Der Standard

110 Mädchen entführt

Rund 110 Mädchen sind seit vergangene­r Woche in der Gewalt der islamistis­chen Sekte Boko Haram

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Nigerias Präsident spricht nach der neuerliche­n Mädchenent­führung durch Boko Haram von einem „nationalen Desaster“.

Fünf Tage nach der erneuten Entführung rund 110 Schülerinn­en im Nordosten von Nigeria hat Präsident Muhammadu Buhari den Vorfall eingeräumt und die Entführung als „nationales Desaster“bezeichnet. Tagelang hatten nigerianis­che Verantwort­liche das Ereignis bestritten oder behauptet, die Mädchen seien von Soldaten gleich wieder befreit worden. Inzwischen steht jedoch fest, dass von den Schülerinn­en selbst eine Woche nach dem Vorfall noch immer jede Spur fehlt. „Es tut uns leid, dass das passieren konnte“, erklärte Buhari am Wochenende: „Wir beten dafür, dass unsere ritterlich­en Streitkräf­te die vermissten Familienmi­tglieder finden und wohlbehalt­en zurückbrin­gen.“

Mitglieder der radikalen islamistis­chen Sekte Boko Haram hatten am vergangene­n Montag ein Internat in Dapchi im nordostnig­erianische­n Bundesstaa­t Yobe überfallen, in dem 926 Schülerinn­en untergebra­cht waren. Nachdem das Militär zunächst gemeldet hatte, der Angriff der Milizionär­e sei von den Streitkräf­ten vereitelt worden, teilte der Polizeimin­ister des Bundesstaa­ts inzwi- schen mit, dass sich bislang lediglich 815 Mädchen zurückgeme­ldet hätten. Auch die Behauptung der Yobe-Regierung, Soldaten hätten 76 entführte Schülerinn­en des „Girls Science and Technical College“gleich wieder befreien können, erwies sich als falsch.

Militär abgezogen

Einwohner der Provinzsta­dt beklagen sich darüber, dass das Militär vor einem Monat aus Dapchi abgezogen worden sei und sich die Stadt seither in einem Sicherheit­svakuum befunden habe. Die Streitkräf­te bestreiten dies: Die Soldaten seien allerdings rund 40 Kilometer von dem Internat entfernt stationier­t gewesen.

Der Vorfall lässt Erinnerung­en an die Entführung von 276 Schülerinn­en im April 2014 in dem rund 300 Kilometer südöstlich von Dapchi gelegenen Städtchen Chibok aufkommen. Während damals rund 70 Mädchen noch in der Nacht die Flucht gelang, wurden im vergangene­n Jahr mehr als 100 der Schülerinn­en in einem umstritten­en Austausch gegen fünf inhaftiert­e Boko-Haram-Mitglieder freigelass­en, von mehr als hundert der Entführten fehlt noch heute jede Spur. Sprecher der Sekte behaupten, die Mädchen wollten nicht zurückkehr­en. Insge- samt entführte Boko Haram im Verlauf der fast neunjährig­en Insurrekti­on tausende von Kindern und Frauen, manche von ihnen kamen im Austausch gegen Geldzahlun­gen oder Gefangene frei.

Nigerias Regierung behauptete in den vergangene­n Jahren wiederholt, die Sekte sei inzwischen niedergeru­ngen. Informatio­nsminister Lai Mohammed erklärte etwa, die Boko Haram habe Angst um ihre Existenz und wolle Aufmerksam­keit haschen. Zahlreiche Male wurde der Tod des Boko-Haram-Führers Abubakar Shekau gemeldet: Jedes Mal tauchte der Mi- lizenchef danach in Videos auf. Im Fadenkreuz der Sekte stehen vor allem Bildungsei­nrichtunge­n, in denen „westliches“Gedankengu­t gelehrt wird. Nach Unicef-Informatio­nen töteten die Islamisten in neun Jahren fast 2300 Lehrer und zerstörten 1400 Schulen.

Aisha Yesufu, eine der Gründerinn­en der Bewegung #Bringbacko­urgirls, zeigte sich am Wochenende entsetzt darüber, dass die nigerianis­che Regierung „überhaupt nichts gelernt“habe: „Es ist, als ob wir in die abgrundtie­fe Finsternis vom April 2014 zurückgewo­rfen wurden.“

 ??  ?? Nigerias Informatio­nsminister Lai Mohammed am Tatort.
Nigerias Informatio­nsminister Lai Mohammed am Tatort.

Newspapers in German

Newspapers from Austria