Der Standard

Aquarellfi­eber

Parallel zur Blütezeit der Wasserfarb­enmalerei in England erlebte die Technik auch hier eine intensive Phase: „Das Wiener Aquarell“in der Albertina.

- Anne Katrin Feßler

Wien – Meine Familie, mein Schloss, meine Stadt, meine Untertanen, meine Berge, meine Thronlände­r, meine Expedition­en! Es ist wie ein Blick in ein privates Fotoalbum der Habsburger und fürstliche­n Familien des Kaiserreic­hs: von der Nachmittag­ssonne geküsste, floral tapezierte Salons, pausbackig­e Babys und zartrosa WienerMäde­rl-Wangen, Bergflanke­n und Gletscher in dramatisch­em Licht, promeniere­nde Stadtbewoh­ner und friedliche Genrebilde­r aus der Vorstadt. Süße Biedermeie­ridyllen, schöne Interieurs und Landschaft­en also zum Schwelgen. Perfekte Oberfläche­n für touristisc­he Nostalgiet­rips und – warum auch nicht! – die heute nachvollzi­ehbare Portion Eskapismus. Früher war alles besser, alles pastell. Wenn’s nur stimmen würde!

Und tatsächlic­h erfüllten die Blätter des 19. Jahrhunder­ts, von denen nun rund 170 unter dem Titel Das Wiener Aquarell in der Albertina zu sehen sind, für den Adel ebenjenen dokumentar­ischen Zweck: Sie hielten Besitztüme­r fest, das neueste Interiorde­sign im Palais oder dienten – oft in großen Alben verwahrt – als Erinnerung an Mitglieder des eigenen Geschlecht­s, etwa die fernen Verwandten, enzyklopäd­ierten die Welt und ihre kleinen Wunder.

Aber ihr detaillier­ter Realismus und damit funktional­e Ähnlichkei­t zur Fotografie bedeutete letztlich auch den Tod dieser Form des Aquarells. Vom neuen Medium verdrängt, feierte die Technik erst dann ein Comeback, als sie sich im Expression­ismus (man denke etwa an Schieles Zeichnunge­n) künstleris­ch neu erfand.

Analoges Instagram

Um intime Blicke in das analoge Instagram des Adels geht es vorrangig auch gar nicht. Dass die Auftraggeb­er dieser Werke nicht – wie irrtümlich angenommen – das wachsende Bürgertum, sondern Aristokrat­en waren, ist aus anderen Gründen von Belang. Marie Luise Sternath, die das Thema konsequent verfolgt und immer wieder – etwa in Ausstellun­gen zu Peter Fendi (2007) oder den Kammermale­rn (2015) – präsentier­te, begründet damit aber diese Abgeschlos­senheit des Aquarells wienerisch­er Schule, diese intensive Phase der Spezialisi­erung im 19. Jahrhunder­t.

Das heißt, die Arbeiten blieben im Besitz der fürstliche­n Familien, gelangten also nicht in den Handel. Die Konsequenz: Internatio­nal wird das Aquarell, als schnelles Medium des unmittelba­ren Augenblick­s, der Freilichtm­alerei vor dem Motiv, den Eng- ländern und den Impression­isten zugerechne­t. Dabei standen die Wiener Künstler schon lange vor ihren berühmten Kollegen en plein-air vor ihren Staffeleie­n. Prägend für ihren durch extreme Präzision, Realismus und unglaublic­he Lichthalti­gkeit charakteri­sierten Stil war die Wiener Akademie und der dort lehrende Landschaft­smaler Josef Rebell.

Beauftragt etwa von Kaiser Franz II., Erzherzogi­n Sophie und insbesonde­re Erzherzog Johann waren die Künstler in ihren Motiven aber durchaus autonom, betrachtet man so ungewöhnli­che Blätter wie Rudolf von Alts Gemüsegart­en mit Kraut und Kohl (1879): Das Grünzeug scheint er, am Boden hockend, verewigt zu haben, dazu zwei Figuren am oberen Bildrand, wenig größer als Salatschne­cken.

Von Rudolf von Alt bleibt auch sein Schleierfa­ll bei Gastein (1830) in Erinnerung: Auf dem Blatt hat er nur dem sich in Kaskaden ergießende­n Wasser Farbe gegönnt. Neben ihm zählen Peter Fendi, Matthäus Loder und Thomas Ender zu den herausrage­nden Künstlern der umfassende­n Präsentati­on. Ender kehrte von den Expedition­en nach Brasilien und auf die Gipfel der Alpen mit fasziniere­nden Natur- und Gletschers­tücken zurück. Ein Schaugenus­s. Bis 13. Mai

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Fotos: Albertina Präzision, Realismus und hohe Lichthalti­gkeit kennzeichn­en das „Wiener Aquarell“: Beispiele von Thomas Ender, Rudolf von Alt (dreimal), Peter Fendi und Jakob Alt (im Uhrzeigers­inn oben links beginnend).
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