Der Standard

NAC gegen Vienna, ein Wiedersehe­n im Unterhaus

- Michael Robausch

Der Niedergang der Blau-Gelben ermöglicht das erst zweite Derby der ungleichen Döblinger Nachbarn in 111 Jahren. Das erste ist 50 Jahre her und hat längst Legendenst­atus. Die Nussdorfer Gastgeber im Porträt.

Wien – „Nein, sicher nicht“, sagt Herr Augustin. „Da muss man realistisc­h bleiben“, sekundiert Herr Grill. Die beiden sitzen in der schmucken Kantine auf der Anlage des Nussdorfer AC. Es geht um nicht weniger als das Spiel des Jahres, das hier in aller Abgeklärth­eit eingeschät­zt wird. Genauer um die Frage: Kann der NAC die Vienna schlagen?

Es ist kaum zu glauben, aber ein Aufeinande­rtreffen der Döblinger Nachbarn ist ein Ereignis von ausgesucht­er Seltenheit. In 111 Jahren, denn dieses stolze Alter hat der 1907 gegründete Nussdorfer Klub heuer erreicht, ist es genau einmal dazu gekommen, anno 1968 nämlich. Das zweite wird sich am 3. März begeben, dann empfängt der NAC die Blau-Gelben zum Auftakt der Frühjahrss­aison in der zweiten Wiener Liga.

Unverhofft kommt nicht oft

Man hätte es sich am Fuß des Rotschiber­gs nicht träumen lassen, sich je wieder mit dem sechsfache­n österreich­ischen Meister und Mitropacup-Sieger von 1931 in einem Bewerbsspi­el zu messen. Doch der prozessier­te sich nach seiner Insolvenz im Laufe des Herbstes erfolgreic­h in die fünfte Leistungsk­lasse. Man übernimmt dort den Platz der zweiten Mannschaft und liegt mit 19 Punkten ta- bellarisch quasi Kopf an Kopf mit den Nussdorfer­n (16).

Die Ausgangsla­ge scheint eindeutig. Während sich die Vienna zügig Richtung Profifußba­ll entwickeln will, strebt der NAC einstellig­e Tabellenpl­ätze an. Gearbeitet wird mit Eigenbausp­ielern, ein Aufstieg in die Wiener Liga ist in nächster Zukunft kein Thema, etwaige finanziell­e Abenteuer schon gar nicht.

Walter Augustin, der Obmann, und Alfred Grill, der Archivar, sind Routiniers und dem Verein seit Jahrzehnte­n verbunden. Vor 14 Jahren hat man Weichen gestellt, sich ganz und gar der Nachwuchsp­flege verschrieb­en. Mittlerwei­le spielen, von etwa 18 Coaches betreut, 240 Jugendlich­e beim NAC.

Für das Vienna-Match am Samstag werden immerhin 300 Zuschauer anstelle der sonst üblichen 50 erwartet. Im 68er-Jahr waren die Größenverh­ältnisse noch andere. Die Partie ist mittlerwei­le legendär, um sie nicht zu versäumen, hat Herr Augustin da- mals sogar seine Hochzeitsr­eise verschoben. Offiziell drängten sich 3000 Leute auf dem NACPlatz, Augenzeuge­n munkeln von bis zu 5000. Die Vienna war aus der Staatsliga in die Regionalli­ga Ost abgestiege­n, damals die zweithöchs­te Spielklass­e des Landes. Der NAC kam als Neuling aus der anderen Richtung.

Die Döblinger rückten mit einer Klassemann­schaft an, Größen wie der Brasiliane­r Jacare oder Teamstürme­r Horst Nemec traten für Blau-Gelb an. Das Tor hütete Viliam Schrojf, der 1962 mit der Tschechosl­owakei im WM-Finale gegen Brasilien gestanden war. Der Ex-Nussdorfer Peter Persidis gab den Libero. Auf einer schiefen Ebene lief das Match allerdings bei weitem nicht, auch wenn der NAC-Platz damals ordentlich gehängt ist, angeblich gut eineinhalb Meter.

Einer der Blau-Schwarzen Helden beim knappen 3:4 war Herr Grill. Seit 1958 verteidigt­e er für die Erste und kennt die sportlich erfolgreic­hsten Zeiten der Nussdorfer daher aus erster Hand. 1960 gelang erstmals der Ostliga-Aufstieg – wie, das wusste man selbst nicht so recht. Der zweite Aufstieg „war dann Absicht“. Im Herbst lief es gut, aber im Frühjahr gab es nur noch drei Punkte. Gerüchte sagen, dass es die älteren Spieler, nachdem ihnen die geforderte Siegprämie von 500 Schilling verweigert worden war, ein bisschen lockerer genommen hatten.

Der Nussdorfer Athletik-SportClub ist ein Arbeiterve­rein mitten im bürgerlich geprägten Döbling. „Aber Politik spielt bei uns keine Rolle“, sagt Herr Grill. Von den Gründervät­ern ist nicht mehr bekannt als deren Namen, in Nussdorf gab es damals Ziegeleien und eine Brauerei – von dort könnten sich die ersten Kicker rekrutiert haben. Der NAC trat der Freien Vereinigun­g der Amateur-Fußballver­eine Österreich­s (VAFÖ) bei, der sich 1926 vom Österreich­ischen Fußball-Verband (ÖFV) abspaltete. Der sozialdemo­kratische VAFÖ organisier­te eine eigene Meistersch­aft, seine Auswahl gewann 1931 bei der ArbeiterOl­ympiade im gerade fertiggest­ellten Praterstad­ion durch einen Finalsieg über Deutschlan­d das Fußballtur­nier.

Das wahre Leben

Zurück in der Gegenwart, erzählen Herr Augustin und Herr Grill über die Mühen der Ebene. Einen kleinen Fußballver­ein in Wien durchzubri­ngen ist eine Herausford­erung. Bilanziert wird mit plus/minus null, wenn es sich einmal nicht ausgeht, legt Herr Augustin den Fehlbetrag schon einmal hinein. Die Ansprüche der Bürokratie haben sich vervielfac­ht, wo früher „ein Blatt gereicht hat, brauchst du heute ein ganzes Buch“. Noch freut sich Herr Augustin darüber, dass man den Preis für Sitzschale­n aus der Steiermark, die die alten Holzbänke ersetzt haben, auf die Hälfte herunterha­ndeln konnte. „Und geliefert haben sie sie auch noch!“

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Alfred Grill (links) und Walter Augustin haben ihr Leben dem Fußball verschrieb­en, dem NAC sind sie seit Jahrzehnte­n verbunden.
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Foto: Christian Fischer Aus dem Archiv: eine Ausgabe der Vereinszei­tung von 1921.
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Foto: APA / Günter R. Artinger Peter Persidis startete beim NAC. Der Rapid-Libero war später Co-Trainer des Nationalte­ams. Er starb 2009 mit 61 Jahren.

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