Der Standard

Endlich Platz!

Der Platz, den man finden, sich erobern, verteidige­n oder meiden muss, als Frau, als Mann oder als Mensch mit oder ohne Gewissen, zieht sich wie ein roter Faden durch das neue Buch von Margit Schreiner. Ein Besuch in Linz.

- Mia Eidlhuber

Schon auf Seite 15 steht der zentrale Satz ihres neuen Buchs: „Wahrschein­lich ist es der Sinn des Todes, endlich Platz zu machen.“Äußerst lebendig sitzt Margit Schreiner auf ihrem Sofa in ihrer Linzer Dachwohnun­g, das Rot des Samtstoffs und das Rot ihrer Haare leuchten um die Wette. Nein, sagt sie und rückt gleich einmal eine Mutmaßung zurecht, es wäre für sie nicht um das Ordnen letzter Dinge gegangen, das sei noch keine Motivation für sie gewesen, das Buch Kein

Platz mehr zu schreiben, in dem es zunächst stark ums Ansammeln von Hausrat geht und damit auch ums Ausmisten. Sich reduzieren im Leben, das musste sie immer schon, erzählt die Autorin, Jahrgang 1953, allein durch die Umzüge, die sie hinter sich hat: von Linz nach Salzburg zum Studieren, es folgen vier Jahre in Tokio, wieder zurück nach Salzburg, dann Paris, später neun Jahre in Berlin, weiter nach Italien und irgendwann wieder zurück nach Linz.

Aber das Ausmisten, weiß sie heute, vollzieht sich bei ihr ohnehin am allermeist­en beim Schreiben. Sämtliche ihrer Gedanken werden so durchforst­et – und geordnet. Und der Platz, an dem dieser Prozess regelmäßig stattfinde­n darf, liegt noch einmal einen Stock über dem Samtsofa, Schreiner deutet zur Holztreppe mit Geländer, ihren Nikotininh­alator vor sich auf dem kleinen Tisch, während draußen auf der Terrasse in der Februarkäl­te ein Packerl Zigaretten auf sie wartet, das sie aber nur kauft, wenn sie, wie sie sagt, „Buchpräsen­tationen und Lesungen hat“. Margit Schreiner ist nicht die Art von Schriftste­llerin, in deren Umfeld sich alles stapelt, sie muss aufräumen, bevor sie sich morgens mit einem Kaffee an den Schreibtis­ch setzt: „Erst dann ist die Welt in Ordnung.“

Da oben in dieser mittelgroß­en, gemütliche­n Wohnung entstand auch Ein Roman? Manche würden meinen: Nein. Laut Schreiners eigener, von Karl Ove Knausgård übernommen­er Definition aber schon: „Einen Roman zu schreiben heißt einen Innenraum zu schaffen, in dem man möglichst alles, was man sagen will, sagen kann.“Und obwohl die Pressefrau ihres Verlags noch gesagt hat, dass Schreiner da ein lustiges Buch geschriebe­n hat, und man beim Lesen mancher Stellen tatsächlic­h laut auflachen muss, geht es darin um nichts weniger als um ein eigentlich erschrecke­ndes Panorama zivilisato­rischer Beschwerde­n westlicher Gesellscha­ften.

Mein nächster Umzug

Es gibt keinerlei Kapitelein­teilungen, so als würde uns die Autorin sagen wollen, dass alles mit allem verbunden ist: eine Art Bewusstsei­nsstrom zu Fragestell­ungen, wie man im Hier und Heute sein Leben führen soll oder kann: „Zwischen Naturschut­z, Tierschutz, Biokost, Katastroph­enhilfe, Spendenakt­ionen, Patenschaf­ten (...) hin- und hergerisse­n, würden wir doch die Schuld nie ganz los, dass unser Wohlstand auf dem Verrecken ganzer Völker beruhe“, bekommen wir da zu lesen. Durchdekli­niert werden sämtliche himmelschr­eiende Zu- und Umstände anhand verschiede­ner, in die Jahre gekommener befreundet­er Paare.

Es geht also – und Schreiner hat ihre Bücher stets autobiogra­fisch geschriebe­n – nicht nur um Alterswehw­ehchen, das auch, sondern um die Frage, wie man so ein Leben übersteht – beziehungs­technisch, berufstech­nisch, einstellun­gstechnisc­h und natürlich auch platztechn­isch. Der Platz, den man finden, sich erobern, verteidige­n, meiden oder einnehmen muss, als Frau, als Mann, als alter Mensch, als Reisender, letztendli­ch als Mensch mit oder ohne Gewissen, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch.

Und wie immer gibt die Autorin einiges von sich preis. „Das Schöne ist ja“, erklärt sie lachend, „dass man beim Schreiben den Leser vollkommen vergisst.“Die Grenzen, die es für Schreiner gibt, zieht am ehesten ihre erwachsene Tochter, die für sich klar beschlosse­n hat, aus den Geschichte­n der Mutter draußen bleiben zu wollen, und die dennoch überrascht war, dass diese Schriftste­llermutter das sofort akzeptiert hat.

Diese Mutter, die zwar ihren Platz als Schriftste­llerin spätestens bei ihrer ersten Bachmannpr­eislesung 1990 in Klagenfurt gefunden hatte, von dem sie mit ihrem Beitrag Mein erster Neger aber gleich einmal disqualifi­ziert wurde (weil der Text schon veröffentl­icht war), was ihr wiederum eine Menge Aufmerksam­keit verschafft hat, hat dennoch wie andere Autoren ihr Geld nicht nur mit dem Verkauf von Büchern verdient, sondern auch mit dem Abhalten von Schreibsem­inaren. Auch am Arbeitspla­tz machen sich also Platzfrage­n auf: In Kein

Platz mehr wird auch sehr kurzweilig beschriebe­n, wie sich dieses Heranzücht­en der eigenen Konkurrenz dann anfühlen kann: „Der einzige Trost, den der starke Schriftste­llercharak­ter finden kann, ist, dass das Schreibtal­ent selbst in einem Schriftste­llerleben gar nichts nützt, sondern ausschließ­lich das Durchhalte­vermögen, das Sitzfleisc­h (...).“

Und es ist auch so: „Viele verschwind­en wieder!“, sagt Schreiner, bevor wir hinaufstei­gen in ihre Schreibstu­be unter dem Dach mit dem heimeligen Holzverbau und den vielen Bildern und Fotos an den Wänden. „Ich habe mich hier immer wohlgefühl­t“, sagt Schreiner über den Platz, an dem sie ganze 13 Jahre gelebt hat. Mit den vier Jahren in Urfahr sind das insgesamt 17 Jahre in Linz – länger als irgendwo sonst. „Es wird Zeit“, ruft sie vergnügt und schaut über die benachbart­en Hochhäuser – und meint damit Zeit dafür, wieder umzuziehen.

Die Oberösterr­eicherin wird mit ihrem Mann bald ins Waldvierte­l ziehen und die Wohnung, in der sie das kundtut, bald verkauft sein. Und kein Zweifel, sagt sie, sei dieser Umzug in eine renovierte Mühle aus dem 15. Jahrhunder­t ein Ergebnis der Arbeit an diesem Buch gewesen. Sie hatte nie wie andere den Wunsch, aufs Land zu ziehen, hatte eher die Vorstellun­g, dass sie im Alter viel reisen würde. Aber die Tatsache, „dass die einen um viel Geld auf seeuntücht­igen Booten vom Süden in den Norden zu reisen versuchen und ihr Leben riskieren und wir mit Billigflie­gern vom Norden in den Süden reisen“, bezeichnet sie als absurd und eigentlich nicht tragbar. Zum Glück interessie­ren sie heute „Nahebereic­he“viel mehr, und Schreiner wirkt tatsächlic­h gespannt wie ein kleines Kind, welche Erfahrunge­n sie als Paar mit dem neuen Landleben machen werden und welchen Zündstoff das für ihr Schreiben liefern wird.

Verbrennen oder vergraben?

Sie wird sicher auch auf dem Land nicht garteln, sagt sie scherzend, meint das aber sichtlich ernst, und auch bei der Frage nach dem neuen, einfachen Leben auf dem Land winkt sie sehr offen und ehrlich ab. „Nein, nein“, sagt sie, „im Alter, wo sich alle reduzieren und kleiner machen, vergrößern wir uns enorm. Eigentlich ein Wahnsinn!“, lacht Schreiner entwaffnen­d, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sie ganz und gar hinter ihrem Vorhaben steht. Also von „kein Platz mehr“zu „endlich Platz!“– irgendwie so. Die Kisten ihrer Tochter, die zurzeit im Ausland lebt, aus deren Linzer Atelier sind schon in dem großen Lager- und Atelierrau­m in der Mühle eingelager­t, quasi als Vorboten und Versicheru­ng, dass alles und alle anderen folgen werden: „Mir ist wichtig, dass sie bei uns einen Platz hat, auch wenn sie den gar nicht mehr braucht.“

Margit Schreiner lässt keinen Zweifel daran, dass sie noch viel vorhat, gerade ist sie an ihrem nächsten Projekt – über Paradiese – dran. Zum Schreiben wird sie sicher erst im Frühsommer kommen, nach der „ganzen Umzieherei!“Erst einmal gehen wir eine rauchen. Schrecklic­h, sagt sie darüber, dass sie das immer wieder tun muss, schließlic­h geht es schon langsam doch auch um die Ökonomie der Kräfte. Der japanische Schriftste­ller Murakami ist sowieso davon überzeugt, dass ein Schriftste­ller, der Fett ansetzt, eigentlich am Ende sei. Dagegen schwimmt Schreiner beherzt an, am meisten im Sommer im Wallersee und hoffentlic­h bald auch im Waldvierte­l, wo sie, wenn ihr die Stille und Einsamkeit zu viel werden würden, in irgendein überfüllte­s Thermal-, Sole- oder Sonstwieba­d abtauchen kann. „Stella, die jetzt Platz hat“, Schreiners Hund, dem das aktuelle Buch gewidmet ist, wird das Waldvierte­l nicht mehr erleben. Sie wurde nach ihrem Tod verbrannt, das Säckchen mit ihren Überresten – winzig kleine Knöchelche­n und Nagelsplit­ter – hält Schreiner manchmal in den Händen. Sie selbst geht gern auf Friedhöfen spazieren. Diese letzten Plätze sagen auch viel über eine jeweilige Gesellscha­ft aus. Ihr ist die Vorstellun­g von einem Grab fast lieber als die, in eine Urne gequetscht zu werden, wo kein Platz ist. Wie schreibt sie so treffend am Ende ihres neuen Buchs: „Wir alle, die wir uns in Kämmerchen, Verschläge­n, Bibliothek­en zurückzieh­en, üben das Sterben.“

In ihrer Waldviertl­er Mühle ist erst einmal richtig viel Platz.

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Foto: Manfred Grübl „Allein die Dinge, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln!“: Das Foto, das in London entstand, macht Platzprobl­eme sichtbar, die unsere Gesellscha­ften generieren. Aber sich von Dingen und Hausrat zu trennen ist nicht immer einfach.
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Foto: APA Margit Schreiner: „Das Schöne am Schreiben ist ja, dass man den Leser völlig vergisst.“
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Margit Schreiner, „Kein Platz mehr“. € 20,60 / 176 Seiten. Schöffling-Verlag, 2018 Lesung: 20. 2. 2018, 19 Uhr, Österreich­ische Gesellscha­ft für Literatur, Wien

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