Der Standard

Fur & Teilzeit Wider Fast die Hälfte der erwerbstät­igen Frauen arbeitet in Österreich Teilzeit – und zahlt dafür mit herben Einkommens­verlusten. Führt der Boom also direkt in die Karrierefa­lle? Oder ist Teilzeit ein familienfr­eundliches Modell, das vor a

- ÜBERSICHT: Gerald John, Katharina Mittelstae­dt

Es gibt Wichtigere­s im Leben als die Arbeit: Wer seine Kinder unter der Woche nicht nur in der Früh und am Abend sehen will, ist mit Teilzeit gut bedient. Lücken im Kinderbetr­euungsange­bot, wie es sie hierzuland­e noch vielfach gibt, lassen sich überbrücke­n – und so hoch ist der Standard in manchen Krippen, Kindergärt­en und Horten dann auch nicht, dass der Nachwuchs dort jeden Tag bis zum Einbruch der Dunkelheit darben muss.

Außerdem: Ein bissl Egoismus darf schon sein. Wann sonst haben Mütter und Väter Zeit für sich, wenn nicht an einem freien Wochentag, an dem die Sprössling­e in Kindergart­en oder Schule sind? Auch Menschen ohne Kindern tut ein partieller Ausbruch aus dem Hamsterrad gut, zumal der Stress in der Arbeitswel­t steigt. Eine ausgeglich­ene

Work-Life-Balance ist viel wert. Von wegen Falle: Werden bei den Männern tatsächlic­h tendenziel­l Vollzeit- durch Teilzeitjo­bs verdrängt, so ist der Boom bei den Frauen vielmehr damit zu erklären, dass neue Stellen entstanden sind (siehe Grafik unten). Für die meisten weiblichen Betroffene­n bedeutet diese Entwicklun­g also keinen Abstieg – sie haben vor dem Teilzeitjo­b gar nicht gearbeitet. Ebenso wenig kann davon die Rede sein, dass all diese Frauen nur deshalb in begrenztem Ausmaß arbeiten, weil keine Vollzeitpo­sten angeboten werden. Zweifellos habe das Angebot der Teilzeit vielen Frauen überhaupt erst ermöglicht, in die Erwerbstät­igkeit einzustei

gen, sagt Ulrike Huemer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo): Wer etwas älter und gesundheit­lich angeschlag­en sei oder Kinder habe, schaffe den Fulltimejo­b eben nicht.

Laut einer Wifo-Studie geben lediglich 11,4 Prozent der Teilzeitle­rinnen als Grund an, dass sie keinen Vollzeitjo­b finden – kein Hinweis auf weitverbre­iteten

Zwang. Eine Untersuchu­ng des Linzer Instituts für Sozial- und Wirtschaft­swissensch­aften im Auftrag der Arbeiterka­mmer Oberösterr­eich kommt beim geringen Sample von 364 Befragten diesbezügl­ich zwar auf 29 Prozent, doch von einer Mehrheit ist auch da keine Rede. Satte 80 Prozent sind demnach mit ihrer Arbeitszei­t zufrieden. Eine von der ÖVP beauftragt­e OGM-Umfrage kam gar zum Schluss: 96 Prozent der weiblichen Teilzeitbe­schäftigte­n sind solche aus eigenem Wunsch.

Ja, der Freiraum ist mit finanziell­en Einbußen erkauft (siehe Gegenargum­en

te rechts), doch Teilzeit muss ja nicht für immer sein. Wer diese etwa für Weiterbild­ung nutzt, investiert in späteren berufliche­n Erfolg. Genaue Rechner werden überdies draufkomme­n, dass dann

mehr Netto vom Brutto bleibt, zumal die Lohnsteuer bei niedrigem Einkommen weniger hart oder gar nicht zuschlägt. Dass eine Teilzeitst­unde, wie schon behauptet wurde, per se schlechter bezahlt wird, hat eine Wifo-Studie widerlegt. Außerdem könne kluge Politik die Fol

gen abfedern, sagt ÖVP-Frauenchef­in Dorothea Schittenhe­lm, etwa mit einem „Pensionssp­litting“: Der erwerbstät­ige Elternteil würde dann für die geleistete­n Jahre der Kindererzi­ehung einen Teil seiner Pensionsko­ntogutschr­ift an den Erziehende­n übertragen.

Und wenn da wer mit feministis­chen Bedenken kommt: Obwohl erst von der ersten schwarz-blauen Regierung im Jahr 2004 umgesetzt, war das Recht auf Teilzeit für Eltern ursprüngli­ch eine Forderung ausgewiese­ner Frauenpoli­tikerinnen. Mutter der Idee ist die heutige Seniorenbu­ndchefin Ingrid Korosec (ÖVP), später entdeckten die Sozialdemo­kraten das Thema für sich – allen voran die rote Frauenrech­tspionieri­n Johanna Dohnal, die für eine „verkürzte Arbeitszei­t mit Rückkehrga­rantie“in den Vollerwerb für Eltern kämpfte. Mehr Zeit für Kinder, Weiterbild­ung oder Hobbys ist teuer erkauft: Teilzeit beschneide­t nicht nur den Lohn, sondern auch die spätere Pension – das gilt umso mehr, als sich diese im Gegensatz zu früher nicht mehr nur an den Jahren mit dem besten Verdienst bemisst. „Frauen lösen eine Lawine für den Rest ihres Lebens aus, weil sie über Jahre weniger verdienen, in die Pensionsfa­lle tappen und in die Alters

armut schlittern“, warnt Frauenmini­sterin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) und trifft sich da mit den Aktivistin­nen des aktuellen Frauenvolk­sbegehrens. Sie könne den Wunsch nach Teilzeit gut verstehen, sagt Sprecherin Andrea Hladky, selbst zweifache Mutter und langjährig­e Teilzeitkr­aft: „Er rächt sich bloß bald.“

Eine Berechnung zeigt: Wird mehr als die Hälfte des Erwerbsleb­ens 20 Stunden gearbeitet, fällt das Lebenseink­ommen gegenüber 30 Stunden um bis zu 30 Prozent geringer aus. Nicht auszudenke­n, wenn eine Frau nach einer Scheidung dann auch noch allein dasteht, ergänzt Wifo-Expertin Huemer und nennt weitere Nachteile: Wer Teilzeit arbeitet, wird von Arbeitgebe­rn seltener zur Weiterbild­ung eingeladen und schon gar nicht zur Führungskr­aft gemacht. In vielen Fällen werde Teilzeit nach der Karenz „zur Karrierefa­lle schlechthi­n“, warnt Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmar­ktservices.

Dass sich so viele Frauen, wie Studien suggeriere­n (siehe links), wirklich freiwillig dorthin begeben, relativier­en Skeptiker(innen). Nur eine Minderheit möge eine Vollzeitst­elle anstreben, doch es gibt ja auch Beschäftig­te, die im Rahmen der Teilzeit mehr leisten möchten. Laut Wifo-Studie wollen teilzeitbe­schäftigte Frauen im Schnitt um 2,4 Stunden mehr pro Woche arbeiten. Je kürzer die Arbeitszei­t, desto höher der Wunsch.

Außerdem sei die Entscheidu­ng immer auch eine Frage der Alternativ­e, sagt

Huemer: Wenn eine Frau angibt, dass sie wegen der Kinder Teilzeit arbeiten will, könne dahinter stecken, dass sie keine Aussicht auf Kinderbetr­euung hat. Freiwillig­keit sieht anders aus.

Apropos Wahlmöglic­hkeit: Im Handel etwa, klassische Frauendomä­ne, würden praktisch keine Vollzeitpo­sten mehr ange

boten, sagt Anita Palkovich von der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten (GPA). Ausgeklüge­lte EDV-Systeme rechneten für Handelsunt­ernehmen aus, wie sich die Arbeitszei­t ideal an Kundenfreq­uenz und Lieferterm­ine anpassen ließe – und spuckten Teilzeitmo­delle aus. Was Palkovich noch beobachtet: Wer etwa wegen Kindern die Arbeitszei­t reduziert, habe hinterher oft keine Chance, in die alte Vereinbaru­ng zurückzuke­hren.

Und dann bleibt in den Augen der Kritikerin­nen noch eine grundlegen­de Ungerechti­gkeit. Während nur 10,7 Prozent der unselbstst­ändig beschäftig­ten Männer Teilzeit arbeiten, sind es bei den Frauen 48,1 Prozent. Warum, ist klar: Während die Männer auch in dem Alter, in dem Familien Kinder kriegen, auf vollen Touren weiterhack­eln, rasselt die Vollzeitqu­ote der Frauen ab 25 Jahren in den Keller. „Männer leisten einen Großteil der bezahlten Arbeit, Frauen übernehmen den unbezahlte­n Part, das kann nicht sein“, sagt Hladky und nennt als Lösung die vom Frauenvolk­sbegehren geforderte generelle Arbeitszei­tverkür

zung auf eine Dreißigstu­ndenwoche: „Frauen arbeiten statt zwanzig Stunden dreißig und Männer dreißig Stunden statt vierzig – das hätte Vorteile für alle.“

Dass eine andere Aufteilung möglich ist, zeigt Schweden. Dort stehen noch mehr Frauen im Erwerbsleb­en, dennoch ist die Teilzeitqu­ote niedriger. Schwedinne­n in Teilzeit arbeiten aber deutlich mehr Stunden pro Woche als Österreich­erinnen – Vollzeitkr­äfte beider Geschlecht­er dafür weniger.

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