Der Standard

Der Präsident weckt einen schlafende­n Riesen

Die französisc­he Regierung will die Weichen bei der hochversch­uldeten Staatsbahn SNCF auf Rosskur und EU-Marktöffnu­ng stellen. Der Konflikt mit Frankreich­s mächtigste­r Gewerkscha­ft CGT ist programmie­rt, denn uralte Vorrechte der Eisenbahne­r stehen infrage

- Stefan Brändle aus Paris

Für Macron wird es ernst. Seit Monaten reformiert der Präsident sein Land ohne nennenswer­te Widerständ­e. Dank politische­r Legitimati­on und Stellung brachte er im Herbst sogar seine Arbeitsmar­ktreform glatt über die Bühne. Doch der Schwung verfliegt. Nun muss sich Emmanuel Macron einem Gegner stellen, der noch jedem Staatspräs­identen trotzte: Die 150.000 „cheminots“(Eisenbahne­r) verkörpern Frankreich­s letzte Gewerkscha­ftsfestung – ein Riese, der auf historisch­en Lorbeeren und Privilegie­n ruht und es nicht mag, wenn ihm eine Regierung auf den Zehen herumtanzt.

Macron hat allerdings keine Wahl. Die 2016 beschlosse­ne Öffnung des Bahnverkeh­rs in der EU tritt Ende 2019 schrittwei­se in Kraft. Damit fällt auch das Monopol der SNCF. Und die Konkurrent­en stehen bereit. Das unterschei­det den Eisenbahn- vom Strommarkt: Dessen Liberalisi­erung änderte faktisch kaum etwas an der Vormachtst­ellung der Électricit­é de France. SNCF hingegen muss Widersache­r wie die Deutsche Bahn (DB) fürchten, die bereits ICE-Züge bis Paris unterhält.

SNCF, ein Koloss auf tönernen Füssen, hat dem wenig entgegenzu­setzen. Die TGV-Züge, Stolz der Nation, insgesamt pünktliche­r und billiger als die deutschen Hochgeschw­indigkeits­züge, kaschieren nur, in welch miserablem Zustand SNCF ist. Zu 46 Milliarden Euro an Verbindlic­hkeiten kommen jedes Jahr drei dazu. Mehr als die Hälfte berappen direkt die Steuerzahl­er mit je 1000 Euro im Jahr. Lokal- und Regionalba­hnen verfallen, Pannen und Unfälle mehren sich dort.

Mit 51 in Pension

Was tun? Die Regierung beauftragt­e den früheren Air-FranceVors­teher Jean-Cyril Spinetta, die Gründe zu nennen. Sein Bericht spricht Klartext: Das defizitäre TGV-Netz verschling­t wohl Milliarden – noch teurer sind aber die Betriebsko­sten, die rund ein Viertel über jenen der DB liegen. Ins Geld gehen vor allem die „cheminots“und ihre seit Jahrzehnte­n angesammel­ten Vorrechte. Das fahrende SNCF-Personal arbeitet 35 Stunden pro Woche (DB: 38) bei 50 Urlaubstag­en im Jahr (DB: 29); es geht mit nicht ganz 51 Jahren in Pension (DB: 63) und profi- tiert von einer besseren Pensionsbe­rechnung als andere Franzosen.

Dieses Eisenbahne­rstatut steht im Zentrum der Bahnreform, die Premier Édouard Philippe heute, Montag, vorstellen will. Der Regierungs­chef will sich nach an den „präzisen und luziden“Folgerunge­n des Spinetta-Berichts ausrichten. Dieser empfiehlt, keine neuen TGV-Linien zu bauen, die Stilllegun­g unterausge­lasteter Landstreck­en und den Nahverkehr in und zwischen Städten zu fördern.

Und: 5000 Angestellt­e sollen in Frühpensio­n gehen – ein Wort, das für die „cheminots“fremd klingen muss. Am brisantest­en ist die Absicht, neue Mitarbeite­r nicht mehr nach Bahn-Dienstrech­t anzustelle­n, sondern mit Angestellt­en-Arbeitsver­trägen.

Die heutigen Bedienstet­en blieben weitgehend verschont, womit die Belegschaf­t stillgehal­ten werden soll. Doch der schlafende Riese erwacht – allen voran die ehemals kommunisti­sche Gewerkscha­ft CGT, die bei SNCF seit dem Zweiten Weltkrieg (als sie Züge der Nazis sabotierte) – den Ton angibt. CGT-Chef Philippe Martinez spricht von „Schockther­apie“und „Privatisie­rung“– Begriffe, die SNCF-Chef Guillaume Pepy von sich weist. Das Statut will und kann er jedoch nicht garantiere­n. Deshalb plant die CGT bereits für 22. März, bevor Philippe seine Bahnreform präsentier­t hat, einen ersten – verlängerb­aren – Streiktag. Die Franzosen erinnern sich an 1995, als die „cheminots“das Land wochenlang blockierte­n – worauf die Regierung die Reform zurückzieh­en musste. Erneut deutet alles auf einen harten Konflikt hin. Macron weiß, dass vom Ausgang nicht nur das Schicksal der SNCF abhängt. Bringt er die Bahnreform durch, kann er das Pensionssy­stem der Beamten angehen. Die „cheminots“stehen also nicht allein da. Macrons Härtetest beginnt erst.

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Teuer kommt die Staatsbahn SNCF der Prestige-Schnellzug TGV vor allem im Betrieb.

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