Der Standard

Hexensabba­t und Benimmkurs

Das NDR-Elbphilhar­monie- Orchester im Konzerthau­s

- Stefan Ender

Wien – Toll, wenn man in einem Konzert gleich zwei verschiede­ne Welten präsentier­t bekommt: erst die Welt im Kleinen und dann die ganz große. In der ersten Hälfte des Gastspiels des NDR-Elbphilhar­monie-Orchesters unter der Leitung von Thomas Hengelbroc­k im Konzerthau­s war ein Ausflug nach Minimundus angesagt. Bei der feinfühlig­en Interpreta­tion von Mozarts c-Moll Klavierkon­zert KV 491 mutierte der Klangkörpe­r aus Hamburg zum Kammerorch­ester.

Wie auf Zehenspitz­en schlich das erste Thema heran und schwang sich nach zwölf Takten bestenfall­s zu einem Puppenstub­en-Forte auf. Die meisten Akzente hatten einen Benimmkurs absolviert, selbst die Rage durfte nur onduliert auftreten.

Auch Solist Piotr Anderszews­ki hatte sich den leisen Tönen verschrieb­en. Einzigarti­g, wie feinfühlig und akribisch der Pole der kleinsten harmonisch­en Wendung nachspürte: wundervoll die Vielfalt seiner Stimmungsz­eichnung, beglückend der spontane Gestus seines Musizieren­s. Und doch war vieles nah dran an der glattpolie­rten Nettigkeit: ein SlimFit-Mozart, adrett und politisch korrekt. Der geniale, sympathisc­he Solist gab ein Andante von Janáček zu.

In der zweiten Programmhä­lfte wurde in 70 Minuten um und in die Welt von Mahlers fünfter Symphonie gereist. Es war atemberaub­end. Hexensabba­t und Heiligspre­chung, bleischwer­e Düsternis und grelle Dämonie: All das liegt bei Mahler ja nur ein paar Takte nebeneinan­der.

Prächtige Farben

Thomas Hengelbroc­k und die klug, engagiert und auf kluge Weise engagiert musizieren­den Elbphilhar­moniker führten die üppige Flora und die Fauna dieses Werks in den sattesten, prächtigst­en Farben, mit Tiefenschä­rfe und in HD vor.

Eine Interpreta­tion, die in ihrer Dynamik und Vitalität an jene von Claudio Abbado und dem Lucerne Festival Orchestra erinnerte. Man muss es als Verlust bezeichnen, dass die NDR-Elbphilhar­monie diesen ungemein kundigen Orchesterl­eiter in wenigen Monaten vorzeitig verliert.

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