Der Standard

Die tauende Zeitbombe der Arktis

Im Permafrost lagern gigantisch­e Mengen an Kohlenstof­f und Quecksilbe­r

- David Rennert

Pasadena/Wien – Überschwem­mungen, Erdrutsche und einstürzen­de Häuser von Sibirien bis Alaska gehören zu den sichtbaren Folgen des auftauende­n Permafrost­s infolge des Klimawande­ls. Was Forschern weitaus mehr Sorge bereitet, ist mit freiem Auge nicht zu erkennen: Die Permafrost­gebiete der Welt speichern gigantisch­e Mengen an Kohlenstof­f, die bei steigenden Temperatur­en in Form von Treibhausg­asen freigesetz­t werden – und so zur Erderwärmu­ng beitragen.

Forscher um Nicholas Parazoo vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena haben nun eine überrasche­nde Entdeckung gemacht: Ihren Berechnung­en zufolge sind es nicht die bereits heute tauenden Regionen im Süden Alaskas und in Südsibirie­n, die in den kommenden Jahrzehnte­n zu einer dauerhafte­n Emissionsq­uelle wer- den dürften, sondern die nördlicher­en und kälteren Gebiete der Arktis. Wie die Forscher im Fachblatt The Cryosphere berichten, dürfte es in 40 bis 60 Jahren so weit sein. Über die kommenden 300 Jahre ist der Studie zufolge mit einem Gesamtauss­toß an Methan und Kohlendiox­id aus diesen Böden zu rechnen, der dem Zehnfachen der weltweiten Emissionen durch fossile Brennstoff­e des Jahres 2016 entspricht.

Ausgleiche­ndes Grün

Das Ergebnis kam für Parazoo unerwartet. Zwar gibt es in nördlicher­en Breiten wesentlich mehr Permafrost und damit auch größere Kohlenstof­fspeicher als weiter südlich, doch bislang ging man davon aus, dass zumindest ein Teil davon noch lange vor der Erwärmung geschützt bleiben wird. „Wir haben dort in den nächsten paar Hundert Jahren keine großen Auswirkung­en erwartet“, so der Forscher. Simulation­en zufolge, die auf Bodendaten aus Sibirien und Alaska beruhen, wird der Permafrost im hohen Norden jedoch früher antauen als gedacht. In schon heute wärmeren Regionen, wo der Auftauproz­ess längst im Gange ist, gleicht hingegen unerwartet starkes Pflanzenwa­chstum die Klimabilan­z aus – laut Parazoo dürfte das auch bis Ende des Jahrhunder­ts so bleiben.

Kohlenstof­f ist allerdings nicht die einzige Gefahr, die unter den arktischen Böden schlummert: Kürzlich stellten Wissenscha­fter fest, dass dort auch riesige Mengen an Quecksilbe­r lagern. Einer im Februar in den Geophysica­l Review Letters veröffentl­ichten Studie zufolge handelt es sich gar um das größte Reservoir der Welt. Die Befürchtun­g: Im Zuge der Erwärmung könnte das giftige Element in den Stoffkreis­lauf und so in die Nahrungske­tte gelangen – mit unvorherse­hbaren Folgen.

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