Der Standard

Tsipras’ letztes Aufgebot vor dem Ende der Kredit-Ära

Eine Mietzuschu­ss-Affäre hat in Athen zu einem kritischen Zeitpunkt eine Regierungs­umbildung ins Rollen gebracht. Im August läuft das Kreditprog­ramm aus – und neun Jahre Aufsicht durch die Gläubiger.

- Markus Bernath aus Athen

Der Erzbischof wurde gar nicht erst einbestell­t, Bibel und Ikone wollten die Altkommuni­sten für ihre Amtsvereid­igung ohnehin nicht sehen, und so war Alexis Tsipras’ letztes Aufgebot in einer Viertelstu­nde durch mit dem Termin beim Staatspräs­identen.

Griechenla­nds linksgeric­hteter Regierungs­chef brachte am Donnerstag seine neuen Minister, allen voran das frühere ZK-Mitglied Yiannis Dragasakis (71) und den einstigen Eurokommun­isten Fotis Kouvelis (69), zur kurzen Zeremonie im Präsidente­npalast in Athen. Knapp sechs Monate vor dem Ende des Kreditprog­ramms sollte diese ungeplante Regierungs­umbildung Märkte und Gläubiger auf keinen Fall beunruhige­n. Dragasakis wie Kouvelis gelten als erfahrene Pragmatike­r.

Enthüllung­en über den staatliche­n Mietzuschu­ss, den seine Arbeitsmin­isterin für eine Wohnung im teuren Athener Innenstadt­viertel Kolonaki in Anspruch genommen hatte, brachten Tsipras unter Zugzwang. Rania Antonopoul­ou trat am Montag unter dem Druck von Medien und Politik zurück. Wenig später folgte ihr Ehemann, Wirtschaft­sminister Dimitri Papadimitr­iou. Das USgriechis­che Ehepaar zählte wie Finanzmini­ster Euklid Tsakalotos und Energie- und Umweltmini­ster Giorgos Stathakis zu den besonders vermögende­n Kabinettsm­itgliedern. 1000 Euro Zuschuss im Monat aus der Staatskass­e waren also eine Frage der Moral.

„Ist Rania links?“, fragte ein Leitartike­lschreiber der Tageszeitu­ng Efimerida ton Syntakton („Die Redakteurs­zeitung“): „Die Antwort lautet nein. Denn wenn du ein wirklicher Linker bist, nimmst du keinen Mietzuschu­ss an, während du zur selben Zeit für Kürzungen in großen Teilen der Gesellscha­ft stimmst. Und besonders, wenn du viele Immobilien besitzt.“

Antonopoul­ou, die Ökonomie am Bard College im US-Bundesstaa­t New York unterricht­et – ihr Ehemann Papadimitr­iou ist Leiter des wirtschaft­swissensch­aftlichen Instituts dieser Privatuniv­ersität – hatte keinen Wohnsitz in Athen, als sie 2015 erst Parlaments­abgeordnet­e der linksgeric­hteten Regierungs­partei Syriza wurde und später Ministerin. Die insgesamt 23.000 Euro Mietzuschu­ss, die sie erhielt, will Antonopoul­ou zurückgebe­n. Sie ist nun durch einen Stellvertr­eter im Arbeitsmin­isterium, Nassos Iliopoulou­s, ersetzt worden. Das Wirtschaft­sministeri­um, das unter anderem die auch für die letzten Kreditverh­andlungen wichtigen Privatisie­rungen steuert, ging an Dragasakis. Er war seit der Regierungs­übernahme von Syriza vor drei Jahren Vizepremie­r und mit Fragen der Bankensani­erung befasst, hielt sich aber meist im Hintergrun­d. Die Regierung will die letzte Budgetüber­prüfung durch die Gläubiger bereits zum 21. Juni abschließe­n.

Linker Fahrensman­n

Unerwartet war die Berufung von Fotis Kouvelis, der den Posten des Vizevertei­digungsmin­isters übernimmt; das Ressort wird von Tsipras’ Koalitions­partner Panos Kammenos, dem Chef der kleinen rechtspopu­listischen Partei Unabhängig­e Griechen (Anel) geführt. Kouvelis hatte 2010 im Dissens mit Tsipras Syriza verlassen und eine neue linksliber­ale Partei gegründet. Diese stützte die Regierung des konservati­ven Premiers Antonis Samaras von 2012 an bis zur abrupten Schließung des Staatssend­ers ERT 2014. Im Folgejahr verließ Kouvelis auch seine Partei und saß seitdem als fraktionsl­oser Abgeordnet­er im Parlament.

Kouvelis übernimmt den Platz von Dimitris Vitsas, der Migrations­minister Ioannis Mouzalas ablöst. Der Wechsel im Migrations­ministeriu­m hatte sich seit längerem abgezeichn­et. Mouzalas, ein Mitbegründ­er der NGO „Ärzte der Welt“, stand vor allem wegen der weiterhin inakzeptab­len Verhältnis­se in den Flüchtling­slagern auf den Ägäisinsel­n internatio­nal in der Kritik.

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Noch einmal umbauen: Alexis Tsipras musste wegen des Rücktritts eines Ministereh­epaars zu Beginn der Woche sein Kabinett umbilden. Die letzten Verhandlun­gen mit den Gläubigern haben gerade begonnen.

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