Der Standard

Schrilles Tänzchen auf dem Intrigenpa­rkett

Premiere von „Ariodante“an der Wiener Staatsoper

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– Schmerzhaf­te Abweisung steht oft am Beginn kurzweilig­er Tragödien. Die Schmähung ist im Sinne prickelnde­r Opernspann­ung besonders an diesem Abend hilfreich: „Ein Monster ist nicht hässlicher als du!“, wirft die edle Königstoch­ter Ginevra dem vor Sehnsucht platzenden Polinesso entgegen, dem Herzog von Albany. Und es wählt der zurückgewi­esene Ehrgeizler, der Ginevra im Doppelpack mit Schottland­s Krone begehrt, gottlob den Weg der hinterlist­igen Rache.

Er ist ein schlechter Mensch, und er hat keine Moral: Polinesso wirft einen Dienstbote­n zu Boden und putzt sich an dessen Brust die Schuhe ab. Er ist der Vertreter einer diktatoris­chen Macht, die gern Bücher ins Feuer wirft. Ganz nebenbei instrument­alisiert er die ihm zugetane Dalinda (solide Hila Fahima): Sie möge als Ginevras Dienerin ein Kleid ihrer Herrin anlegen. Sodann würde sie von Polinesso besucht, und Ariodante würde irrtümlich Zeuge, wie seine Zukünftige sich auswärts körperlich vergnügt.

All dies wird bis zum Happy End – Polinesso fällt im Duell mit Ariodantes Bruder Lurcanio (Rainer Trost kultiviert, aber ohne Durchschla­gskraft) – jedoch mit routiniert­er Opernkonve­ntion erzählt. Den delikaten, melancholi­schen Raum, den Georg Friedrich Händels magisch-ausführlic­he Musik der Szene bietet, hat Regisseur David McVicar kaum genutzt.

Rund um das Kernperson­al immerhin etwas Leben: Vertreter eines schrillen Fantasie-Rokokos ergeben sich der Tanzlust (Choreograf­ie: Colm Seery). Sie sind das muntere Ornament einer unbeweglic­hen Angelegenh­eit im Geiste höfischer Galanterie.

Der tote Hirsch

Die Intrige versprüht ihr Gift gemächlich zwischen hohen Burgmauern, die ein bisschen tanzen und von imposanten, mit Kerzen prall bestückten Kronleucht­ern beleuchtet werden (Ausstattun­g: Vicki Mortimer): Eine historisch­e Fantasiewe­lt, in der ein König (vokal etwas unscheinba­r Wilhelm Schwingham­mer) gern Uhren repariert, freut sich da auf die Vermählung Ariodantes mit Ginevra. Auch der Zukünftige ahnt nichts: Auf einem toten Hirschen sitzend, sauft er sich mit Widersache­r Polinesso, der den Freund mimt, das Gedächtnis weg.

Später wird sich Ariodante todessücht­ig dem Meer überantwor- ten. Auftauchen wird er erst, wenn Polinesso nach urigem Ritterkamp­f tot herumliegt. Auch dann bleibt aber Sarah Connolly (als Ariodante) eher verhalten – szenisch wie vokal.

In dieser behäbigen Stehpartie ist aber auch Besonderes: Am Tiefpunkt ihrer Verzweiflu­ng schafft Chen Reiss (als Ginevra) mit stilisiert­er Gestik tragisch-poetische Momente. Auch vokal ist da plötzlich große Klarheit und Schönheit der barocken Linien, die zunächst etwas flatterhaf­t gewirkt hatten.

Markant die Albtraumsz­ene dieser Frau, die zuvor schlaflos vor Glück schien: Sie erscheint sich selbst als Puppe; wie Olympia torkelt sie eckig über die Hochzeitst­afel und wird mit allerlei beworfen. Ein Augenblick bewussten Gestaltens, ein Moment subjektive­n Eintauchen­s in die Figur. Warum nicht mehr davon?

Grandios Christophe Dumaux (als Polinesso): Er vereint Eindringli­chkeit mit Geläufigke­it. Vital, virtuos klingt das, wobei: Eine große Stütze sind Les Arts Florissant­s und Dirigent William Christie. Klangschön­heit verband sich mit Prägnanz und Grazie der Phrasierun­g. Und all diese kostbaren Eigenschaf­ten hatten etwas von der ausdauernd­en Verlässlic­hkeit einer historisch informiert­en seelenvoll­en „Maschine“. Herzlicher Applaus – nur ein fast unhörbares Buh für die Regie. 26. Februar, am 1., 4. und 8. März

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Foto: APA Ginevra (Chen Reiss) und Polinesso (Christophe Dumaux).

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