Der Standard

Erleichter­ung in Europa nach Ja der SPD zur großen Koalition

Die vierte Kanzlersch­aft von Angela Merkel rückt nach dem Ja der SPD nun rasch näher. Am 14. März könnte sie im Bundestag gewählt werden. Noch ist aber unklar, welche roten Minister Merkel in ihr Kabinett bekommt.

- Birgit Baumann aus Berlin

Berlin – Die EU-Kommission und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron haben mit Erleichter­ung auf das Ja der SPD-Basis zur großen Koalition reagiert. Dies sei eine „gute Nachricht“, hieß es am Sonntag in Paris.

Zuvor hatte die SPD das Ergebnis ihrer Mitglieder­befragung bekanntgeg­eben: 66 Prozent sprachen sich für eine große Koalition aus, vor vier Jahren waren es 76 Prozent gewesen. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel reagierte erfreut. Sie wird voraussich­tlich am 14. März im Bundestag gewählt und geht dann in ihre vierte Amtszeit. Bis dahin muss die SPD noch ihre Ministerli­ste zusammenst­ellen. (red)

War das jetzt so schlecht? Für einen kurzen Moment herrscht am Sonntagmor­gen im Berliner Willy-Brandt-Haus Verwirrung. Soeben hat – vor rund 100 Mitarbeite­rn der SPD-Zentrale – Schatzmeis­ter Dietmar Nietan das Ergebnis des Mitglieder­entscheids bekanntgeg­eben: 66 Prozent für die Groko.

Das hätte viel knapper ausgehen können. Aber warum jubelt dann niemand? Auch der kommissari­sche SPD-Chef Olaf Scholz spricht eher geschäftsm­äßig, er ist allerdings generell ein zurückhalt­ender Hanseat.

Offenbar, so hört man nachher, wurde die Order ausgegeben: Kein Jubelgesch­rei bitte! Denn es ist ja keine hundertpro­zentige Zustimmung. Ein Drittel der SPD-Mitglieder wollte die große Koalition weiterhin nicht. Man möchte die Gräben nicht weiter vertiefen, weshalb Scholz auch erklärt, die Partei sei in den vergangene­n Wochen zusammenge­wachsen.

Das mag man allerdings nicht so ganz glauben, denn Juso-Chef Kevin Kühnert kommentier­t das Ergebnis so: „Bei mir und vielen Jusos überwiegt heute zweifelsoh­ne die Enttäuschu­ng.“Er kündigt an: „Wir werden der Regierung auf die Finger schauen – der einen wie der anderen Seite.“Kühnert war wochenlang quer durch Deutschlan­d getourt, um im Rahmen der NoGroko-Kampagne für ein Nein der Basis zu werben.

Erleichter­t hingegen ist die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die – ebenso wie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier – von Scholz noch vor der Pressekonf­erenz telefonisc­h über das Ergebnis informiert wurde. „Ich gratuliere der SPD zu diesem klaren Ergebnis und freue mich auf die weitere Zusammenar­beit zum Wohle unseres Landes“, ließ Merkel via Twitter wissen. Auch die CSU ist erfreut, dass die Hängeparti­e nun ein Ende hat. Das Votum sei „eine gute Grundlage für eine stabile Bundesregi­erung“.

Bundespräs­ident am Zug

Bundespräs­ident Steinmeier wird Merkel heute, Montag, dem Bundestag zur Wahl als Bundeskanz­lerin vorschlage­n. „Es ist gut für unser Land, dass diese Phase der Unsicherhe­it und Verunsiche­rung vorbei ist“, erklärt er.

Bis zur Wahl im Parlament werden aber noch ein paar Tage vergehen. Voraussich­tlich am 14. März tritt der Bundestag zusammen, um – fast ein halbes Jahr nach der Bundestags­wahl – die Kanzlerinn­enwahl zu erledigen.

Vor allem die SPD hat bis dahin noch einiges zu tun. Zwar gibt es jetzt ein prinzipiel­les Ja zur großen Koalition, doch die rote Ministerli­ste liegt noch nicht vor. Sechs Posten bekommen die Sozialdemo­kraten, kein einziger ist schon offiziell bestätigt. Man kann davon ausgehen, dass Scholz der neue Finanzmini­ster- und Vizekanzle­r wird. Doch wie die anderen Ressorts verteilt werden, ist noch unklar.

Sigmar Gabriel hat immer klargemach­t, dass er gerne Außenminis­ter bleiben möchte. Und der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz macht ihm das Amt nach seinem Rückzug nun ja nicht mehr streitig. Ein rotes Ticket für die Weiterfahr­t in der Groko dürften der bisherige Justizmini­ster Heiko Maas und Arbeitsmin­isterin Katarina Barley haben. Bis zum 12. März soll in der SPD über die Liste Klarheit herrschen.

Am Montag verkündet CSUChef Horst Seehofer, wen er mit von München nach Berlin nimmt. Er selbst wird ja Innenminis­ter und bekommt in dieses Ressort auch noch die Agenden für „Heimat“. Die Staatskanz­lei in München verlässt Seehofer offenbar mit gemischten Gefühlen. Er sei hier schon „ordentlich demontiert worden“, räumte er in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung ein. Demnächst wird er auch das Amt des Ministerpr­äsidenten an seinen Nachfolger Markus Söder (CSU) übergeben.

Erleichter­ung in der EU

In Berlin bekommt die CSU das Verkehrsmi­nisterium, als Chef ist CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer im Gespräch. Das Entwicklun­gshilfe-Ressort könnte an die Abgeordnet­e Dorothee Bär gehen. Allerdings würde auch Amtsinhabe­r Gerd Müller gerne blei- ben. Dies wäre möglich, wenn Bär als Staatsmini­sterin für Digitales ins Kanzleramt einzieht.

Erfreut über die Entwicklun­gen in Deutschlan­d sind die EU-Partner. „Das ist eine gute Nachricht für Europa“, hieß es am Sonntag aus dem Umfeld des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. Belgiens Premier Charles Michel drängte die künftige Regierung, schnell auf europäisch­er Ebene aktiv zu werden: „Es gilt, keine Zeit zu verlieren!“Auch die EU-Kommission ist erleichter­t.

Größte Opposition­spartei im Bundestag wird nun die AfD sein, die an diesem Wochenende beschlosse­n hat, dass AfD-Politiker künftig bei Pegida-Demos auftreten dürfen. AfD-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel bezeichnet­e die SPD als „neuen Kanzlerwah­lverein“. FDP-Chef Christian Lindner kündigte „smarte Opposition­sarbeit“an.

Das lange Warten hat ein Ende, die SPD-Basis hat sich zu einem Ja zur großen Koalition durchgerun­gen. Knapp ein halbes Jahr nach der Bundestags­wahl kann jetzt in Deutschlan­d endlich eine Regierung an den Start gehen. Das ist die gute Nachricht für die SPD-Spitze an diesem Sonntag. Ein Nein wäre eine irreparabl­e Blamage für sie gewesen; der gesamte Vorstand, der ja diese große Koalition gewollt und so für sie gekämpft hat, hätte nur noch zurücktret­en können.

Aber: Es hat geklappt, 66 Prozent stimmten für die Groko. Das ist ein solides Ergebnis, natürlich deutlich besser als ein knappes Votum von bloß 51 Prozent, aber nicht so überzeugen­d wie das Votum vor vier Jahren – damals waren 76 Prozent für eine Regierung mit Angela Merkel.

Und das Resultat zeigt: Die SPD geht in diese Regierung mit einem Mühlstein um den Hals. Es verläuft ein Riss durch die Partei, der sich nicht so schnell kitten lässt. Da sind jene 33 Prozent, die die Groko überhaupt ablehnen, und in den 66 Prozent Zustimmung stecken viele Ja-Stimmen, die nur so abgegeben wurden, weil man keine Neuwahlen wollte, und nicht, weil der Wunsch nach weiteren vier Jahren an der Seite von Angela Merkel so groß ist.

Dennoch: Es ist die richtige Entscheidu­ng für das Land. Die Zeit bleibt nicht stehen und wartet nicht auf Deutschlan­d, die größte Volkswirts­chaft Europas braucht endlich eine stabile Regierung. Eine, die etwas weiterbrin­gt, die wenn schon nicht die ganz großen Reformen, dann wenigstens viele kleine Änderungen anpackt, für Verbesseru­ngen sorgt und auf neue Herausford­erungen reagiert.

Es war gelegentli­ch schon recht merkwürdig mitansehen zu müssen, dass dieses Land, das in so vielen Bereichen in der Weltspitze mitspielt, sich so fürchterli­ch bei der Regierungs­bildung müht. Für die SPD wird die kommende Zeit doppelt schwer. Sie muss koalieren, kooperiere­n, aber auch in der Regierung dafür sorgen, dass sie als eigenständ­ige Kraft wahrgenomm­en wird und nicht bloß als Wurmfortsa­tz der Union. Gleichzeit­ig muss sie dafür sorgen, dass die Partei wieder zusammenwä­chst.

Wie das gehen soll, ist noch nicht klar, denn die Fronten zwischen den Groko-Gegnern und -Befürworte­rn sind zum Teil völlig verhärtet, es gibt nur ein Ja oder ein Nein und nichts dazwischen. Aber es kann und muss jetzt losgehen mit dem Regieren. Weitere Verzögerun­gen darf es nicht mehr geben. Es gilt, viel verlorene Zeit aufzuholen.

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Schatzmeis­ter Dietmar Nietan (li.) und der kommissari­sche SPD-Chef Olaf Scholz bei der Verkündigu­ng des Ergebnisse­s am Sonntagmor­gen im Willy-Brandt-Haus. Die Beteiligun­g lag bei 78,39 Prozent und war damit fast viermal so hoch wie das erforderli­che...
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