Italiens Schicksalswahl – wieder einmal
Als 46 Millionen Italiener und Italienerinnen am Sonntag ihr neues Parlament wählten, wussten sie, dass ihnen ein Patt der etablierten Parteien drohte, wie schon 2013. Das oder ein Sieg der Populisten.
In den meisten der über 60.000 Wahllokale im ganzen Land bildeten sich im Laufe des gestrigen Sonntags lange Schlangen. Doch der Grund für die langen Wartezeiten war nicht etwa eine unerwartet hohe Stimmbeteiligung, sondern die neuen Wahlzettel, die mit einer Art Sicherheitscoupon gegen Wahlbetrug versehen waren. Dieser musste im Wahllokal abgerissen und aufbewahrt werden. Das hat offenbar sowohl einige Wähler als auch Wahlbeisitzer überfordert.
Ex-Premier Silvio Berlusconi – er wurde übrigens in seinem Mailänder Wahllokal von einer Femen-Feministin mit nacktem Oberkörper überrascht – gab sich gleich sehr besorgt, dass wegen der Schwierigkeiten mit den Wahlzetteln möglicherweise nicht alle 46 Millionen Wählerinnen und Wähler rechtzeitig bis 23 Uhr ihre Stimmen abgeben könnten.
Viel stand auf dem Spiel
Die Probleme bei der Stimmabgabe passen gut zu einer Parlamentswahl, bei der für Italien zwar viel auf dem Spiel stand, die aber die von einem inhaltsleeren, über weite Strecken sogar grotesken Wahlkampf geprägt war.
Die in Menge, Größe und Positionierung streng reglementierten Plakatwände blieben weitgehend leer, auch gab es kein TV-Duell der wichtigsten Kandidaten und Kandidatinnen – stattdessen bloß monotone Wahlkampfauftritte auf halbleeren Plätzen.
Die großen Probleme, die das Land belasten – allen voran die enorme Staatsverschuldung –, blieben bei diesen Auftritten un- erwähnt. Stattdessen wurde den Wählern von Berlusconi, von der rechtsextremen Lega und von Beppe Grillos Protestpartei nur das Blaue vom Himmel versprochen: Steuersenkung auf 15 Prozent, Mindestpension von 1000 Euro, bedingungsloses Grundeinkommen bis 1560 Euro.
„Ein Land auf der Kippe“titelte am Wahltag die römische Zeitung La Repubblica – und meinte damit die Gefahr, dass Italien nach den Wahlen die Unregierbarkeit oder gar ein Sieg der euroskeptischen Populisten blühen könnte.
Tatsächlich war die Ungewissheit groß wie selten oder sogar nie zuvor: Seit Mitte Februar – als sich noch 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler als unentschieden bezeichneten – waren keine neuen Umfragen mehr erlaubt. Unter solchen Umständen musste jeder Versuch einer Wahlprognose zu einem Stochern im Nebel verkommen. In den letzten Erhebungen war keine einzelne Partei oder Wahlkoalition auch nur in die Nähe einer regierungsfähigen Mehrheit gekommen.
Sehr zu spüren war in den letzten Wochen und Monaten auch die Unsicherheit in der Bevölkerung: Nach einer über zehnjährigen Krise ist in Italien das Vertrauen in die Politik auf ein historisches Minimum gesunken: Gerade noch fünf Prozent der Bevölkerung gaben in einer Umfrage an, noch Vertrauen in die Parteien zu haben. Zwar hat die italienische Wirtschaft im vergangenen Jahr wieder zu wachsen begonnen, doch mit 1,5 Prozent liegt man deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Vor allem ist der zarte Aufschwung bei den Krisenverlierern – Jugend und Mittelstand – noch nicht angekommen. Das macht anfällig für eine Protestwahl.
Gefährdeter kleiner Erfolg
Fest steht, dass eine Regierung etwa aus Grillos Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega die mühsam erreichten Fortschritte gleich wieder infrage stellen wür- de. Die größte Gefahr: die Staatsschulden. Dank der Reformen der Regierungen von Mario Monti und danach der Sozialdemokraten Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni und vor allem dank der Niedrigzinspolitik des italienischen Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, war der Schuldenberg von 2200 Milliarden Euro bisher tragbar gewesen. Unter den „Grillini“und der Lega könnte sich dies schnell ändern.
Nun muss Staatspräsident Sergio Mattarella Regie führen. Der besonnene Jurist wird dafür sorgen, dem Land sobald wie möglich eine handlungsfähige und zuverlässige Regierung zu geben. Doch das kann Wochen dauern. In der Zwischenzeit wird Premier Paolo Gentiloni die Amtsgeschäfte interimistisch weiterführen. Sollte sich eine Regierungsbildung aufgrund der Zersplitterung der Kräfte als unmöglich erweisen, könnte Mattarella auch den Auftrag zu Neuwahlen mit einem neuen Wahlgesetz geben.