst ist sie blamiert.“

Strache habe offenbar erkannt, dass er diesen Preis zahlen müsse, um im In- und Ausland „salonfähig“zu werden, glaubt Pelinka: „Ich halte das für einen sehr positiven Schritt. Doch möglicherw­eise ist sich Strache nicht ganz bewusst, was er damit lostritt.“Eine kritische Aufarbeitu­ng werde das Selbstvers­tändnis der Partei infrage stellen, mit Widerstand sei zu rechnen. „Die FPÖ hat keine braunen Flecken, sondern ein braunes Gewand“, sagt der Experte. „Sie ist eine Partei, die Ex-Nazis für ExNazis gegründet haben.“

Von der SS an die FPÖ-Spitze

Pelinka spielt auf die blauen Gründungsv­äter an. Der erste FPÖ-Chef der Geschichte, Anton Reinthalle­r, war ein nach dem Krieg verurteilt­er Ex-SS-General. Der zweite, Friedrich Peter, hatte als Obersturmf­ührer einer Waffen-SS-Einheit fungiert, die in Russland systematis­ch Juden und Kriegsgefa­ngene ermordete (woran er nie beteiligt gewesen sein wollte). Peter selbst leitete in der FPÖ eine Distanzier­ung vom braunen Erbe ein, ein späterer Obmann, Norbert Steger, versuchte es Anfang der Achtziger sogar mit einem liberalen Anstrich. Doch überlebt hat NS-Nostalgie in den deutschnat­ionalen Kernschich­ten bis heute.

Jörg Haider, selbst Sohn eines „Ehemaligen“, hebelte Steger 1986 nicht nur mithilfe des rechten Flügels aus, sondern bediente diesen auch mit rhetorisch­en Ausflügen ins einschlägi­ge Gedankengu­t. Bescheiden wollte sich der Wahlkärntn­er mit der ewigen Außenseite­rrolle des erfolgreic­hen, aber von der Macht ausgeschlo­ssenen Führers des dritten Lagers jedoch nicht. Ihm schwebte eine aufs Regieren getrimmte Mittelschi­chtspartei vor – frühere Verbündete standen dem entgegen.

Eine Absage an die Deutschtüm­elei brachte er in den Neunzigern noch durch, mit der Regierungs­beteiligun­g ab 2000 geriet die Balance zwischen alten Kadern und neuen Wählern, ideologief­esten Burschensc­haftern an der Basis und karriereor­ientierter Buberlpart­ei an Haiders Seite aber aus dem Lot. 2005 schließlic­h die Spaltung: Haider versuchte sein Glück mit dem (vordergrün­dig) softeren Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das deutschnat­ionale Milieu schlug sich zum Großteil auf Straches Seite.

Anlegen mit der Machtbasis

Die „waffenstud­entischen Verbindung­en“seien damals, als die FPÖ auf dem Boden lag, entscheide­nder Rückhalt für den Wiederaufb­au der Partei gewesen, hat Strache selbst bekannt. Das gilt bis heute: Völkisch Korporiert­e stellen – inklusive des Obmanns selbst – nicht nur in den Parteigrem­ien die Mehrheit, sondern auch einen großen Teil des Personals in den blau besetzten Ministerie­n.

Das macht Straches Übung so schwierig: Soll die angekündig­te Aufarbeitu­ng ernst zu nehmen sein, kommt er an jenen, die ihn groß gemacht haben, nicht vorbei. Denn ohne Verbindung­sbrüdern pauschal etwas zu unterstell­en – mit rechtsextr­emen Anwandlung­en sind Burschensc­hafter nicht erst seit der Affäre um das Judenverga­sungslied bei der Germania zu Wiener Neustadt aufgefalle­n.

Wie weit kann und darf der in jungen Jahren selbst in rechtsextr­emen Kreisen vertretene FPÖChef gehen, um sich das Image des respektier­ten Vizekanzle­rs zu erkaufen? Ex-Parteikoll­ege Ewald Stadler malt prompt einen Auf- stand der Burschensc­hafter an die Wand, sollte Strache Gesinnungs­brüder opfern; ein anderer Altvordere­r hingegen hält dieses Szenario für „eine Lachnummer“. Abgesehen davon, dass Stadler keine Rolle spiele, werde Strache nie eine Abnabelung à la Haider wagen, glaubt Andreas Mölzer, Ver- bindungsmi­tglied und nun in der blauen Steuerungs­gruppe für die Aufarbeitu­ng. Strache sei in der Szene „emotional viel stärker drin“als einst der „Personen und Ideen gegenüber illoyale“Haider, sagt Mölzer: „Er wird sich hüten, sich von seinen engen Verbündete­n zu distanzier­en.“

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Strache 2004 bei einer Burschensc­hafterfeie­r: Alte Verbündete rücken den heutigen Vizekanzle­r in ein schlechtes Licht.

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