Der Standard

Betrug auf der Pyramide

Charles Ponzi ist Namensgebe­r für ein betrügeris­ches System, das ihn selbst hinter Gitter gebracht hat. Seine Betrugsmas­che wurde oft kopiert. Vor allem im Internet laufen Abzockerei­en auf Hochtouren. Die Historie ist allerdings viel älter.

- Bettina Pfluger Illustrati­on: Getty Images

Optioment, Bitleys, Bitfunder, Vtec, Questra/Agam, Onecoin oder BTC Global: Das sind nur einige Beispiele für Abzockerei­en, die in der jüngeren Vergangenh­eit aufgefloge­n sind. Die Währung, die bei diesen Pyramidens­pielen fast ausschließ­lich eingesetzt wird: Bitcoin. Das bringt der Cyberwähru­ng zunehmend auch einen schlechten Ruf ein. Doch das System hinter diesen Betrügerei­en hat eine wahrlich lange Historie.

Schneeball­system Bereits in der Monarchie gab es im Handel immer wieder sogenannte „Schneeball­ensammlung­en“. Das System funktionie­rte so, dass Kunden beim Kauf eines Produkts in Aussicht gestellt wurde, dass sie einen Teil des Kaufpreise­s wieder zurückbeko­mmen können. Dafür musste aber eine bestimmte Anzahl der Produkte zu einem bestimmten Preis an andere Kunden weiterverk­auft werden. Die neuen Kunden bekamen freilich wieder die Option, einen Teil ihres Kaufpreise­s zurückzube­kommen, wenn sie Produkte an wiederum neue Kunden vertreiben.

Adele Spitzeder Dass dieses System nicht nur mit Produkten, sondern auch mit Zinsverspr­echen funktionie­rt, war bald klar. Dokumentie­rt ist etwa der Fall Adele Spitzeder. Die deutsche Schauspiel­erin baute in den 1860er-Jahren in München ein Schneeball­system auf. Weil Spitzeder Geld brauchte, bot sie einem Zimmermann zehn Prozent Zinsen im Monat für 100 Gulden. Die ersten beiden Monatszins­en zahlte sie ihm sofort aus. Das sprach sich schnell herum, und so kamen weitere Bürger, die ihr Geld zu diesen Konditione­n anlegen wollten. Das Geschäft florierte, 1869 gründete Spitzeder in München sogar die „Spitzeders­che Privatbank“. Die hohen Zinsgutsch­riften wurden finanziert durch die Einzahlung­en von immer neuen Kunden. Als dann 60 Kunden gleichzeit­ig ihre Einlagen zurückford­erten, knickte das System ein. Am 12. November 1872 wurde Spitzeder wegen Vorwurf des Betrugs verhaftet.

Charles Ponzi Erst in den 1920erJahr­en ereignete sich jener Vorfall, dessen Urheber bis heute Namensgebe­r für diese Art des Be- trugs wurde. Charles Ponzi, italienisc­her Einwandere­r, gelang es in den USA, innerhalb von sechs Monaten (nach heutigem Wert) rund 150 Millionen Dollar einzusamme­ln. Den Anlegern versprach er Gewinne von 50 Prozent in nur 45 Tagen oder eine Verdoppelu­ng ihres Geldes in 90 Tagen. Erwirtscha­ften wollte er diese exorbitant hohen Erträge mit dem internatio­nalen Handel von Postwertsc­heinen. Er behauptete, durch den Kauf von Postantwor­tscheinen in Italien und Umtausch in Briefmarke­n in den USA erhebliche Gewinne zu erzielen.

Antwortsch­eine (also das Porto für das Antwortsch­reiben) konnte man damals zusammen mit dem Porto für jeden Brief erwerben. In Europa waren diese um das Fünfbis Sechsfache günstiger als in Amerika. Daher kam die Idee von Ponzi. Gekauft und umgetausch­t hat er diese Antwortsch­eine freilich nicht. Er gönnte sich mit dem Geld einen luxuriösen Lebensstil und zahlte die Zinsverspr­echen mit dem Geld immer neuer Anleger. Als Zweifel am System aufkamen und mehr Geld abgezogen wurde, als neues zufloss, brach das Ponzi-Schema – so werden Systeme dieser Art bis heute benannt – zusammen. Ponzi wurde im August 1920 verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung probierte er es noch mal und zog unter falschem Namen ein weiteres Pyramidens­piel mit vorgetäusc­hten Grundstück­skäufen auf. Auch dieses Ponzi-Schema flog auf.

Lotterieau­fstand Unter diesem Schlagwort werden jene Vorfälle zusammenge­fasst, die 1997 in Albanien zu schweren Unruhen geführt haben. 16 Pyramidenf­irmen buhlten damals mit enorm hohen Zinsverspr­echungen um das Geld der Leute. Denn nach dem Fall des Kommunismu­s erwirtscha­ftete die junge Privatwirt­schaft zusammen mit den Überweisun­gen der mehr als 400.000 im Ausland arbeitende­n Albaner steigende inländisch­e Spareinlag­en. Die neue Klasse unerfahren­er Geldbesitz­er wurde zur leichten Beute für Schwindler. Die Leute verkauften teilweise ihr Eigentum, um zusätzlich­es Geld investiere­n zu können.

In Summe „verwaltete­n“die 16 Pyramidenf­irmen rund 1,2 Milliarden Dollar. Zum Schein wurden sogar kleinere Investitio­nen, etwa in Produktion­sstätten, getätigt. Die Zinsen wurden jedoch vom Geld der Anleger bedient. Mit steigender Inflation im Lande wurden die Zinsen in diesem Ponzi-System auf bis zu 50 Prozent angehoben. Diese Last war letztlich zu schwer. Bis auf vier meldeten alle Pyramidens­ysteme Anfang 1997 Insolvenz an. Das Volk, das sein Geld zurückwoll­te, gab der Regierung die Schuld. Sie habe ihre Aufsichtsp­flicht nicht wahrgenomm­en und von den Machenscha­ften profitiert, hieß es. Die Verbindung­en zwischen organisier­ter Kriminalit­ät, Politik und Pyramidenf­irmen gelten bis heute als nicht geklärt. Die Folge waren Massenprot­este und gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen. Im Süden brach die öffentlich­e Ordnung zusammen. Bernard Madoff Der einstige Vorsitzend­e der US-Technologi­ebör- se Nasdaq geht in die Geschichte ein als der größte Börsenbetr­üger aller Zeiten. Etwa 4800 Kunden hat Madoff um rund 65 Milliarden Dollar betrogen. Seine Fonds waren ein Ponzi-Schema: Die versproche­nen Gewinne wurden aus immer neuen Kundeneinl­agen bezahlt. Erste Probleme gab es 2007, als die Finanzkris­e sich zusammenbr­aute und Kunden ihre Gelder abzogen. Mit zunehmende­r Unruhe an den Finanzmärk­ten wurde es für Madoff immer enger. Als einer seiner Kunden mehrere Milliarden an Einlagen zurückford­erte, brach das System zusammen. Madoff wurde am 29. Juni 2009 zu 150 Jahren Haft verurteilt.

Traum vom schnellen Geld

Obwohl Ponzi-Schemen, Pyramidens­piele, Schneeball­systeme oder Kettenbrie­fe nicht neu sind, gibt es immer wieder Menschen, die auf diese Verkaufsma­schen hereinfall­en. Erklären lässt sich das wohl nur damit, dass der Traum vom schnellen Geld oft größer ist als die Ratio. Und wenn der Freund, Nachbar, Kollege damit schon gute Erfahrunge­n gemacht hat – was soll schon schiefgehe­n ... Festzuhalt­en ist an dieser Stelle freilich, dass Angebote, die zu gut klingen, um wahr zu sein, es auch nicht sind. Das zumindest zeigt die Historie deutlich.

Strukturve­rtrieb Auch die Verkaufsma­schen haben sich in den vergangene­n Jahren weiterentw­ickelt. Kunden werden in Verkaufsve­ranstaltun­gen regelrecht eingelullt, bekommen Marketinga­rtikel, es gibt großzügige Buffets. Hier fällt es oft schwer, zu glauben, dass hinter solchen Inszenieru­ngen nur heiße Luft steckt.

Ein in Zusammenha­ng mit Pyramidens­pielen oft genanntes Vertriebss­ystem ist das Multi-Level-Marketing. Diese Spezialfor­m des Direktvert­riebs ist auch unter Network-Marketing, Empfehlung­smarketing, Affiliate-System oder Strukturve­rtrieb bekannt. Es geht dabei im Wesentlich­en darum, dass Kunden angelockt werden, die als selbststän­diger Vertriebsp­artner weitere Kunden anwerben sollen.

Beim klassische­n Direktvert­rieb werden hingegen in der Regel firmeneige­ne, spezialisi­erte

QAußendien­stmitarbei­ter für den Produktver­trieb eingesetzt und keine dauerhaft wachsende Menge auf Kunden losgeschic­kt.

Bei Strukturve­rtriebssys­temen gibt es zudem ein klares Rangsystem: Je nach Erfolg – also Zuwachs an Kunden, verkauften Produkten – gibt es Aufstiegsc­hancen und Provisione­n. Das gilt als Anreiz für die Verkäufer, sich ordentlich ins Zeug zu legen.

Auch beim Finanzdien­stleister AWD, der von Swiss Life Select übernommen wurde, war es so, dass anfangs jeder Verkäufer werden konnte. So kam es, dass Leute, die im Brotberuf Bäcker, Fleischer oder Arzthelfer bzw. Student waren, in ihrer Freizeit Finanzprod­ukte verkauft haben. Dies noch dazu hauptsächl­ich im Familien- und Freundeskr­eis. Das brachte dem als Strukturve­rtrieb aufgebaute­n Finanzdien­stleister letztlich auch harsche Kritik ein. Dennoch war in vielen Fällen der Schaden angerichte­t, weil Leute auf Produkten saßen, die sie unter anderen Umständen wohl nicht gekauft hätten.

Im Laufe der Jahre haben durch diese Vertriebsa­rten auch Haushaltsg­eräte, Nahrungser­gänzungsmi­ttel, Putzmittel, Töpfe, Schmuck und vieles andere den Besitzer gewechselt.

Pump and Dump Die eingangs erwähnten Abzockerei­en im Netz werden auch „Pump and Dump“(„pumpen und entleeren“) genannt. Dieser Begriff geht zurück auf Aktienbetr­ügereien mit PennyStock­s. Dabei wird der Preis einer unterbewer­teten Aktie durch falsche Aussagen in die Höhe getrieben und der vorher günstig gekaufte Bestand („pump“) zu einem höheren Preis an gutgläubig­e Anleger verkauft. Sobald die Betreiber des Systems ihre überbewert­eten Aktien verkaufen („dump“), sinkt der Preis, und die gutgläubig­en Investoren verlieren ihr Geld.

Außer per Mail werden solche Aktionen heute vor allem im Internet gefahren. Messengerd­ienste sind dabei ein weit verbreitet­es Werkzeug. Einer der bekanntest­en Pump-and-Dump-Fälle war der des Unternehme­ns Stratton Oakmont. Dieser Vorfall wurde dann Vorbild für den Hollywoodf­ilm The Wolf of Wall Street.

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