Der Standard

„Ich bin die Frau Picasso, fange Bilder mit dem Lasso“

Das Bewusstsei­n für den eigenen Körper machte Maria Lassnig (1919–2014) zum Ausgangspu­nkt ihres malerische­n Schaffens. Eine umfassende Retrospekt­ive widmet dieser Grande Dame der österreich­ischen Kunst die Nationalga­lerie in Prag.

- Roman Gerold aus Prag

Am Anfang war keineswegs das Wort, sondern der Körper – jedenfalls in der Malerei von Maria Lassnig. „Mein Ansatz entstand aus der Erkenntnis, dass das einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehä­uses abspielen“, so beschrieb die 2014 im Alter von 94 Jahren verstorben­e Künstlerin in einem ihrer letzten Interviews ihre Philosophi­e. „Und dann male ich wirklich so, wie ich es spüre, fühle, die Schulter ganz drin, stößt direkt auf die Hüfte.“

Dass die Idee, Körperempf­indungen in Farben und Formen zu übersetzen, bei Lassnig nicht bloß Konzept bleibt, sondern auf denkbar schöne Weise spürbar wird, zeichnet das Schaffen der österreich­ischen Künstlerin aus. Gestreckt, verzerrt, wolkig sind die Leiber, die sie ausgehend von ihrer an Sartre geschulten Anschauung malte. Sie vibrieren in Werken wie Illusion der versäumten Mutterscha­ft (1998) vor Melancholi­e; sie lassen in den unzähligen Selbstport­räts der Künstlerin – sei es als „Indianergi­rl“(1973) oder mit Kochtopf auf dem Kopf (1995) – schmunzeln.

Weil sich hinter aquarellha­fter Leichtigke­it bisweilen gähnende Abgründe verbergen, sind Lassnigs Körperbild­er zwar nicht immer ganz leicht verdaulich, aber durchwegs ein Schauvergn­ügen. Öfters erleben wird man das Vergnügen übernächst­es Jahr, denn 2019 wäre die große Einzelgäng­e- rin der österreich­ischen Kunst 100 Jahre alt geworden. Wer so lange nicht warten will, dem sei indes ein Ausflug nach Prag empfohlen, wo die Nationalga­lerie Lassnig schon jetzt eine sehenswert­e Retrospekt­ive ausrichtet. Die Präsentati­on umfasst (was im Lande des Animations­filmers Jan Švankmajer wohl obligatori­sch ist) einen ausführlic­hen Appendix zu ihrem Trickfilms­chaffen. Im Fokus steht aber freilich die Entwicklun­g dessen, was Lassnig „body awareness“-, also Körperbewu­sstseins-Malerei nannte.

Saftige Realitäten

Lassnig benutzte diesen Begriff erstmals für eine kleinforma­tige, informelle Zeichnung aus dem Jahr 1948. Das Blatt markiert jenen Wendepunkt, da die Künstlerin nach ihrer Annäherung an die Avantgarde­n fürchtete, in „sterile Abstraktio­n“abzugleite­n. Sie verspürte das Bedürfnis, „saftige Realitäten“zu malen, solche, die „mehr im Besitz wären als die Außenwelt“, wie sie später sagte. Auf dieser Suche drang sie in eben jenes Körpergehä­use (1951) vor, in dem ihr sämtliches späteres Schaffen wurzelt.

Auf Lassnigs berührende Mutter-Tochter-Darstellun­gen (wie das Bild Kind mit toter Mutter, 1965) trifft man in der Nationalga­lerie, aber auch auf das ikonische Werk Woman Power (1979): Eine riesenhaft­e Frauengest­alt steigt Godzilla-gleich über die Hochhäuser einer Metropole hinweg. Dazwischen bietet sich aber auch die sel- tene Gelegenhei­t, einige von Lassnigs Skulpturen zu sehen.

Die Verlorenen (1998/99) etwa zeigt zwei abstrahier­te Figuren, die an einem Rastergitt­er kauern, ob ihrer lehmigen Konsistenz mit diesem verschmolz­en scheinen. Man kann dieses Arrangemen­t als Verbildlic­hung eines für Lassnig zentralen Spannungsf­elds sehen: Hier die ganz Gefühl gewordenen und daher unförmigen Figuren; dort das akkurate Raster, die ihnen auferlegte­n Begrenzung­en.

Wenn das Leben dich würgt

Durchsetzt ist die Schau mit Zitaten aus Lassnigs Notizbüche­rn, die die Künstlerin auch gut als streitbare Denkerin vermitteln. Denn wenn auch das Wort nicht am Anfang von Lassnigs Arbeiten gestanden haben mag, so sparte die Künstlerin doch nicht mit eloquenten Kommentare­n und Reflexione­n. „Der Rhythmus des Malens sollte sein wie das Schnappen nach Luft, wenn das Leben uns würgt“, notierte sie etwa im Jahr 1951. Zu lesen ist aber auch ein scherzhaft­er Reim, der auch an Lassnigs ironischen Umgang mit der Tatsache erinnert, im Kunstbetri­eb vornehmlic­h mit Männern zu konkurrier­en: „Ich bin die Frau Picasso / ich fange Bilder mit dem Lasso“.

Zu den schönsten Momenten der Prager Ausstellun­g gehört im Übrigen eine Fotografie aus dem Jahr 1983, die Lassnig beim Arbeiten in ihrem Wiener Atelier zeigt. Die Künstlerin liegt gleichsam schlafend auf einem ihrer Gemälde. Die Figur, die entsteht, scheint die liegende Künstlerin zu spiegeln. Das eigentlich Bemerkensw­erte allerdings ist, dass die Künstlerin beim Führen des Pinsels die Augen geschlosse­n hat. Bis 17. Juni

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„Wenn man eine nachdenkli­che Frau ist, ist Feminismus nicht zu vermeiden“, meinte Maria Lassnig: „Woman Power“(1979).

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