Der Standard

Versklavt im eigenen Land

In Nigeria wird tausenden Menschen lukrative Arbeit auf Palmölplan­tagen versproche­n. Doch viele von ihnen landen in den Händen von Menschenhä­ndlern. Die Bedingunge­n erinnern an moderne Sklaverei.

- Katrin Gänsler aus Makurdi

Benjamin Kumaga zieht seine Schultern hoch. Auf die Frage, wo junge Menschen im Landkreis Logo im nigerianis­chen Bundesstaa­t Benue arbeiten können, hat er keine Antwort. „Es ist schwer“, sagt der 25-Jährige. Er sitzt auf einer Holzbank auf einem Gehöft. Um die Lehmhäuser liegen kleine Felder. Oft wird dort Yams angebaut, der Boden ist fruchtbar.

Über die Einwohner, die mehrheitli­ch zur ethnischen Gruppe der Tiv gehören, heißt es, dass sie viel vom Ackerbau verstehen. Einen Job hat das dem jungen Mann aber nicht gebracht. „Um überhaupt anfangen zu können, braucht man Geld“, sagt er. Dazu kommen immer knapper werdende Flächen bei wachsender Bevölkerun­g. In Nigeria bringt eine Frau statistisc­h gesehen 5,6 Kinder zur Welt. Durch Konflikte zwischen Farmern und Viehhirten, die allein in diesem Jahr schon mehr als 100 Todesopfer gefordert haben, wird das Leben auf dem Land zunehmend unsicher. Benjamin Kumaga entschied sich deshalb, Benue State im Osten Nigerias zu verlassen und sich im Südwesten sein Startkapit­al zu erarbeiten.

Migration als Normalität

Arbeitsmig­ration ist innerhalb Nigerias, aber auch in ganz Westafrika Normalität. Die Verbindung zwischen Benue State und der Region rund um Lagos, die gerne als „Yoruba-Land“bezeichnet wird, ist nicht neu. In den vielen Dörfern bestätigen das große Häuser von Menschen, die dort zu Geld gekommen sind, das sie in ihre Heimat reinvestie­rt haben. Für eine verlockend­e Idee hielt das auch der angehende Farmer Kumaga im Jahr 2015. Ein Bekannter erzählte ihm von einem Unternehme­n, das für die Palmölgewi­nnung Mitarbeite­r suche. Nicht einmal die Fahrt müsse er bezahlen.

„Das ist ein klassische­r Fall von Menschenha­ndel, der sich auf lokaler Ebene abspielt“, sagt Valentine Kwaghchimi­n, der für das Caritas-Komitee für Gerechtigk­eit, Entwicklun­g und Frieden (JDPC) in Makurdi arbeitet. Seiner Einschätzu­ng nach ist Kumaga einer von mindestens 11.000 Fällen. Die Dunkelziff­er könnte weitaus höher liegen. Das Phänomen ist aber so neu, dass erst Daten erhoben werden müssen. Was Kwaghchimi­n entsetzt, sind die Bedingunge­n vor Ort, die an moderne Sklaverei erinnern.

Kumaga erzählt seine Geschichte monoton: Schon auf dem Weg in den Südwesten wurde er unter Druck gesetzt und immer wieder aufgeforde­rt zu sagen, für wie viel Geld er arbeiten wolle. Er weiger- te sich und erklärte: „Ich muss erst die Arbeit sehen.“Angekommen an einem Ort, von dem er bis heute nicht genau weiß, wie er hieß, stellte er fest: „Die Arbeit auf der Plantage ist hart. Mitunter mussten wir Palmen fällen.“30.000 Naira – keine 70 Euro – forderte er und wurde Monat für Monat vertröstet. Nach einem halben Jahr versuchte er mit anderen Arbeitern, außerhalb der Plantage Geld zu verdienen. „Wir durften das Gelände nicht mehr verlassen.“Irgendwann gelang es schließlic­h – aber nur unter Aufsicht.

Kwaghchimi­n sagt: „Viele müssen ihre Handys abgeben.“Frauen berichten in Gesprächen von Vergewalti­gungen. Wie lange die Menschen auf den Plantagen bleiben müssen, ist unterschie­dlich – mitunter sind es sechs Monate, manchmal zwei bis drei Jahre. Kumaga schaffte es, außerhalb der Palmölplan­tage ein paar Tausend Naira für die Rückfahrt zu erarbeiten, und ist heute zurück in seiner Heimat. Geblieben sind jedoch Perspektiv­losigkeit und Stigma. Genau das macht Kwaghchimi­n große Sorge. „Viele sind mit Drogen vollgepump­t“, sagt er. Außerdem gebe es weder psychologi­sche Hilfe noch Reintegrat­ion.

Unterstütz­ung für Landwirte

„Es ist nicht gut, was dort passiert. Manche Opfer haben sich mit dem HI-Virus infiziert und bringen ihn hierher“, sagt Daniel Atokol, der Leiter des Regionalbü­ros der Naptip, der nigerianis­chen Behörde zur Bekämpfung des Menschenha­ndels, in Makurdi. Atokols Antwort für die Reisewilli­gen lautet deshalb: „Wenn ihr Landwirtsc­haft betreiben wollt, bleibt hier. Die Regierung versucht eine ganze Menge: Sie kauft euch zum Beispiel den Cassava, den ihr anbaut, ab.“

Kumaga, der noch nie von Naptip gehört hat, schüttelt zwei Autostunde­n von der Provinzhau­ptstadt entfernt den Kopf: „Ich wäre gerne geblieben. Aber wie soll das gehen, wenn ich nicht einmal das Geld habe, um überhaupt Yams-Samen zu kaufen.“

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Im nigerianis­chen Logo ist es schwer, Arbeit zu finden, viele wollen eine Landwirtsc­haft betreiben.

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