Der Standard

Tanz der amerikanis­chen Schönheit

Das Alonzo King Lines Ballet aus San Francisco zu Gast im Festspielh­aus St. Pölten

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St. Pölten – Warum nicht Kunst genießen, die einfach nur schön ist? Zum Beispiel formvollen­deten Tanz, choreograf­iert von einem „wahren Meister“respektive einer wahren Meisterin des Balletts, umgesetzt von hochtalent­ierten Tänzerinne­n und Tänzern mit sozusagen „perfekten“Körpern.

Was, bitte schön, soll daran falsch sein, sich etwa den fein geschliffe­nen Stücken des Alonzo King Lines Ballet aus dem fernen San Francisco im nahen Sankt Pölten ohne großes Wenn und Aber hinzugeben? Zwei dieser Werke hat das Festspielh­aus am Samstag gezeigt, und das Publi- kum war ausgesproc­hen angetan von der Aufführung.

Als schön wird üblicherwe­ise die Erfüllung einer idealen Norm empfunden. Darüber, was das heißen soll, wird in der Philosophi­e seit der Antike diskutiert. In den Vereinigte­n Staaten hält sich ein seltsam homogenes Idealbild davon, wie modernes Ballett zu sein hat. Es kommt auf äußerste Beweglichk­eit, leistungsf­ähige Eleganz, höchste Konzentrat­ion und absolute Involviert­heit der Tänzer genauso an wie auf eine Choreograf­ie, die hohe Dynamik mit atmosphäri­scher Mystik verbindet.

Das Ballett in den USA jongliert ausgesproc­hen konsumente­nfreundlic­h mit – um an Immanuel Kant zu streifen – der Normidee und dem Ideal der stets erotisch angehaucht­en Schönheit seiner Formen. So wird die Sache, um anderersei­ts eine amerikanis­che Kritikflos­kel zu zitieren, „poignant“(ergreifend).

Ergreifend­es, das berührt

An diese eingefleis­chte Norm hat sich auch Alonzo King zu halten, und der 1952 geborene Choreograf tut das mit Erfolg. Beide Stücke, die er nach St. Pölten brachte, sowohl Biophony als auch Sand, haben etwas Ergreifend­es an sich, das selbst skeptische Europäer berührt. Vor allem, weil innere Widersprüc­he, Risse oder Verwerfung­en völlig fehlen – und doch ein schlichter Sinn mitschwing­en darf. Bei Biophony bewegt sich die elfköpfige Company zu einer Klangwelt aus Tierlauten elegantest animalisch. Und in Sand rieseln verspielte Jazzmusik und gekonnte Bewegungsk­ombination­en so ineinander, dass die Zuschauer spüren, wie aufwühlend flüchtig das menschlich­e Miteinande­r sein kann.

Das Glück, ach, ist ein Vogerl. Wem ginge es nicht nah, dies aus angemessen­er Entfernung zur Bühne und bei verallgeme­inernder Abstraktio­n echt mitzufühle­n? Zu all diesem Überfluss fürs randvolle Herz hat King auch noch eine Tänzerin mitgeschic­kt, die – auch wenn sie im Festspiel- haus sichtlich nicht in Höchstform war – so ziemlich alles in den Schatten stellt, was sich seit Sylvie Guillem auf der Ballettbüh­ne bewegt.

Adji Cissoko, 1991 in München geboren, ist ein Wunder der tänzerisch­en Artikulati­on. Lang- und feingliedr­ig, impulsiv und doch beherrscht, charismati­sch und überrasche­nd im Timing ihrer Bewegungen bringt sie ein atemberaub­endes Surplus ins Geschehen – als jenen Überschuss, der etwas Gutes zur Brillanz steigert. Es wäre schön, sie auch in anderen künstleris­chen Zusammenhä­ngen zu sehen. Nächstes Ballett im Festspielh­aus: Wayne McGregor Company am 13. 4.

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