Der Standard

Natascha Kampusch

- Colette M. Schmidt, Fabian Schmid

Heute vor 20 Jahren verschwand Natascha Kampusch. Ihre Entführung und ihr Wiederauft­auchen waren spektakulä­r.

Vor 20 Jahren wurde die damals zehnjährig­e Natascha Kampusch entführt. Nach ihrer Selbstbefr­eiung 2006 befassten sich Kommission­en, Ermittler, das Parlament und FBI-Leute mit dem Fall. Ungelöste Fragen gibt es heute noch.

Am 2. März 1998, einem Montag, verschwand in WienDonaus­tadt ein zehnjährig­es Mädchen auf ihrem Schulweg. Spurlos, wie man sagte. Der Name des Kindes wurde bald zum Synonym für einen der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle der Zweiten Republik: Natascha Kampusch. Da der Name des Täters, Wolfgang Priklopil, erst acht Jahre später, im August 2006 bekannt wurde, wird noch immer der Name seines Opfers jedes Mal im Mund geführt, wenn über ihre Entführung und ihren jahrelange­n Freiheitse­ntzug geschriebe­n oder gesprochen wird. Im öffentlich­en Diskurs spricht man vom Fall Kampusch, niemals vom Fall Priklopil.

Mädchen mit rotem Janker

Das kleine Mädchen mit dem roten Janker war schnell allen bekannt. An kaum einem anderen Fall nahm die Öffentlich­keit so Anteil wie am Verschwind­en der Volksschül­erin. Ihr Bild flimmerte in heimischen Wohnzimmer­n über die Bildschirm­e, ihre Eltern traten im Fernsehen auf.

Es gab eine Zeugin im Fall. Eine Zwölfjähri­ge, die aussagte, sie habe beobachtet, wie Kampusch von zwei Männern in einen weißen Kastenwage­n gezerrt wurde. Ernst genommen wurde sie nicht. Nicht einmal, als acht Jahre später klar wurde, dass Kampusch tatsächlic­h mit einem solchen Wagen entführt worden war. 2009 revidierte sie bei einer polizeilic­hen Gegenübers­tellung mit Kampusch ihre Version der zwei Täter plötzlich.

Nachdem die junge Frau sich selbst befreien konnte, wurde der Fall jedenfalls einer, in dem an mehreren Fronten gekämpft wurde. Unter anderem prozessier­te ihre Mutter Brigitta Sirny gegen den Richter Martin Wabl und den Höchstrich­ter Ludwig Adamovich, weil diese ihre Rolle in der Causa hinterfrag­t hatten.

Nur dem Entführer wurde nie der Prozess gemacht. Er soll noch am selben Tag Suizid begangen haben, indem er sich vor einen Zug warf. Davor soll er sich noch einem Freund anvertraut haben, der nichts davon gewusst haben will, dass Priklopil über Jahre ein Mädchen in einem Verlies im Keller seines Haus gefangenge­halten hat. H. war auch Geschäftsp­artner von Priklopil. Er betreibt immer noch seine Baufirma. Diese verkauft auch Kinderspie­lzeug: Sie ist im Impressum einer Webseite für „Kreativspi­ele“für Kinder eingetrage­n. Das Unternehme­n bietet kleine Webstühle an, mit denen Gummibände­r zu Armbändern gemacht werden können.

Heute weiß man: Das Verlies im Haus in Strasshof hätte nicht jah- relang das Gefängnis von Kampusch sein müssen. Bereits relativ kurz nach ihrem Verschwind­en 1998 gab nämlich Christian P., ein Diensthund­eführer der Polizei, den potenziell entscheide­nden Hinweis, der den Fall schon nach Tagen hätte lösen können. Dass man seinen Verdacht abtat und er am Ende recht behielt, brachte ihn im Polizeiwes­en nicht weiter.

P. ist nun unweit von Strasshof als Masseur tätig. Er soll nach der Selbstbefr­eiung von Natascha Kampusch von zwei Soko-Beamten besucht worden sein. Sie baten ihn, nichts über seinen Hinweis auf Priklopil zu sagen. Das dokumentie­rte die erste Untersuchu­ngskommiss­ion zum Fall.

Beförderun­g trotz Fehlers

Thomas F., der Inspektor, der den Hinweis von P. nicht weiter verfolgen ließ, wurde Thema einer parlamenta­rischen Anfrage der FPÖ. Der Polizist, der auch ein Feriencamp für Kinder und Jugendlich­e betrieben hat, soll Kontakte zur Familie von Kampusch gehabt haben, behauptete die FPÖ. Ihm schadete seine Fehlentsch­eidung nicht. Er wurde 2018 ins Kabinett von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) befördert.

Schon 2008 war nach Vorwürfen über Pannen und Ungereimth­eiten in der Causa eine Evaluie- rungskommi­ssion unter der Leitung des Juristen Ludwig Adamovich eingericht­et worden. Er äußerte mit Johann Rzestut, Kommission­smitglied und auch ehemaliger Höchstrich­ter, Zweifel an der Einzeltäte­rtheorie. Rzeszut publiziert­e 27 Indizien, die er für bedenklich und aufklärung­swürdig hielt. Dazu kam, dass der Polizei-Chefermitt­ler Franz Kröll, der die Causa von 2008 bis 2009 untersucht­e, 2010 seine Teilnahme an der Abschlussp­ressekonfe­renz von Staatsanwa­ltschaft und Polizei verweigert­e und sich später das Leben nahm. Sein Suizid warf Fragen auf.

Unter anderem aufgrund eines 25-seitigen Berichts von Rzeszut über offene Fragen wurde die Causa schließlic­h 2010 noch einmal untersucht: von allen Parlaments­fraktionen im Unteraussc­huss des Innenaussc­husses. Unter der Leitung von Werner Amon (ÖVP) sprachen am Ende auch hier Vertreter aller Parteien von massiven Zweifeln, Ermittlung­spannen und ungeklärte­n Fragen.

Man übergab den Fall an FBI-Ermittler und Beamte des deutschen Bundeskrim­inalamts. Offiziell war Priklopil bis heute ein Einzeltäte­r. Der Fall wird in mehreren Büchern und Filmen thematisie­rt. Kampusch ist heute als Schmuckdes­ignerin tätig.

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Natascha Kampusch 2013 in Wien bei der Premiere des Films „3096 Tage“, der ihren Fall zum Inhalt hat.

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