NAC gegen Vienna, ein Wiedersehen im Unterhaus
Der Niedergang der Blau-Gelben ermöglicht das erst zweite Derby der ungleichen Döblinger Nachbarn in 111 Jahren. Das erste ist 50 Jahre her und hat längst Legendenstatus. Die Nussdorfer Gastgeber im Porträt.
Wien – „Nein, sicher nicht“, sagt Herr Augustin. „Da muss man realistisch bleiben“, sekundiert Herr Grill. Die beiden sitzen in der schmucken Kantine auf der Anlage des Nussdorfer AC. Es geht um nicht weniger als das Spiel des Jahres, das hier in aller Abgeklärtheit eingeschätzt wird. Genauer um die Frage: Kann der NAC die Vienna schlagen?
Es ist kaum zu glauben, aber ein Aufeinandertreffen der Döblinger Nachbarn ist ein Ereignis von ausgesuchter Seltenheit. In 111 Jahren, denn dieses stolze Alter hat der 1907 gegründete Nussdorfer Klub heuer erreicht, ist es genau einmal dazu gekommen, anno 1968 nämlich. Das zweite wird sich am 3. März begeben, dann empfängt der NAC die Blau-Gelben zum Auftakt der Frühjahrssaison in der zweiten Wiener Liga.
Unverhofft kommt nicht oft
Man hätte es sich am Fuß des Rotschibergs nicht träumen lassen, sich je wieder mit dem sechsfachen österreichischen Meister und Mitropacup-Sieger von 1931 in einem Bewerbsspiel zu messen. Doch der prozessierte sich nach seiner Insolvenz im Laufe des Herbstes erfolgreich in die fünfte Leistungsklasse. Man übernimmt dort den Platz der zweiten Mannschaft und liegt mit 19 Punkten ta- bellarisch quasi Kopf an Kopf mit den Nussdorfern (16).
Die Ausgangslage scheint eindeutig. Während sich die Vienna zügig Richtung Profifußball entwickeln will, strebt der NAC einstellige Tabellenplätze an. Gearbeitet wird mit Eigenbauspielern, ein Aufstieg in die Wiener Liga ist in nächster Zukunft kein Thema, etwaige finanzielle Abenteuer schon gar nicht.
Walter Augustin, der Obmann, und Alfred Grill, der Archivar, sind Routiniers und dem Verein seit Jahrzehnten verbunden. Vor 14 Jahren hat man Weichen gestellt, sich ganz und gar der Nachwuchspflege verschrieben. Mittlerweile spielen, von etwa 18 Coaches betreut, 240 Jugendliche beim NAC.
Für das Vienna-Match am Samstag werden immerhin 300 Zuschauer anstelle der sonst üblichen 50 erwartet. Im 68er-Jahr waren die Größenverhältnisse noch andere. Die Partie ist mittlerweile legendär, um sie nicht zu versäumen, hat Herr Augustin da- mals sogar seine Hochzeitsreise verschoben. Offiziell drängten sich 3000 Leute auf dem NACPlatz, Augenzeugen munkeln von bis zu 5000. Die Vienna war aus der Staatsliga in die Regionalliga Ost abgestiegen, damals die zweithöchste Spielklasse des Landes. Der NAC kam als Neuling aus der anderen Richtung.
Die Döblinger rückten mit einer Klassemannschaft an, Größen wie der Brasilianer Jacare oder Teamstürmer Horst Nemec traten für Blau-Gelb an. Das Tor hütete Viliam Schrojf, der 1962 mit der Tschechoslowakei im WM-Finale gegen Brasilien gestanden war. Der Ex-Nussdorfer Peter Persidis gab den Libero. Auf einer schiefen Ebene lief das Match allerdings bei weitem nicht, auch wenn der NAC-Platz damals ordentlich gehängt ist, angeblich gut eineinhalb Meter.
Einer der Blau-Schwarzen Helden beim knappen 3:4 war Herr Grill. Seit 1958 verteidigte er für die Erste und kennt die sportlich erfolgreichsten Zeiten der Nussdorfer daher aus erster Hand. 1960 gelang erstmals der Ostliga-Aufstieg – wie, das wusste man selbst nicht so recht. Der zweite Aufstieg „war dann Absicht“. Im Herbst lief es gut, aber im Frühjahr gab es nur noch drei Punkte. Gerüchte sagen, dass es die älteren Spieler, nachdem ihnen die geforderte Siegprämie von 500 Schilling verweigert worden war, ein bisschen lockerer genommen hatten.
Der Nussdorfer Athletik-SportClub ist ein Arbeiterverein mitten im bürgerlich geprägten Döbling. „Aber Politik spielt bei uns keine Rolle“, sagt Herr Grill. Von den Gründervätern ist nicht mehr bekannt als deren Namen, in Nussdorf gab es damals Ziegeleien und eine Brauerei – von dort könnten sich die ersten Kicker rekrutiert haben. Der NAC trat der Freien Vereinigung der Amateur-Fußballvereine Österreichs (VAFÖ) bei, der sich 1926 vom Österreichischen Fußball-Verband (ÖFV) abspaltete. Der sozialdemokratische VAFÖ organisierte eine eigene Meisterschaft, seine Auswahl gewann 1931 bei der ArbeiterOlympiade im gerade fertiggestellten Praterstadion durch einen Finalsieg über Deutschland das Fußballturnier.
Das wahre Leben
Zurück in der Gegenwart, erzählen Herr Augustin und Herr Grill über die Mühen der Ebene. Einen kleinen Fußballverein in Wien durchzubringen ist eine Herausforderung. Bilanziert wird mit plus/minus null, wenn es sich einmal nicht ausgeht, legt Herr Augustin den Fehlbetrag schon einmal hinein. Die Ansprüche der Bürokratie haben sich vervielfacht, wo früher „ein Blatt gereicht hat, brauchst du heute ein ganzes Buch“. Noch freut sich Herr Augustin darüber, dass man den Preis für Sitzschalen aus der Steiermark, die die alten Holzbänke ersetzt haben, auf die Hälfte herunterhandeln konnte. „Und geliefert haben sie sie auch noch!“