Der Standard

Junge Rebellion gegen das Smartphone

Letzte und erste Aufstände zum Auftakt des Festivals Imagetanz 2018 vom Brut-Theater

- Helmut Ploebst

Wien – Mit einem handschrif­tlichen „Fuck you“antwortete USKonzeptk­ünstler Bruce Nauman auf eine Anfrage des britischen Performanc­eduos Lone Twin. Die Twins Gary Winters und Gregg Whelan wollten von dem Kunststar einen Beitrag für ihr Stück Last Act of Rebellion, das zum Auftakt des Imagetanz-Festivals vom Brut-Theater im Werk X Eldorado gezeigt wurde.

Tanz- und Performanc­ekünstler laden seit Jahren gerne Kollegin- nen und Kollegen ein, etwas zu einem ihrer Projekte beizusteue­rn. Das können richtige Stücke sein, wie 2002 bei In bester Gesellscha­ft (mit Arbeiten von Christine Gaigg, Wendy Houstoun, Superamas und Christine De Smedt) der Wiener Choreograf­in Milli Bitterli, oder einfach Statements respektive Anweisunge­n wie in Last Act of Rebellion. Naumans Antwort war in Bezug auf den Titel äußerst präzise. Wem beim Akt eines Aufstands wogegen auch immer nichts – Besseres – einfällt, nutzt als letzte Möglichkei­t die Verbalinju­rie.

Ähnlich reagierten die New York City Players Richard Maxwell und Jim Fletcher, die vor etlichen Jahren auch in Salzburg gastierten, auf Lone Twins Einladung. Sie schickten ein Video, in dem einer der beiden am Ende seinen nackten Hintern zeigt. Weniger eindeutig, dafür hintergrün­diger sind die Beiträge anderer Kollegen: unter anderen Brian Saner von der Gruppe Goat Island (1987– 2009) aus Chicago, Pete Shenton und Tom Roden vom britischen New Art Club oder Ingrid Holm vom norwegisch­en Künstlerko­llektiv Baktruppen (1986–2011).

Allen gemeinsam ist ein ironisch-melancholi­scher Grundton, dem Winters und Whelan eine von britischem Humor gehaltene Struktur geben, in der sie sich auch direkt an das Publikum wenden: „Auch wenn Sie den einen oder anderen Workshop besucht haben und denken: Was da gezeigt wird, kann ich auch tun – tun Sie’s nicht.“Ein guter Rat, denn hier ereignet sich die hohe Kunst des scheinbar Kunstlosen, in der vermeintli­ch simple Techniken und banal erscheinen­de Formen eingesetzt werden. Bei Lone Twin ist dieses schwierige Genre in höchster Virtuositä­t umgesetzt.

Davon ist die zweite Performanc­e des Imagetanz-Eröffnungs­wochenende­s einigermaß­en entfernt. Bei iChoreogra­phy von Magdalena Chowaniec und Valerie Oberleithn­er im Wuk geht es nicht um das Hinschwind­en der alten Rebellion, sondern um das Aufkeimen einer neuen. Nach dem Scheitern der explizit auf Wirksamkei­t ausgericht­et gewesenen politische­n Kunst seit den 68ern müssen sich nun deren Nachfolger jenen Themen widmen, die bisher ignoriert worden sind.

Bei iChoreogra­phy sind das die verheerend­en Folgen der industriel­len Ausbeutung von Jugendlich­en durch den Missbrauch ihrer Kommunikat­ionsbedürf­nisse. Nicht nur die Kids, sondern auch Eltern sind häufig Smartphone„Opfer“. Chowaniec und Oberleith- ner ziehen ihre Arbeit als „Kurort“und „Therapie-Performanc­e“gegen diese Sucht zusammen mit vier Teenagern auf. Gemeinsam versuchen die sechs, dem Desaster mit Lockerheit zu begegnen. Um die künstleris­che Form scheren sie sich dabei wenig. In ihr therapeuti­sches Display wird auch das Publikum mit hineingezo­gen: sanft, aber beharrlich und mit allen Sinnen. „ iChoreogra­phy“bis 5. 3.; Imagetanz bis 24. 3.

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Der Kurort Tanzsaal als Labor für „Therapie-Performanc­es“: „iChoreogra­phy“von Magdalena Chowaniec und Valerie Oberleithn­er.

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