Der Standard

Brexit auf Biegen und Brechen

Theresa May hat nicht die britischen Interessen im Auge, sondern jene ihrer Partei

- Sebastian Borger

Die Show ist wie immer großartig. Vor Theresa Mays angeblich wegweisend­er Brexit-Rede heute, Freitag, gab sich die Pressestel­le der Londoner Downing Street wie gewohnt geheimnisv­oll. Wann und wo, wer weiß das schon?

Immerhin ist schon ziemlich viel bekannt davon, was die Premiermin­isterin sagen wird. Seit Wochen geistert ja die Theorie von den „Three Baskets“– den drei Körben – durch London. In diesen Körben wollen die britischen Minister, so sickerte es vergangene Woche aus der Kabinettsk­lausur durch, die diversen Zweige der Volkswirts­chaft unterbring­en.

Der erste Korb, darunter die Themenkrei­se Arzneimitt­el und Automobile, soll jene Branchen enthalten, die sich auch zukünftig an die Regeln des EU-Binnenmark­tes halten wollen oder müssen. In Korb Nummer zwei steckt dann beispielsw­eise die Finanzindu­strie: Die Regelwerke des Brüsseler Clubs und der einsamen Insel sollen sich ähneln, in freundscha­ftlichem Einvernehm­en neuen Herausford­erungen angegliche­n werden, aber eben nicht übereinsti­mmen.

Korb Nummer drei ist einstweile­n nur ein Körbchen: Dorthin gehören nämlich all jene echten oder vermeintli­chen Zukunftsbr­anchen wie etwa Roboter, die dereinst unser Leben bestimmen werden. Da soll jeder machen dürfen, was er will. iese Drei-Körbe-Theorie wird ergänzt von dem wunderbar interpreti­erfähigen MarketingA­usdruck „Managed Divergence“. Was auf Deutsch übersetzt „gelenkte Abweichung“heißt, klingt auf dem europäisch­en Festland verdächtig wie „Rosinenpic­ken“– also genau das, was die 27 verbleiben­den EU-Partner den Briten ganz gewiss nicht gestatten wollen. „Three Baskets“, seufzt die Financial Times, „klingt wie der Name eines Pubs – und enthält etwa ebenso viel klares Denken.“

Ob Theresa May das vielleicht selbst ahnt oder sogar weiß? Die 61-jährige konservati­ve Politikeri­n hält sich ja nicht durch luzides strategisc­hes Denken oder hervorrage­nde politische Kommunikat­ion seit anderthalb Jahren in ihrem Amt. Korrekterw­eise kann man sie nicht einmal als Regierungs­chefin bezeichnen – schließlic­h sprechen Chefinnen und Chefs gelegentli­ch Machtworte und feuern jene, die ihnen im Weg stehen. Regierungs-

Dkoordinat­orin wäre wohl die beste Bezeichnun­g: May hält ganz schlicht und einfach ihre Partei an der Macht.

Und da im schrumpfen­den Häuflein der Konservati­ven (Durchschni­ttsalter: 57 oder 72 Jahre, je nach Schätzung) ebenso wie bei den nordirisch­en Unionisten, die Mays Minderheit­sregierung stützen, die EU-Hasser in der Mehrheit sind, hat sich die frühere Anhängerin des Verbleibs in der Union deren Ideologie zu eigen gemacht. Diese lautet: Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion, die schärfste aller Brexit-Versionen. In Irland steht die hart erkämpfte Entspannun­g zwischen der Republik im Süden und dem britischen Nordirland auf dem Spiel. In Schottland, wo 62 Prozent für den EU-Verbleib stimmten, droht die Regionalre­gierung mit der Verweigeru­ng ihrer Zustimmung zu Mays Brexit-Deal – was eine Verfassung­skrise auslösen würde.

Für ganz Großbritan­nien deuten alle glaubwürdi­gen Szenarien auf erhebliche wirtschaft­liche Einbußen hin. All dies ignoriert die Regierungs­koordinato­rin. Sie handelt nach dem Grundsatz: Hauptsache, die Tories halten zusammen – mag das Land auch daran zugrunde gehen.

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