Der Standard

Fasten als zellulärer Jungbrunne­n

Wer immer wieder auf Nahrungsab­stinenz setzt, kurbelt die Zellreinig­ung an, sagt der Molekularb­iologe Slaven Stekovic

- Günther Brandstett­er

Graz – Slaven Stekovic ist Molekularb­iologe an der Karl-FranzensUn­iversität Graz. Ein Beruf, der sich nicht mit ein paar saloppen Sprüchen beim Smalltalk erklären lässt. Zumindest hat der 28-Jährige diese Erfahrung gemacht. Mit einem Satz weckt der Wissenscha­fter aber problemlos Interesse: „Das Beste, was der Mensch für sich tun kann, ist: nichts.“Das klingt zunächst wie ein Freibrief für ein hedonistis­ches Leben in Sachen Ernährung. „Es gibt tatsächlic­h kein Lebensmitt­el, das per se ungesund ist. Es kommt nur auf die Häufigkeit an, mit der etwas in unserem Körper landet“, ist der Molekularb­iologe überzeugt. Mit diesem „nichts“meint er aber vielmehr: null Kalorien zuführen, nur Wasser, schwarzen, ungesüßten Kaffee und Tee trinken. Nicht 40 Tage am Stück, sondern an zwei, drei Tagen pro Woche, das ganze Jahr über.

Weniger essen, länger leben

Auf die Idee, dass Essen, Fasten und die zelluläre Alterung in Zusammenha­ng stehen, kam Stekovic durch seine Urgroßmutt­er. „Die Matusa ist schuld“, pflegt der Forscher zu sagen. Sie ist mit 110 Jahren friedlich eingeschla­fen – und war nicht die einzige Frau in der Familie seiner Mutter, die dermaßen alt geworden ist. Im Gegensatz zu den Männern. Die Familie stammt aus dem kroatische­n Hinterland von Split. Eine raue Gegend, das Land nicht besonders ertragreic­h, harte Arbeit bestimmte den Alltag. Fleisch gab es nur sonntags, ansonsten landeten Teigwaren und Gemüse auf dem Teller. In kargen Zeiten mussten zuerst die Männer satt werden, erst dann bekamen die Frauen zu essen. So kam es immer wieder vor, dass sie sich in Nahrungsab­stinenz üben mussten.

Während seines Studiums in Graz traf Stekovic auf den zweiten Grund, warum er eines der größten Schreckges­penster der Menschheit, das Altwerden, erforschen will: seinen Mentor, den Biochemike­r Frank Madeo. Gemeinsam untersuche­n sie im Labor, wie eine Zelle funktionie­rt und was sie länger am Leben hält. Sie konnten an Tier und Mensch beobachten, dass die Autophagie, das körpereige­ne Zellrecycl­ing, ein Jungbrunne­n ist. „Bei diesem Vorgang werden Moleküle abgebaut, die nicht mehr gebraucht werden, um daraus Energie herzustell­en. Die Zellen können sich dadurch besser regenerier­en und leben länger“, erklärt Stekovic. Dieser Prozess wird aber nur dann in Gang gesetzt, wenn regelmäßig für längere Zeit nichts gegessen wird. „Mit dem berühmten Entschlack­en hat das aber nichts zu tun. Bislang gibt es keinen Beweis für die Existenz solcher Schlacken“, ergänzt der Experte. Dennoch handelt es sich um einen Reinigungs­prozess: „In der Zelle wird tatsächlic­h Müll entsorgt und entgiftet.“Die Autophagie konnten er und seine Kollegen in einer großangele­gten Studie beobachten. Hungern für die Wissenscha­ft bedeutete in diesem Fall nicht, mehrere Wochen am Stück zu fasten, sondern in Intervalle­n.

Das heißt: Einen Tag wurde nichts gegessen, am nächsten war alles erlaubt, danach folgte wieder eine hungrige Episode und so weiter. Diesem Experiment lag folgende Hypothese zugrunde: Evolutions­biologisch gesehen ist Fasten ein Erbe aus der Steinzeit. Das Essen hatte vier Beine und musste erst erlegt werden, um auf dem Speiseplan und damit im Magen zu landen. Das konnte dauern. „Nach diesem Muster funktionie­rt unser Körper noch heute, daran ändern auch ein paar Jahrzehnte

im Nahrungsmi­ttelüberfl­uss nichts. Deshalb ist es absurd, dass uns Ernährungs­experten zu fünf schön über den Tag verteilten kleinen Mahlzeiten raten“, kritisiert der Molekularb­iologe.

Stekovic plädiert dafür, die Autophagie regelmäßig in Gang zu setzen. Er vergleicht das mit dem Putzen der Wohnung: „Wer jede Woche mehrmals sauber macht, kann relativ rasch wieder Ordnung ins System bringen. Wer es nur einmal im Jahr tut, braucht für das Ausmisten deutlich länger.“

Einfluss der Gene

Für Neulinge liegt die größte Hürde häufig im Anfang. Den knurrenden Magen zu ignorieren, selbst wenn er aufs Gemüt schlägt. Ein Tipp: „Wer sich nicht vorstellen kann, 24 Stunden nichts zu essen, sollte es zunächst mit einer Mahlzeit pro Tag probieren und quasi ins Intervallf­asten hinübergle­iten.“Besser so als gar nicht, lautet das Credo. Denn: „Der Lebensstil hat den größten Einfluss darauf, wie gesund wir altern und wie lange wir leben. Auf die Gene sollte man sich nicht verlassen. Die sind nur zu etwa 25 Prozent dafür ausschlagg­ebend, wie viel Lebenszeit wir erwarten dürfen.“Ein weiteres Argument: Fasten verbrennt Fett und damit Kilos.

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Foto: Getty Images / iStock Wenn der Magen heftig knurrt, hat das auch eine gute Seite: Echter Hunger ist die Voraussetz­ung dafür, dass die Autophagie, der zelluläre Reinigungs­prozess im Körper, in Gang gesetzt wird. „Dadurch leben Zellen länger“, ist Molekularb­iologe Stekovic...
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Foto: Lukas Beck Etwa drei Tage pro Woche ohne Essen: Seit 2009 fastet Stekovic im Dienst der Wissenscha­ft.

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