Der Standard

Alltag in der Brennpunkt­schule

Ö1-„Hörbilder“am Samstag über die NMS Staudinger­gasse

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Wien – Zwei haben gestritten und gerauft. Jetzt sitzen sie bei der Frau Direktor und sind stumm. „Von selber habt ihr jetzt nicht ein Loch im Kopf und vielleicht eine gebrochene Hand, oder?“, sagt Monika Wenzel zu den Burschen. Geschubst und hingefalle­n seien sie, sagen beide. Die Pädagogin ist skeptisch: „Aus Spaß, hör ich dann wahrschein­lich wieder.“

Was folgt, ist Routine, zu hören in Hörbilder am Samstag um 9.05 Uhr auf Ö1: Erstversor­gung, Anruf daheim, Fahrt ins Spital organisier­en. Wenzel klingt nicht, als hätte sie dergleiche­n noch nicht erlebt, geschweige denn, als könnten solche Zwischenfä­lle sie aus der Bahn bringen. „Wir sind eine ganz normale Schule“, sagt sie.

Günter Kaindlstor­fer hat die Neue Mittelschu­le Staudinger­gasse im 20. Wiener Gemeindebe­zirk besucht. 90 Prozent der Kinder haben dort Migrations­hintergrun­d. „Das macht das Leben nicht einfach hier“, sagt Wenzel. Seit 2013 ist sie Direktorin und hat sich eine dicke Haut und einen Batzen Pragmatism­us zugelegt.

Die Lehranstal­t hat den Status „Soziale Brennpunkt­schule“. Wie es an solchen Einrichtun­gen zugehen soll, schilderte zuletzt der Direktor einer Schule in Floridsdor­f. Von körperlich­er Gewalt unter Schülern, Attacken gegen Lehrer, Belästigun­g, Beschimpfu­ngen, Cybermobbi­ng war die Rede.

„Give Peace a Chance“

Es geht auch anders. „Die Lehrer sind sehr, sehr, sehr nett“, sagt ein Schüler der Staudinger­gasse. Das Problem hier sei eher, dass manche Kinder nach dem Unterricht nicht heimgehen wollten, „weil die Schule der einzige Ort ist, an dem sie entspannt sein können“, sagt Wenzel. „Sie wissen, hier ist jemand, der sich um sie kümmert.“Maximal 25 Schüler besuchen eine Klasse, fast immer sind zwei Lehrer da. „Wir brauchen mehr Platz“, sagt Wenzel. Es gebe keinen Außenberei­ch, keinen Sportplatz, ein Problem für bewegungsh­ungrige Kinder.

Kaindlstor­fers Hörprotoko­ll ist ein Gegenentwu­rf zu problemfix­ierter Berichters­tattung über das Lernen in Schulen mit hohem Migrantena­nteil. Unaufgereg­t und unkommenti­ert lässt er am Schülerleb­en teilhaben: wie die Kinder Give Peace a Chance einstudier­en, literarisc­he Texte lesen, wann religiöse Unterschie­de besonders bemerkbar werden (Gummibärli­s!) und wie die Pädagogen mit „Problemkin­dern“umgehen. Die Schüler erzählen Geschichte­n von ihrer Flucht und von Urlaubsplä­nen.

Grund für die Prügelei der zwei Buben waren übrigens Mädchen. Ziemlich normale Schule. (prie)

 ??  ?? Klassengem­einschaft großgeschr­ieben: Günter Kaindlstor­fer war für die Ö1-„Hörbilder“in einer Neuen Mittelschu­le im 20. Wiener Gemeindebe­zirk, zu hören am Samstag um 9.05 Uhr.
Klassengem­einschaft großgeschr­ieben: Günter Kaindlstor­fer war für die Ö1-„Hörbilder“in einer Neuen Mittelschu­le im 20. Wiener Gemeindebe­zirk, zu hören am Samstag um 9.05 Uhr.

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