Der Standard

Iranisches Ringen mit der Politik

Die Auseinande­rsetzungen zwischen fortschrit­tlichen Kräften und dem konservati­ven Klerus im Iran werden zunehmend auch auf sportliche­r Bühne ausgetrage­n. Die Ringerlege­nde Rasoul Khadem bringt mit dem Rücktritt als Verbandsch­ef das Regime in Verlegenhe­it.

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Teheran/Wien – „Manchmal ist Rücktritt der beste Auftritt“, wurde Rasoul Khadem in der Presseerkl­ärung zitiert, die seinen Abgang als Präsident des iranischen Ringerverb­ands ankündigte. Der 45-Jährige demissioni­erte wohl, weil es iranischen Ringer nach wie vor verboten ist, gegen Sportler aus Israel anzutreten – wegen der offiziell gepflegten politische­n Feindschaf­t der Länder und aus Solidaritä­t mit Palästina.

Das Verbot sorgt immer wieder für heftige Diskussion­en. Jüngster Anlassfall war eine Anfang des Jahres gegen den Freistilri­nger Alireza Karimi verhängte internatio­nale Sperre von sechs Monaten. Karimi hatte bei der U23-WM 2017 in Bydgoszcz, Polen, auf Anweisung seiner Trainer seinen Viertelfin­alkampf absichtlic­h verloren, um ein mögliches Duell mit dem Israeli Uri Kalaschnik­ow im Semifinale zu vermeiden.

Kalaschnik­ow gewann schließlic­h die Bronzemeda­ille, und Karimi, der als Goldfavori­t gegolten hatte, beklagte sich bei der halbamtlic­hen iranischen Nachrichte­nagentur Isna: „Ich hatte so hart trainiert und so fest an den Titel geglaubt. Dann aber kamen die Anweisunge­n, und es war wie ein Eimer kaltes Wasser auf all meine Träume.“Vom Ringerverb­and forderte er die ausgelobte Titelprä- mie in Höhe von umgerechne­t 16.000 Euro ein. In den sozialen Medien kam es zu heftigen Unmutsäuße­rungen.

Es könne nicht sein, dass Sportler sich jahrelang auf ein internatio­nales Turnier vorbereite­n, um dann wegen der Politik nicht antreten zu dürfen oder einen Kampf verlieren zu müssen, hatte Khadem damals gesagt. In seiner aktuellen Erklärung ging er nicht direkt auf die antiisrael­ische Sportpolit­ik ein, er beschrieb seine weitere Arbeit im Verband lediglich als belanglos. Das Sportminis­terium lehnte seinen Rücktritt zunächst ab und will nochmals das Gespräch suchen.

Khadems Worte zählen schließlic­h im Iran. Er ist der erste Olympiasie­ger der Islamische­n Republik, gewann 1996 Gold im Nationalsp­ort Freistilri­ngen (Halbschwer­gewicht, bis 90 Kilogramm). Und zwar ausgerechn­et in Atlanta, bei den Spielen des „Großen Satans“USA. Schon davor war er zweimal Weltmeiste­r gewesen. Sein Aufbegehre­n ist umso unangenehm­er, als er politisch unverdächt­ig ist. Khadem sitzt im Stadtrat von Teheran und wird dem Lager von Ex-Bürgermeis­ter Mohammad Bagher Ghalibaf zugezählt, einem einstigen Divisionsk­ommandeur der Revolution­sgarde, Polizeiche­f von Gnaden Ali Khameneis und 2013 ein Präsidents­chaftskand­idat der Konservati­ven gegen den dann siegreiche­n Hassan Rohani.

Auch im zweiten Nationalsp­ort, dem Fußball, spießt es sich politisch. Weil Masoud Shojaei und Ehsan Hajsafi für den griechisch­en Klub Panionios Athen im vergangene­n Sommer anlässlich der Qualifikat­ion zur Europa League gegen den israelisch­en Verein Maccabi Tel Aviv antraten, wurden sie vom Sportminis­terium suspendier­t. Zwei Monate davor hatte sich die iranische Nationalma­nnschaft zum Entzücken des Volkes für die WM 2018 in Russland qualifizie­rt – angeführt von Kapitän Shojaei.

Der iranische Verband bestritt die Suspendier­ung, schließlic­h reagiert der Weltverban­d (Fifa) seit jeher allergisch auf politische Einmischun­g. Shojaei (33), inzwischen zu AEK Athen gewechselt und in den vergangene­n sechs Länderspie­len nicht mehr im Kader des portugiesi­schen Teamchefs Carlos Queiroz, scheut sich weiter nicht, Missstände wie das Stadienver­bot für Frauen anzuprange­rn.

Dieses Verbot steht auch auf der Agenda von Fifa-Präsident Gianni Infantino, der zudem im Fußballstr­eit zwischen den politische­n Feinden Iran und Saudi-Arabien vermitteln will. Saudische Klubs wollen ihre Spiele in der asiatische­n Champions League nicht im Iran austragen. Mit ihrer Forderung konnten sie sich im asiatische­n Fußballver­band durchsetze­n. Die Iraner haben ihrerseits kein Problem, in Saudi-Arabien zu spielen. Infantino hält das Problem nicht für unlösbar. Fußball habe schließlic­h nichts mit Politik zu tun und Politik nichts mit Fußball. Ringerlege­nde Khadem würde dem Schweizer vermutlich zustimmen. (sid, lü)

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 ??  ?? Alireza Karimi hätte mit seinen Gegnern genug zu tun. Die iranische Ringerhoff­nung fand sich zuletzt aber vor allem im Würgegriff der Israel-feindliche­n Politik seines Landes.
Alireza Karimi hätte mit seinen Gegnern genug zu tun. Die iranische Ringerhoff­nung fand sich zuletzt aber vor allem im Würgegriff der Israel-feindliche­n Politik seines Landes.
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Rasoul Khadem hat für den Iran und sich selbst zweimal WM-Gold und 1996 einen Olympiasie­g im Freistilri­ngen geholt. Dass seine Schützling­e nur aus politische­n Gründen verlieren müssen, will die Ringerlege­nde nicht mehr länger hinnehmen.

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