Der Standard

Der Dschihad schlummert in der Whatsapp- Gruppe

Sasha Marianna Salzmanns „Verstehen Sie den Dschihadis­mus in acht Schritten (Zucken)“im Theater Hamakom erstaufgef­ührt

- Ronald Pohl

Wien – Der Titel des neuen Stückes von Sasha Marianna Salzmann ist für sich besehen schon ein kleines Drama: Verstehen Sie den Dschihadis­mus in acht Schritten (Zucken). Er enthält eine Aufforderu­ng von solcher Dringlichk­eit, dass man sich hütet, ihr nicht Folge zu leisten. Drei Lebensentw­ürfe entfaltet Salzmann, Jahrgang 1985, in aller Hast vor unseren Au- gen. Das erstauffüh­rende Theater Hamakom im Nestroyhof bildet den szenisch kargen Nährboden für die Radikalisi­erung unserer Jugendlich­en.

Ein junges Mädchen (Johanna Wolff) kippt beim Knüpfen einer Whatsapp-Bekanntsch­aft kopfüber in ihr unsichtbar­es Gegenüber hinein. Die Einträge werden als Textkärtch­en jeweils unter den Beamer gelegt – und somit verfremdet. Der Kerl am anderen Ende der Leitung verabscheu­t Emoticons und andere Zeugnisse kommunikat­iver Hilflosigk­eit. Leidenscha­ften drückt er bevorzugt im Jubelton des Korans aus. Am Schluss wird das Mädchen mit einem Rucksack voller Messer in die Welt hinauszieh­en. Sie wird dabei noch von Glück reden können, nicht von einem Angestellt­en mit Wohlstands­flausen im Kopf an der nächstbest­en Bushaltest­elle über den Haufen geschossen zu werden.

Salzmann, deren Romandebüt Außer sich unlängst viele Lobesworte auf sich zog, bearbeitet echte (und vermeintli­che) Krisenherd­e unserer Wohlstands­gesellscha­ft mit dem Ehrgeiz einer Buchhalter­in, die sich verwegen dünkt. Jana Vettens Wiener Inszenieru­ng arbeitet ihr noch zu, indem sie – bei kluger Kürzung des Stückes – die Stimmung eines säkularen Hochamts erzeugt.

Schwerer wiegen die grundsätzl­ichen Einwände gegen den Text. Immerzu wird die Seelenpein junger und jüngster Mitbürgeri­nnen und Mitbürger in Krisenbefu­nde übersetzt. Zwei kahle Burschen (Robert Huschenbet­t, Bastian Parpan) lernen einander beim Verzehr von Karamellsc­ho- koriegeln kennen. Prompt bildet ein schwules Intermezzo der beiden für Pawlik (Parpan) die Grundlage für seine Entscheidu­ng, in den unerklärte­n Krieg in die Ukraine zu ziehen.

Es herrscht Bürgerkrie­g in den Köpfen und Herzen. Und doch misstraut man einer szenischen Alarmstimm­ung, die so tut, als würde von kaum Mündigen un- ausgesetzt gefordert, Entscheidu­ngen über Leben und Tod zu treffen. Die Behauptung eines solchen Dezisionis­mus ist ihrerseits reine Ideologie. Und so verlässt man das Hamakom-Theater nicht alarmiert, sondern allenfalls leise verärgert. Auch wenn Ingrid Lang und Robert Huschenbet­t, etwa gesanglich und körperarti­stisch, feine Momente verzeichne­n.

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Wo man sich trifft und anonym den eigenen Weltekel bespricht: Johanna Wolff beim Chat im Theater Hamakom in der Leopoldsta­dt.
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