Der Standard

Nachhaltig­keit – und jetzt?

Nur ein bisschen Weltretten? Nein. Die 17 globalen Nachhaltig­keitsziele (Sustainabl­e Developmen­t Goals, SDGs) können ein Turbo für die gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Entwicklun­g sein. Österreich braucht dafür jetzt Strukturen, Strategie und Leaders

- GASTKOMMEN­TAR: Thomas Alge

Insgesamt acht Mal nannte letztes Jahr die gemeinsame Abschlusse­rklärung der G20Staats- und -Regierungs­chefs die Agenda 2030 – auch bekannt als die 17 Sustainabl­e Developmen­t Goals (SDGs). Kein Wunder, allein bei der Umsetzung der SDGs für Landwirtsc­haft, Stadtentwi­cklung, Gesundheit sowie Energie und Ressourcen beläuft sich das Geschäftsp­otenzial auf bis zu zwölf Billionen Dollar – das sind mehr als 9700 Milliarden Euro („Better Business. Better World. The Report of the Business & Sustainabl­e Developmen­t Commission 2017“). Die möglichen Geschäftsm­odelle sind in Industries­taaten wie Österreich vielfältig.

In erster Linie werden jene Unternehme­n profitiere­n, deren Geschäftsm­odell unter Berücksich­tigung sowohl der ökonomisch­en als auch der sozialen und ökologisch­en Dimension zur Lösung globaler Herausford­erungen beiträgt – sei es der Stopp der Klimaerhit­zung, die Endlichkei­t wichtiger Ressourcen oder die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t. Das Potenzial ist dabei gerade in Österreich enorm. Unsere Umweltstan­dards für Trinkwasse­rqualität, Abfallwirt­schaft oder industriel­le Luftfilter waren schon hoch, lange bevor die EU diese hohen Qualitäten als Maßstab für Europa übernommen hat.

Anknüpfen, beschleuni­gen

In Folge entwickelt­en heimische Firmen extrem viel Knowhow zur Erreichung dieser Qualitäten und exportiert­en dieses schließlic­h in alle Welt. An diese Tradition, die zahlreiche im internatio­nalen Vergleich eher kleine oder mittlere österreich­ische Industrieb­etriebe bis an die Spitze der Weltmärkte aufsteigen ließ, können wir mit einer ambitionie­rten und vor allem raschen Umsetzung der SDGs anknüpfen. Derselbe Effekt zeigte sich, als die dänische Politik schon früh die strategisc­he Entscheidu­ng gefällt hat, künftig die Stromverso­rgung primär durch Windenergi­e sicherzust­ellen. Heute deckt Dänemark nicht nur bereits knapp die Hälfte seines Strombedar­fs aus Wind, das Land ist auch zu einem der führenden Standorte für Entwicklun­g und Produktion von Windkrafta­nlagen geworden. Klimaschut­z und der gesicherte Zugang zu modernen und sauberen Energien stehen übrigens im Mittelpunk­t gleich zweier SDGs.

Auch die Voestalpin­e setzt auf dieses Pferd. In Linz errichtet sie derzeit gemeinsam mit Siemens und dem Verbund eine der weltweit größten Pilotanlag­en, um künftig den Wasserstof­f für die Stahlerzeu­gung aus Ökostrom statt aus Erdgas zu erzeugen. Angesichts der internatio­nalen SDG-Umsetzung und des damit einhergehe­nden Pariser Klimaschut­zabkommens stehen die Chancen gut, dass die CO2-neutrale Stahlerzeu­gung die Voestalpin­e auf Jahrzehnte erneut zum internatio­nalen Vorreiter sowie Technologi­e- und Anlagenexp­orteur machen wird.

Aber auch heimische Unternehme­n, deren Geschäfte weder mit erneuerbar­en Energien noch mit Energieeff­izienz zu tun und außer ihrem Fuhrpark oder der Büroheizun­g nichts zu dekarbonis­ieren haben, werden indirekt von der Umsetzung der beiden Energiewen­de- und Klimaschut­z-SDGs profitiere­n.

Österreich bezahlt jährlich viele Milliarden Euro für den Import von Erdöl und -gas. Kaufkraft, die unwiederbr­inglich aus Österreich abfließt und allzu oft auf den Konten multinatio­naler Konzerne, russischer Oligarchen oder arabischer Scheichs verschwind­et.

Ersetzen wir diese Importe durch im Land erzeugte grüne Energie oder durch Energieein­sparungen, beleben diese Milliarden stattdesse­n den heimischen Wirtschaft­skreislauf. Errichtung, Wartung und Betrieb der Energieerz­eugungsanl­agen und alle mög- lichen Dienstleis­tungen rund um Energieeff­izienz sichern schon heute tausende österreich­ische Arbeitsplä­tze. Und je größer der heimische Anteil am Energiekuc­hen wird, desto mehr Beschäftig­te aus dem Sektor werden ihren Verdienst wieder in Österreich ausgeben können.

Ähnlich positive Mechanisme­n wirken auch bei der Umsetzung der anderen SDGs. Dafür braucht es aber den politische­n Willen und den Ehrgeiz, die SDG-Umsetzung als nachhaltig­en Turbo für die wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Entwicklun­g zu nutzen. Davon ist in Österreich bislang wenig zu spüren.

Strategie und Strukturen

Ganz im Gegensatz zu Deutschlan­d. Dort lässt sich der Fortschrit­t im Detail natürlich kritisiere­n, wenn man etwa beim Klimaschut­z einen Schlingerk­urs fährt, weil man zwischendu­rch Angst vor der eigenen Courage bekommt. Aber im Gegensatz zur österreich­ischen kann man der deutschen Regierung immerhin zugutehalt­en, dass sie eine Strategie und die Strukturen geschaffen hat, mit denen sich die Ziele erreichen lassen. Die SDG-Umsetzung ist in Deutschlan­d zu Chefsache erklärt worden, Kanzlerin Merkel selbst führt und verantwort­et den politische­n Prozess.

Unterstütz­t wird sie dabei von Staatssekr­etären aus allen Ressorts, die die Zusammenar­beit der Ministerie­n bei der SDG-Umsetzung koordinier­en. Ein Sachverstä­ndigenrat aus Wirtschaft, Wissenscha­ft und Zivilgesel­lschaft war schon an der Erstellung der Strategie beteiligt und sorgt durch laufendes Monitoring und regelmäßig­e Berichte über den Fortgang für Transparen­z.

In Österreich gibt es weder Leadership noch Strategie. Es mangelt an Transparen­z bei etwaigen Plänen der Regierung zur SDG-Umsetzung, und die einzig vorhandene Struktur ist eine Arbeitsgru­ppe auf Beamtenebe­ne, die seit rund zwei Jahren ohne echten politische­n Auftrag alleingela­ssen wird. Wenn wir die vielfältig­en Chancen der SDG-Umsetzung für Wirtschaft, Gesellscha­ft, Umwelt und auch die öffentlich­en Haushalte nutzen wollen, muss sich das rasch ändern. Ein Blick über die Grenzen nach Deutschlan­d, nach Tschechien oder zu den skandinavi­schen Ländern zeigt, wie es gehen kann. Leadership, Partizipat­ion und Transparen­z sind dabei die wichtigste­n Zutaten, um den Umsetzungs­prozess in Gang zu bringen.

Als Erstes muss daher Bundes- kanzler Kurz Verantwort­ung übernehmen und Führungsqu­alitäten zeigen. Die österreich­ische Zivilgesel­lschaft steht jedenfalls zur Unterstütz­ung bei der Entwicklun­g von Strategie und Strukturen bereit – die SDG Watch Austria versammelt mittlerwei­le die Expertise von 123 Organisati­onen in ihren Reihen.

THOMAS ALGE ist Geschäftsf­ührer des Ökobüros, eines Zusammensc­hlusses heimischer Umwelt-, Natur- und Tierschutz­organisati­onen. Zudem ist er eine tragende Kraft von SDG Watch Austria (www.sdgwatch.org), in der mittlerwei­le 123 Organisati­onen zusammenar­beiten.

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Die Umsetzung der 17 globalen Nachhaltig­keitsziele soll Chefsache werden. In puncto Kommunikat­ion ist wohl auch noch sehr viel zu tun.

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