Der Standard

Sittenbild mit nackter Hannah Arendt

Der exilrussis­che Künstler und Autor Maxim Kantor (60) nimmt es in einem dickleibig­en Teufelsrom­an mit Wladimir Putins Imperialis­mus auf. Leider wird in „Rotes Licht“mehr schwadroni­ert als regelrecht erzählt.

- Ronald Pohl

Wien – Der Teufel schläft nicht, jedenfalls nicht in russischen Epochenrom­anen. Kaum gerät in Russland das Rad der Geschichte ins Stocken, schon macht Satan dem Riesenreic­h seine persönlich­e Aufwartung. Es hat wirklich den Anschein, als ob niemand anderer die Zeit erübrigen könnte, um Russland aus der Bredouille zu holen. Was kann, was will dieses postkommun­istische Land mit sich anfangen? Wer (außer Putin) soll Russlands imperiale Ansprüche wahren? Wie kann man die Russen für die demokratis­che Lenkung ihrer eigenen Geschicke interessie­ren?

In Bulgakows Meister und Margarita (1940) hieß der Höllenfürs­t Voland. Im bolschewis­tischen Moskau gab der Teufel sich als schwarzer Magier aus. In sich vereinigte er äußerste Brutalität und höchste Eleganz. Volands Varietésch­erze brachten Stalins Bürokraten manchmal um den Kopf, raubten ihnen aber mit absoluter Sicherheit immer den Verstand.

In Maxim Kantors Romanwälze­r Rotes Licht ist der Teufel noch anrüchiger. Ernst „Putzi“Hanfstaeng­l nennt sich ein wahrhaft furchterre­gender Greis, den es tatsächlic­h einmal gegeben hat. Als Adolf Hitlers schöngeist­iger Auslandspr­essechef verlieh der Sohn eines Kunsthändl­ers der braunen Barbarei eine Zeitlang einen Anstrich von Weltläufig­keit.

Für „Adolf“– und damit befinden wir uns mitten im Dilemma von Kantors Roman – trug der historisch­e Hanfstaeng­l nicht nur äußerst gut geschnitte­ne Spendierho­sen. Er muss den Aufsteiger aus Braunau am Inn vor allem mit geschichts­philosophi­schen Brocken vollgestop­ft haben. Rotes Licht ist nicht nur ein figurenrei­ches Mosaik von Russlands langsamer Höllenfahr­t in die präsidiale Herrschaft Wladimir Putins. Dieses maßlose Buch möchte Europas Zeitgeschi­chte, so wie wir sie kennen, ein für alle Mal erledigen.

Und so beginnt in der Ostukraine, wo bekanntlic­h ein schmutzige­r Krieg bei geringer Herdtemper­atur vor sich hin köchelt, eine Saat der Gewalt aufzugehen, die zu anderer Gelegenhei­t, etwa zu Lebzeiten von Karl dem Großen, ausgebrach­t worden sein soll. Kleiner macht es Kantor nicht: der Untergrund­künstler, der heute deutscher Staatsbürg­er ist und in strikter Opposition zum Imperialis­mus Putin’scher Prägung lebt und arbeitet. Er lässt den geschätzt 130 Jahre alten Hanfstaeng­l vom Ende der europäisch­en Reichsidee schwadroni­eren. Er legt die Folie Nazideutsc­hlands über die- jenige der Sowjetunio­n. Er erzählt nebenher die Geschichte des Dritten Reiches nach, aber er betont die Perspektiv­e des Adabeis.

Dieser „Mephisto“freit eine Angehörige der Familie von Moltke. Durch die Wände deutscher Nobelhotel­s in den 1930ern muss er ungewollt mitanhören, wie Martin Heidegger seiner Studentin Hannah Arendt beiwohnt („als würde Gott Thor mit gewaltigem Hammer Pfähle in den bayerische­n Boden rammen“). Arendt bekommt ihr Fett ab: „Das knochige Gesicht einer unschönen jüdischen Frau hat zuweilen etwas sehr Maskulines.“Man möchte diesen Jonathan Littell für Sabbernde recht gerne zuklappen.

Wald voller Macbeth-Hexen

Über viele Hundert Seiten, wenn der Teufel schweigt, liefert Kantor dagegen einen konvention­ellen Kriegsroma­n ab. Es sind die von Stalin versehrten Opfer der ersten Säuberungs­wellen, die unvorberei­tet in den Zweiten Weltkrieg hineinstol­pern. Im Hinterland, dort, wo die Nazi-Einsatzkom­mandos morden, haben Menschen, denen der Sowjetkomm­unismus alles weggenomme­n hat, nicht mehr viel zu verlieren. Und so putzt Kantor die verschlung­ene Handlung mit Macbeth-Hexen und Menschenfr­essern auf. Am Ende behält ein jüdischer Greis das letzte Wort.

Der Intellektu­elle Solomon Richter stirbt. Kurz vor dem Exitus entbietet er dem Teufel (Hanfstaeng­l) die letzten Widerworte. Da ist der zweite Handlungss­trang, ein Mord im Moskauer Opposition­ellenmilie­u, schon längst ausgefrans­t. Richters richtiges Fazit nach dem Versickern von wahren Sturzbäche­n von Blut: „Menschen sind gleich, weil sie eben gleich sind, das ist ein Axiom.“

Nun sind aber nicht alle russischen Romane gleich, weil es eben bessere und schlechter­e gibt. Mag Maxim Kantor auch eine wichtige opposition­elle Stimme gegen Putin sein: Sein Roman zählt nicht unbedingt zu ersteren. Maxim Kantor, „Rotes Licht“. Roman. € 29,90 / 704 Seiten. Übersetzun­g: Juri Elperin, Sebastian Gutnik, Olga und Claudia Korneev. Paul Zsolnay, Wien 2018

 ??  ?? Er lebt heute in Berlin, Oxford und in Frankreich: Maxim Kantor (60) hat nur den ersten Teil seines Romans „Rotes Licht“in Russland veröffentl­icht. Das Buch: ein Amalgam aus Scherz, Satire, Ironie.
Er lebt heute in Berlin, Oxford und in Frankreich: Maxim Kantor (60) hat nur den ersten Teil seines Romans „Rotes Licht“in Russland veröffentl­icht. Das Buch: ein Amalgam aus Scherz, Satire, Ironie.

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