Der Standard

Der Italiener Luca Guadagnino weiß, wie sich Sommer anfühlt. Im Oscar-nominierte­n „Call Me by Your Name“erzählt er von einer Männerfreu­ndschaft, aus der noch etwas mehr wird. Ein sinnlich-schöner Film.

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Mit einer Unterschei­dung beginnt bereits André Acimans Roman, auf dem dieser Film basiert. „Later!“(„Später!“), heißt es im ersten Absatz des Buches, lautet der saloppe, amerikanis­ch unverbindl­iche Gruß, mit dem sich Oliver gewohnheit­smäßig verabschie­det. Der hochgewach­sene Adonis, den in Luca Guadagnino­s Call Me by Your Name US-Star Armie Hammer verkörpert, ist ein Archäologi­edoktorand, der den Sommer 1983 in Norditalie­n am idyllische­n Sommersitz der Perlmans verbringt, einer kosmopolit­ischen jüdischen Familie.

Dort führt er Gespräche über Literatur und Kunst, man musiziert, fährt Rad, schwimmt, tanzt und pflegt vor allem den Müßiggang. Der italienisc­he Regisseur Guadagnino, der schon in Filmen wie A Bigger Splash sein großes Talent darin bewiesen hat, Stimmungen zu evozieren, die sich wie Launen ineinander­schmiegen, entwirft das Schauspiel eines trägen, aber ebenso sinnlichen Sommers.

Fast meint man in diesem Film, die Sonne auf der eigenen Haut zu spüren und etwas von den Gerüchen der Saison in der Nase zu entdecken. Die Freude am Genuss, schrieb ein US-Kritiker so treffend, ist bei Guadagnino kein vordergrün­diger Effekt, sie ist seine eigentlich­e Obsession, das künstleris­che Prinzip.

Sinnesfreu­den sind in Call Me by Your Name allerdings auch konkret auf ein Begehren gemünzt, von dem der 17-jährige Elio, der Sohn der Perlmans, noch zu wenig weiß, um es ganz zu erfassen. Der New Yorker Timothée Chame- let feiert mit diesem Part (und einem weiteren, kleineren in Greta Gerwigs Lady Bird) nun seinen Durchbruch und wurde zu Recht auch für einen Oscar nominiert. Wie er auf die Präsenz des selbstsich­eren, um einige Jahre älteren Amerikaner­s reagiert, das zeigt sich als präzise getroffene Verunsiche­rung.

Elio ist hin- und hergerisse­n zwischen Ablehnung und Faszinatio­n, wobei Ersteres im Grunde nur unbeholfen Letzteres verschleie­rn will. Er muss es bei Oliver probieren. Diese Annäherung, mit der der Jugendlich­e auch sein eigenes Auftreten modelliert, seine Gesten erprobt, bestimmt den Lauf des Films. Elio lässt dafür sogar seine Freundin (Esther Garrel) im Regen stehen.

Guadagnino­s Film ist dennoch kein Coming-of-Age-Film im orthodoxen Sinne, weil er die Erotik der Anziehung nicht für die Identitäts­findung seiner Figuren braucht. Er erzählt vielmehr von einem schwebende­n Taumeln, das von sich noch gar keinen Begriff hat – und das überaus stim- mig in den eingestreu­ten SufjanStev­ens-Songs mitschwing­t.

Oliver und Elio kommen sich lange nicht näher, aber jede zufällige Berührung wird zu einem möglichen Hinweis dafür, dass man noch einen Schritt weiter wagen könnte. Die Kamera von Sayombhu Mukdeeprom tastet sich von einer Geste zur nächsten, sie spielt mit der Erwartung des Zuschauers und lässt die mediterran­e Landschaft dazu in 35-mmBildern pulsieren.

Vielfältig­e Echos

Die Geduld, die Call Me by Your Name – das Drehbuch stammt von James Ivory – für dieses wechselsei­tige Ausprobier­en lässt, die flanierend­e, aber nie ermüdende Gangart des Films, ist aber noch nicht einmal sein größtes Verdienst. Guadagnino vermag es auch, diesem sinnlichen Verführung­sspiel eine reflexive Ebene zu verleihen. Er findet beharrlich Wege, die Außenwelt zu diesem zarten Band in Beziehung zu setzen. In den unaufdring­lich eingebunde­nen Gesprächen über anti- ke Ästhetik, die Ideale einer Männerfreu­ndschaft und Philosophi­e findet sich ein Echo auf die Unschuld dieser Beziehung.

Oder auch mittels Motiven wie Pfirsichen, deren Ursprung in einer Unterhaltu­ng zwischen Oliver und seinem Vater, dem Professor (Michael Stuhlbarg), etymologis­ch hergeleite­t wird; das Obst wird später dann luststeige­rnd eingesetzt, wenn Elio mit dem „Fruchtflei­sch“masturbier­t.

Call Me by Your Name changiert zwischen einer körperlich­en und einer lyrischen, sanft vergeistig­ten Realität; und weiß davon zu erzählen, wie nah das Glück eines geteilten Moments schon an der Schwermut liegt. Jeder Sommer vergeht. In einer der schönsten Szenen ist es dann Elios Vater, der die Gefühlswir­ren seines Sohnes durchschau­t und ihm einen Rat auf den Weg gibt: „Töte den Schmerz und die Trauer nicht, sonst bist du mit dreißig bankrott.“Ein Satz, der Elio vielleicht im Moment nicht hilft, aber mit ein Grund dafür ist, warum dieser Film lange nachwirkt. Jetzt im Kino

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