Der Präsident weckt einen schlafenden Riesen
Die französische Regierung will die Weichen bei der hochverschuldeten Staatsbahn SNCF auf Rosskur und EU-Marktöffnung stellen. Der Konflikt mit Frankreichs mächtigster Gewerkschaft CGT ist programmiert, denn uralte Vorrechte der Eisenbahner stehen infrage
Für Macron wird es ernst. Seit Monaten reformiert der Präsident sein Land ohne nennenswerte Widerstände. Dank politischer Legitimation und Stellung brachte er im Herbst sogar seine Arbeitsmarktreform glatt über die Bühne. Doch der Schwung verfliegt. Nun muss sich Emmanuel Macron einem Gegner stellen, der noch jedem Staatspräsidenten trotzte: Die 150.000 „cheminots“(Eisenbahner) verkörpern Frankreichs letzte Gewerkschaftsfestung – ein Riese, der auf historischen Lorbeeren und Privilegien ruht und es nicht mag, wenn ihm eine Regierung auf den Zehen herumtanzt.
Macron hat allerdings keine Wahl. Die 2016 beschlossene Öffnung des Bahnverkehrs in der EU tritt Ende 2019 schrittweise in Kraft. Damit fällt auch das Monopol der SNCF. Und die Konkurrenten stehen bereit. Das unterscheidet den Eisenbahn- vom Strommarkt: Dessen Liberalisierung änderte faktisch kaum etwas an der Vormachtstellung der Électricité de France. SNCF hingegen muss Widersacher wie die Deutsche Bahn (DB) fürchten, die bereits ICE-Züge bis Paris unterhält.
SNCF, ein Koloss auf tönernen Füssen, hat dem wenig entgegenzusetzen. Die TGV-Züge, Stolz der Nation, insgesamt pünktlicher und billiger als die deutschen Hochgeschwindigkeitszüge, kaschieren nur, in welch miserablem Zustand SNCF ist. Zu 46 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten kommen jedes Jahr drei dazu. Mehr als die Hälfte berappen direkt die Steuerzahler mit je 1000 Euro im Jahr. Lokal- und Regionalbahnen verfallen, Pannen und Unfälle mehren sich dort.
Mit 51 in Pension
Was tun? Die Regierung beauftragte den früheren Air-FranceVorsteher Jean-Cyril Spinetta, die Gründe zu nennen. Sein Bericht spricht Klartext: Das defizitäre TGV-Netz verschlingt wohl Milliarden – noch teurer sind aber die Betriebskosten, die rund ein Viertel über jenen der DB liegen. Ins Geld gehen vor allem die „cheminots“und ihre seit Jahrzehnten angesammelten Vorrechte. Das fahrende SNCF-Personal arbeitet 35 Stunden pro Woche (DB: 38) bei 50 Urlaubstagen im Jahr (DB: 29); es geht mit nicht ganz 51 Jahren in Pension (DB: 63) und profi- tiert von einer besseren Pensionsberechnung als andere Franzosen.
Dieses Eisenbahnerstatut steht im Zentrum der Bahnreform, die Premier Édouard Philippe heute, Montag, vorstellen will. Der Regierungschef will sich nach an den „präzisen und luziden“Folgerungen des Spinetta-Berichts ausrichten. Dieser empfiehlt, keine neuen TGV-Linien zu bauen, die Stilllegung unterausgelasteter Landstrecken und den Nahverkehr in und zwischen Städten zu fördern.
Und: 5000 Angestellte sollen in Frühpension gehen – ein Wort, das für die „cheminots“fremd klingen muss. Am brisantesten ist die Absicht, neue Mitarbeiter nicht mehr nach Bahn-Dienstrecht anzustellen, sondern mit Angestellten-Arbeitsverträgen.
Die heutigen Bediensteten blieben weitgehend verschont, womit die Belegschaft stillgehalten werden soll. Doch der schlafende Riese erwacht – allen voran die ehemals kommunistische Gewerkschaft CGT, die bei SNCF seit dem Zweiten Weltkrieg (als sie Züge der Nazis sabotierte) – den Ton angibt. CGT-Chef Philippe Martinez spricht von „Schocktherapie“und „Privatisierung“– Begriffe, die SNCF-Chef Guillaume Pepy von sich weist. Das Statut will und kann er jedoch nicht garantieren. Deshalb plant die CGT bereits für 22. März, bevor Philippe seine Bahnreform präsentiert hat, einen ersten – verlängerbaren – Streiktag. Die Franzosen erinnern sich an 1995, als die „cheminots“das Land wochenlang blockierten – worauf die Regierung die Reform zurückziehen musste. Erneut deutet alles auf einen harten Konflikt hin. Macron weiß, dass vom Ausgang nicht nur das Schicksal der SNCF abhängt. Bringt er die Bahnreform durch, kann er das Pensionssystem der Beamten angehen. Die „cheminots“stehen also nicht allein da. Macrons Härtetest beginnt erst.