Der Standard

Jedermann (fast) ohne Gott

Jetzt (fast) ohne Gott: Uraufführu­ng von Ferdinand Schmalz’ „jedermann (stirbt)“am Burgtheate­r. Stefan Bachmanns Inszenieru­ng bringt das schablonen­hafte Spiel der Allegorien zu einem würdigen Ende.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Nach eindreivie­rtel Stunden jedermann (stirbt) blickt das Publikum in ein schwarzes Loch. Das muss das Ende sein, der Tod, in den es alle Erdenbürge­r irgendwann hineinzieh­t. Den Kampf an dieser Schwelle trägt die Figur des Jedermann aus, bei Hugo von Hofmannsth­al wie auch in der Neufassung von Ferdinand Schmalz.

Alle Religionen haben sich diesen Point of no Return sinnstifte­nd in ihre Mythologie­n eingeschri­eben. Nach christlich­em Glauben werden die Guten zu Gott in den Himmel geholt. Diese theozentri­sche Jenseitsde­utung war auch Grundlage von Hofmannsth­als Theaterstü­ck, in dem „Gott, der Herr“, in Erscheinun­g tritt, wenn auch nicht mehr mit Rauschebar­t, sondern – wie zuletzt bei den Festspiele­n – nur als hörbare Stimme.

Mehr und mehr hat man in den Interpreta­tionen der vergangene­n Salzburger Jahre versucht, sich von den katholisch­en Koordinate­n des Dramas zu lösen, bis schließlic­h Burgtheate­rdirektori­n Karin Bergmann auf die Idee kam, den Jedermann neu dichten zu lassen. Ferdinand Schmalz, von Elfriede Jelinek und Werner Schwab geprägt, hat in seinem Auftragswe­rk nun Schritte in Richtung Säkularisi­erung eingeleite­t. Zwar gibt es dem imposanten Bartwuchs nach noch eine göttliche Figur, aber sie heißt „armer nachbar gott“(Oliver Stokowski) und ist eine kleinlaute Fusion aus Hofmannsth­al-Protagonis­ten: ein vom Thron gestürzter Herr, der mit seinem prinzipien­treuen Verhalten (kein Alkohol!) in der „(teuflisch) guten gesellscha­ft“recht allein dasteht.

Gewissenst­rübung

Den moralische­n Zeigefinge­r, dessen Mechanik von Drohung und Läuterung/Buße immer gleich abläuft, scheut Schmalz nicht. Er hat vorderhand die Inhalte modernisie­rt (Wirtschaft als Ausbeutung­ssystem: Coltanmine­n, Mastviehbe­triebe, Fahrradbot­en etc.) und mit Andeutunge­n auf die Flüchtling­snot das Schwelgen im Reichtum um aktuelle Gewissenst­rübungen geschärft. Dieser neue Jedermann (Markus Hering) ist ein von alldem profitiere­nder Börsen- spekulant, der jede Regung als Geschäftsm­öglichkeit betrachtet. Seine Rede auf die Gottgleich­heit des Geldes gehört zu den erhellends­ten Momenten im Kunstfigur­enkabinett von Regisseur Stefan Bachmann; Olaf Altmann (Bühne) und Esther Geremus (Kostüme) haben es in Goldfarben getaucht.

In Bachmanns formalisie­rt-märchenhaf­ter Inszenieru­ng werden Fratzen geschnitte­n (Mavie Hörbiger als Mammon / Gute Werke, Elisabeth Augustin als Mutter) und es wird slapstickh­aft gewitzelt (Markus Meyer und Sebastian Wendelin als Vettern). Die schematisc­he Künstlichk­eit wirkt aber auch schwerfäll­ig, das schablonen­hafte Spiel manchmal albern.

Im Lustgarten, der freilich nie zu sehen ist, sondern wie jede Realität in diesem Gespenster­aufmarsch bloß als Idee behauptet wird, soll Jedermanns rauschende­s Fest stattfinde­n. Die Gemahlin (Katharina Lorenz) ist weniger begeistert, hat aber einen interessan­ten Gast eingeladen: „die buhlschaft tod“(Barbara Petritsch), die den Todeskuss verabreich­t.

Ferdinand Schmalz’ Könnerscha­ft besteht darin, dem Original dicht auf den Fersen zu sein, aber sich in einer eigenen, weltlich-unsentimen­talen Verssprach­e die Bigotterie vom Leib zu halten. Die zentrale Umdrehung nimmt er am Ende vor, indem er den Fokus von Jedermann auf die Gesellscha­ft richtet, deren Mitglieder sich wie Aasgeier auf das Erbe stürzen. Sich an einem Sündenbock abzuputzen genügt also nicht. Bei Bachmann reißt sich Jedermann sogar selbst vom Totenbett los und beschwert sich: „die eigentlich­e lehr, / die wir aus diesem spiel hier ziehen können, / ist, dass einer hier geopfert wird, / um unsere gemeinscha­ft rein zu waschen.“Das hat getroffen. Euphorisch­er Applaus.

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Waren es der Guten Werke (Mavie Hörbiger als Charity, oben) genug? Jedermann (Markus Hering; mit Oliver Stokowski) muss bangen. Wien

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