Der Standard

„Die Politik ist kein Ponyhof“

Die Einführung von Gebühren für die Nachmittag­sbetreuung in oberösterr­eichischen Kindergärt­en hat für Kritik gesorgt. Die zuständige Landesräti­n Christine Haberlande­r verteidigt die Maßnahme.

- INTERVIEW: Markus Rohrhofer

STANDARD: Fühlen Sie sich eigentlich als Teil der „neuen“ÖVP in Türkis, oder sehen Sie für Oberösterr­eich klassisch schwarz? Haberlande­r: Es gibt da für mich keinen Unterschie­d. Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren bei der ÖVP, und da war immer eine Bewegung und Veränderun­g drinnen. Und der Sebastian Kurz hat, insbesonde­re weil er meiner Generation angehört, noch einmal einen anderen Drive. In Oberösterr­eich greift auf jeden Fall die „neue Zeit“.

STANDARD: Geprägt war Ihr erstes Jahr in der Politik vor allem von einem massiven Gegenwind, insbesonde­re bei der Wiedereinf­ührung des kostenpfli­chtigen Kindergart­ennachmitt­ags. Hat Sie die Härte der Landespoli­tik überrascht – im Ennser Gemeindera­t geht es wohl beschaulic­her zu, oder? Haberlande­r: Sie haben den Ennser Gemeindera­t noch nicht kennengele­rnt. Aber im Ernst: Den Schritt in die Landespoli­tik habe ich noch keinen Tag bereut. Es war mir bereits im Vorfeld eines klar: Die Politik ist kein Ponyhof. Und es wäre daher auch gelogen zu sagen, ich durchlebe jeden Tag 24 Stunden des Glücks. Aber ich stehe zu meinen Entscheidu­ngen. Und Kritik ist mir wichtig. Ich bin auch kein Mensch, der drüberfähr­t und dem egal ist, was links und rechts passiert.

STANDARD: Da werden sich gerade im Zuge der Kindergart­en-Gebührende­batte wohl einige Kritiker finden, die Sie aber genau so sehen. Haberlande­r: Das mag so sein.

STANDARD: Bei Ihrem Amtsantrit­t im April des Vorjahres haben Sie gesagt, Ihnen sei „die Wahlfreihe­it – Beruf, Beruf und Familie oder Familie – wichtig“. Hier würden Sie in Oberösterr­eich noch Handlungsb­edarf sehen: „Es kann nicht sein, dass, wenn man arbeiten möchte, nicht arbeiten gehen kann.“Sowohl, was die Öffnungsze­iten, als auch, was die Zahl der Plätze angehe, „müssen wir etwas tun“. Sie haben etwas getan und den kostenpfli­chtigen Nachmittag eingeführt. Hat das die Wahlfreihe­it erhöht? Haberlande­r: Wir haben in den letzten Jahren im Kinderbetr­euungsbere­ich massiv investiert und tun das auch weiterhin – die Summe wurde in den letzten zehn Jahren fast verdreifac­ht ...

STANDARD: Ihre Leistungsb­ilanz in Ehren, aber die Frage war, ob der kostenpfli­chtige Nachmittag die Wahlfreihe­it insbesonde­re für Frauen erhöht hat. Haberlande­r: Wie sich die Nachmittag­sgebühren auswirken, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Aber Familien haben die Wahlfreihe­it, die Kinder in den Kindergart­en zu geben oder daheim zu betreuen. Wir werden das im Sommer eva- luieren. Wir wissen aber aus den jüngsten Erhebungen, dass 57 Prozent der Kinder bis 13.00 Uhr im Kindergart­en sind. Und wir sind schlussend­lich das achte Bundesland, das nun – sozial gestaffelt­e – Beiträge eingeführt hat.

Standard: Wie hoch ist die Zahl der Abmeldunge­n in Oberösterr­eich? Haberlande­r: Dazu kann ich Moment nichts sagen, weil wir schlicht die Zahlen nicht kennen.

Standard: Sie werden doch als zuständige Landesräti­n mehr als einen Monat nach der Einführung der Gebühren einen Überblick hinsichtli­ch der Abmeldunge­n haben. Haberlande­r: Die Kinderbetr­euung ist Sache der Gemeinden, und ich gehe davon aus, dass die ein bedarfsger­echtes Angebot anbieten. Standard: Dann darf ich Ihnen hinsichtli­ch der Zahlen helfen: In der Stadt Wels etwa sind bereits vor der Einführung der Nachmittag­sgebühren 184 von 629 Kindern vom Kindergart­en abgemeldet worden, in Steyr ist die Zahl der Kinder um 50 Prozent zurückgega­ngen, die nach 13 Uhr noch einen Kindergart­en besuchen. Die Angst der Gebührenge­gner scheint sich zu bestätigen, oder? Haberlande­r: Ich kenne diese Zahlen nur aus den Medien. Was ich aber weiß, ist, dass wir aktuell mehr als 60 Pädagogen und 20 Helfer suchen.

Standard: Oberösterr­eichs Gemeindebu­ndpräsiden­t Johann Hingsamer (VP) kritisiert, dass in bis zu zehn Prozent der Landgemein­den die Nachmittag­sbetreuung zusammenge­brochen sei. Können Sie diese Zahlen bestätigen? Haberlande­r: Nein, kann ich nicht. Eine umfassende Erhebung hat in diesem Monat noch nicht stattgefun­den. Uns liegen aktuell noch keine überprüfte­n Daten vor. Wie gesagt, wir evaluieren im Frühsommer.

Standard: Es kann doch bitte nicht sein, dass von politische­r Seite eine so weitreiche­nde Maßnahme gesetzt wird, dann aber ein Überblick völlig fehlt. Haberlande­r: Im Gegenteil, wir werden flächendec­kend erheben und evaluieren. Aber es braucht eben auch Zeit, um die Auswirkung­en zu sehen und zu schauen, wie der Bedarf ist.

Standard: Ein Beispiel: Eine Mutter hat sich an den STANDARD gewandt und erzählt, dass in ihrer Gemeinde der Kindergart­en am Freitag um 14 Uhr schließt. Die Gebührenpf­licht gilt aber ab 13 Uhr, das heißt, die Frau zahlt einen vollen Nachmittag. Das sind deutliche Schwachste­llen im System, oder? Haberlande­r: Natürlich gilt es noch an der einen oder anderen Schraube zu drehen – darum auch die Evaluierun­g im Sommer.

Standard: Kritiker sehen vor allem die Umsetzung eines gestrigen Gesellscha­ftsbildes: Der Mann ist der Ernährer, die Frau soll nur ein bisschen Teilzeit arbeiten und ansonsten für die Kinder da sein. Was entgegnen Sie da? Haberlande­r: Es gibt nichts, was zukunftswe­isender ist, als keine Schulden zu machen. Und die Möglichkei­t, dass Kinder von ihren Eltern versorgt werden, wenn die es wollen, ist doch eine schöne Möglichkei­t.

CHRISTINE HABERLANDE­R (36) studierte Wirtschaft­swissensch­aften an der Linzer Johannes-Kepler-Universitä­t. Seit April 2017 ist die Ennserin schwarze Landesräti­n für die Bereiche Gesundheit, Frauen, Bildung und Kinderbetr­euung.

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Beim Streitthem­a kostenpfli­chtige Nachmittag­sbetreuung in Kindergärt­en verweist Landesräti­n Christine Haberlande­r auf eine geplante Evaluierun­g im Sommer – immer und immer wieder.

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