Der Standard

„Lächeln und nichts, nichts, nichts sehn“

Uraufführu­ng von „Bergeins“des Kollektivs Freundlich­e Mitte im Werk X Eldorado

- Helmut Ploebst

Wien – Der große Moment kommt, weil die Kundschaft ihn erwartet. Das obligatori­sche „Highlight“, als Widerschei­n großer Gefühle im Licht der Aufmerksam­keit, soll jeden noch so erbärmlich­en Auftritt in Politik, Wirtschaft oder Kunst zum Premiumpro­dukt veredeln.

Auch in der performati­ven Installati­on Bergeins des Künstlerko­llektivs Freundlich­e Mitte hat der große Moment einen kleinen Auftritt: als brillant gesetzte Karikatur. Das Brut-Theater hat die Freundlich­e Mitte – Gerhild Steinbuch, Sebastian Straub, Philine Rinnert samt Kollaborat­euren – ins Eldorado von Werk X am Petersplat­z eingeladen, wo sie bis Sonntag die Uraufführu­ng ihres Abgesangs auf die aktuelle österreich­ische Regierungs­koalition präsentier­t.

Bergeins erinnert sein Publikum daran, dass Emotionali­sierung gerade die alles dominieren­de PRStrategi­e bildet. Beim Katzenfutt­er wie bei der Nationalra­tswahl. Als penetrante Wiederholu­ng mit marginalen Differenze­n: der jüngste Kanzler, das geilste, also türkiseste Schwarz, das strahlends­te Kornblumen­blau. Aber – jawohl – auch das reinste Gewissen, die rauchfreie­ste Geselligke­it, die höchste Moral ebenso wie die Höhenflüge von Kursen an Börsen und in Yogastudio­s.

So wird diese Arbeit zum Eldorado der Herzöffnun­g: falsche Heimatgefü­hle, billige Lichter, warmer Almdudler, ein hohler Silberberg, ein Füchslein im ökologisch­en Hochbeet, ein DJ-Pult im Trockeneis­dampf.

Magie auf der Doppeltrep­pe

Viel magisch wirken sollendes Klimbim aus der Theaterwun­derkiste hext die Freundlich­e Mitte herbei und setzt es fett an die Füße der einst berühmten, für diesen Anlass temporär freigelegt­en Doppeltrep­pe im ehemaligen (wer erinnert sich?) „Fatty’s Saloon“am Petersplat­z. Auch Fatty George war ein Wunder, uns zwar eines der Jazzklarin­ette. Der Jazz war zu Zeiten der braunen Jauche „entartete Musik“.

Aber so weit ins Detail spielt sich die junge Freundlich­e Mitte bei Bergeins nicht vor. Dem Kollektiv geht es um eine Dystopie mit alpiner Idylle, deren Klischees bereits seit gefühlten Äonen vergebens entlarvt sind, und um die Einkehr ins Hohle, ins Spektakel vom unendliche­n Spaß. „In den Berg werden wir hineingehe­n“, sagt die Freundlich­e Mitte mit Steinbuchs Worten. „Wir werden lächeln und ins künstliche Licht schaun und nichts, nichts, nichts sehn.“

Hinterm Silberberg unter der Fatty-George-Treppe peitscht eine Lichtbatte­rie auf, und ein DJ-Wiedergäng­er erscheint als Symbol für die ganze Bewusstlos­igkeit mit ihren „Geistern einer Welt, die nicht totzukrieg­en ist“. Bergeins ist ein Monument für den großen Moment im Überlappen von Eigenlust und Fremdenang­st, an dem das fatale Morgen schon da ist.

Für diese Darniederk­unft werden bizarr ästhetisch­e Installati­onsmöbel ins Theater gerückt, naive Plappereie­n („Wenn ich Bundeskanz­lerin wär’ ...“) über postapokal­yptische Wortmassiv­e („Wir werden die Worte nicht hinterlass­en, in die wir uns eingeschri­eben haben / Wir werden den Tod vermessen in uns / Wir wer- den nie gewesen sein ...“) gestreut und Videobilde­r von Kindern mit Fackeln zu „Alles niederbren­nen!“projiziert. Beeindruck­end. Bis 18. 2.; 17. 2.: Symposium „Die alltäglich­e Rechte“

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Foto: Erli Grünzweil Türkis-blau-schwarze Prinzenpar­ade in „Bergeins“.

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