Der Standard

Erdogan lenkt ein

- Markus Bernath

Diplomatie ist, wenn man so tut, als ob alles ziemlich gut läuft, und mindestens eine Seite weiß, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Diplomatie ist in der internatio­nalen Politik etwas für schwierige Patienten. Und Diplomatie ist natürlich ein Geschäft, Geben und Nehmen, freundlich schweigen. Deniz Yücels Freilassun­g ist ein solches Diplomaten­stück. Ach ja: Und der deutsch-türkische Journalist hat ein Jahr seines Lebens in einer Zelle verbracht, ohne Anklage und die meiste Zeit in Isolation. Diplomatie war notwendig, um dieses Unrecht zu beenden.

Die Frage ist: Warum jetzt? Und was erhält Erdogans Türkei dafür im Gegenzug? Denn Deniz Yücel, der Korrespond­ent der deutschen Tageszeitu­ng Die Welt, muss ja ein brandgefäh­rlicher Mann sein für die Türkei. Ein „Agent“der Deutschen, wie Staatschef Tayyip Erdogan und sein Außenminis­ter öffentlich erklärt hatten; ein Schreiber, der Hass im türkischen Volk zu säen versucht und Propaganda­arbeit für die kurdische Terrororga­nisation PKK erledigt, wie die türkische Staatsanwa­ltschaft erkannt haben will. Einen solchen Mann lässt die Türkei also nun ziehen.

Ein halbes Dutzend politische­r Gefangener mit deutschem Pass zählt die Regierung in Berlin derzeit noch in der Türkei. Yücel war einer von ihnen und am Ende, nach der Freilassun­g des Menschenre­chtlers Peter Steudtner, der Journalist­in Meşale Tolu und des Pilgers David Britsch, der wichtigste Fall. Ohne Yücel keine Rückkehr zu normalen Beziehunge­n, hatte Berlin den Türken erklärt.

Viele Freunde hat die Türkei von Erdogan nicht mehr. Schon gar nicht im Westen. Nach einem Jahr im Schurkenmo­dus spielt sie nun sanftere Töne für das europäisch­e Ausland. Vom Nutzen eines maßvollere­n Umgangs mit den EU-Staaten musste die politische Führung in Ankara aber erst überzeugt werden. Yücels Freilassun­g war keine Hauruckent­scheidung, sondern offensicht­lich das Ergebnis eines längeren Gesprächsp­rozesses, vor allem zwischen den Außenminis­tern beider Länder. Und angeblich ohne „Deal“, wie Berlin versichert. Will heißen: ohne Rüstungsge­schäft – doch durchaus mit möglichen politische­n Vorteilen für Ankara. Deutschlan­d könnte jetzt Ja zur Vertiefung der Zollunion mit der Türkei sagen.

Nutzt die Yücel-Diplomatie den anderen Journalist­en in der Türkei? Sechs von ihnen hat die Justiz gerade zu lebenslang­er Haft verurteilt. Unrechtsur­teile kann sich die Türkei auf Dauer nicht leisten. Das zeigt der Fall Yücel.

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