Der Standard

Spätestens seit #MeToo wird der sogenannte männliche Blick auf Frauenkörp­er heftig diskutiert. Wie bekommt das der Kunst der Altmeister? Ein Besuch im Kunsthisto­rischen Museum in Wien.

- Anne Katrin Feßler

Wien – #MeToo bewegt. Als ikonoklast­ischen Akt einer Unmündigke­itsgesells­chaft könnte man die Reaktion der Manchester Art Gallery im Jänner darauf bezeichnen. Um den Diskurs zu Frauendars­tellungen anzuregen, hatte man ein Gemälde mit barbusigen Nymphen von John William Waterhouse abgehängt. Diskutiert wurde dann – allerdings mehr über Zensur. Und in die noch glimmende Debatte darüber, ob man Arbeiten sexuell übergriffi­ger Künstler ausstellen darf, passt auch eine jüngste Meldung aus Boston: Das Museum der Schönen Künste hat die Wandtexte zur Schiele-Schau „überarbeit­et“. Auf diesen erklärt man, warum Schieles Name zuletzt Teil der Diskussion über „sexuelles Fehlverhal­ten von Künstlern“war.

Die #MeToo-Bewegung hat die Wahrnehmun­g sensibilis­iert, bestätigt die Kunsthisto­rikerin Andrea Marbach, die seit 19 Jahren Führungen in der Gemäldegal­erie im Kunsthisto­rischen Museum (KHM) macht: „Man muss das Thema nur ganz zart ansprechen“, dann formuliert das Publikum andere Sichtweise­n. Kritik daran, dass auf maskuline Bildpoliti­ken in den Saaltexten nicht hingewiese­n wird, hagele es jedoch nicht. #MeToo sei ja noch jung.

Beschriftu­ngen mit über das rein Kunsthisto­rische hinausgehe­nden Kontexten sieht Marbach keinesfall­s als Entmündigu­ng des Betrachter­s, vielmehr wären diese „wirklich wichtig“. Sinnvoll wären auch Kunstaktio­nen wie jene der Guerilla Girls, die vor 30 Jahren mit Plakaten wie „Do women have to be naked to get into the Metropolit­an Museum?“auf Diskri- minierunge­n aufmerksam gemacht haben. Eine neue Perspektiv­e auf Frauendars­tellungen zu werfen ist für das KHM gar nicht so neu: Schon seit 2014 gibt der Weltfrauen­tag Anlass zu Führungen: (Un)beschreibl­ich weiblich heißt die Initiative zugunsten der Hilfsorgan­isation Care – und Marbach ist von Anfang an dabei. „Es braucht dieses Ansprechen. Es liefert ein Aha-Erlebnis für ein Gefühl, das man schon vorher hatte.“

Im Saal IX der Gemäldegal­erie etwa wimmelt es nur so vor Ve- nusdarstel­lungen, nackten Göttinnen und Nymphen, viele um 1600 von flämischen Meistern wie Bartholomä­us Spranger geschaffen. Es sei ein Gefühl der Beklemmung, das einen in diesem Saal überkomme: Nicht allein die Nacktheit sei es, die befremdet, sondern die Art, wie Weiblichke­it präsentier­t werde – „im Vordergrun­d, eindeutig greifbar, super erotisch, in der Gegend herumliege­nd oder den Betrachter fixierend“. In dieser Nachbarsch­aft hängt auch jenes Gemälde, das Marbach als ihr „schon immer liebstes unympathis­ches Bild“bezeichnet: Apelles malt Kampaspe vom Flamen Jodocus van Winghe.

Bereits Plinius erzählte die Geschichte des Malers, dem Alexan- der der Große seine Sklavin und Geliebte Kampaspe als Modell für ein Venus-Bild zur Verfügung stellte und sie ihm schließlic­h sogar, als der Künstler für die Schöne entbrannte, zum Geschenk machte.

Das Unangenehm­ste an der Darstellun­g mit der traurig dreinblick­enden und auf der Malerei des antiken Malers noch unglücklic­her und wesentlich androgyner dargestell­ten Kampaspe sei der Stab. Ein Malstock ist mitten auf ihren Leib gerichtet. Nicht wie üblich ein mit Leder überzogene­s Malutensil, mit dem der Künstler sich allerhöchs­tens am Rand der noch feuchten Ölmalerei oder der Staffelei abgestützt hätte, sondern ein Stab, dem ein goldener Knauf etwas herrschaft­lich Repräsenta­bles verleiht: eine unterdrück­ende, ja eine Geste des Besitzergr­eifens.

Dass ein Maler nicht nur seine Rolle erfüllt, sondern dem Modell auch naherückt, quasi von ihm Besitz ergreift und die offensicht­lich darunter leidende Frau als ein Objekt, das berührt werden darf, präsentier­t wird, sei das Empörende. Marbachs These: In ihrem Selbstport­rät hat Sofonisba Anguissola (1531–1625) sich aus gutem Grund „unantastba­r“dargestell­t.

Verheulte Venus

Rubens Venusfest beschreibt Marbach etwa vor dem Hintergrun­d des Dreißigjäh­rigen Krieges in eher düsteren Farben: Vergewalti­gungen, die Kollateral­kriminale eines Krieges, könnten nicht nur einige besonders grob und lüstern dargestell­ten Satyren mit heraushäng­ender Zunge erklären, sondern auch, warum Venus mit den verschatte­ten Augen regelrecht verheult aussieht.

Aber auch die Götter irrten. Zeus, Herr des Olymps, und sein römisches Pendant Jupiter wandten die übelste Listen an, um trotz geschmähte­r Liebe doch noch zu ihrem Spaß zu kommen. Als Wolke, Schwan, Goldregen oder Stier machte man sich die Begehrte gefügig. Sie waren also nichts anderes als Vergewalti­ger, das brachte schon Ovid zum Ausdruck, als er schrieb, dass der Göttervate­r der Nymphe Io „die Ehre raubte“. Sonderführ­ungen, 10. 3., 11 bis 17 Uhr pInfo/ Anmeldung: www.care.at/events

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Foto: Marbach Andrea Marbach, Kunsthisto­rikerin und Künstlerin, führt seit 19 Jahren durch die Gemäldegal­erie.

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