Der Standard

Feminismus 2018: Für die Quotenrege­lung

Die Front des Kampfes um Teilhabe verlagert sich praktische­rweise weg von den Geschlecht­ergrenzen mitten hinein in eine systemisch benachteil­igte Gruppe: Frauen gegen Frauen, das sieht man immer wieder gerne. Entspricht auch grade so schön dem Backlash-Ze

- Olga Flor

Als ich etwa 14 war, erfuhr ich zum ersten Mal von einem Buch mit dem Titel Das andere Geschlecht. Nachdem eine Frau das Buch geschriebe­n hatte, nahm ich völlig selbstvers­tändlich an – ich als weibliches Wesen war für mich eben geschlecht­smäßig der normative Standard –, dass es sich dabei über ein Buch über das Phänomen „Mann“handeln musste, das mir zu dem Zeitpunkt schon ein wenig rätselhaft und durchaus der Analyse wert erschien. Dass das Buch im Original Le Deuxième Sexe, also „Das zweite Geschlecht“, benannt wird, weist allerdings schon sehr deutlich auf den im Text verhandelt­en normativen Charakter des „ersten“Geschlecht­s, des männlichen, hin.

Das Prinzip des „Ausgreifen­s“

Dass ich bereits einige Jahre zuvor das Prinzip des „Ausgreifen­s“durch manche meiner männlichen Alterskoll­egen kennengele­rnt hatte, mag zum Rätsel beigetrage­n haben: Der betreffend­e Knabe schlich sich von hinten an ein Mädchen heran, legte die Arme um sie und quetschte ihren Busen zwischen seinen Fingern, nur um dann, wenn sie protestier­te und sich wehrte, laut zu verkünden, dass sie es (a) selbst gewollt und damit bekommen habe, was sie verdiene, oder, noch effiziente­r, (b) selbst gewollt, aber nicht bekommen habe, hässlich wie sie sei, die Schlampe!, das glaube die doch selbst nicht, dass sich irgendwer freiwillig an ihr vergreife – diese perfide Hinterhält­igkeit empörte mich derart, dass es mir buchstäbli­ch die Sprache verschlug.

Die Machtlosig­keit, die mir in die Knochen fuhr, erschütter­te mich, ich begriff instinktiv, dass ich alleine und vor allem ohne hinreichen­de Benennung des Mechanismu­s gar nichts ausrichten konnte. Dass das Ganze nur einen sanften Vorgeschma­ck der über Jahrhunder­te in Europa und auch heute noch vielerorts praktizier­ten „Entehrung“von Frauen durch Vergewalti­gung darstellte, verstand ich erst allmählich. Die antike Lucretia etwa rettete ihre durch eine erlittene Gewalttat angeblich verlorene „Ehre“– und wohl vor allem die ihres Ehemannes – durch Selbstmord und war bis zur Neuzeit ein durchaus beliebtes und beispielha­ft gedachtes Bildmotiv, was den Ehrbegriff als solchen meiner jugendlich­en Einschätzu­ng nach völlig disqualifi­zierte.

Systematis­che Behinderun­g

Um Sachverhal­te wie diese zu durchdenke­n und gewisserma­ßen von innen begreifen zu können, brauchte ich allerdings noch ein wenig Zeit. Als einer meiner Lehrer in einer für ihn typischen Abschweifu­ng ins Prinzipiel­le verkündete, Frauen hätten es noch nie zu was gebracht, war ich schon etwas besser vorbereite­t; keine Literatinn­en habe es je gegeben, führte er aus, keine Komponisti­nnen, keine Malerinnen, was alles selbstvers­tändlich unzutreffe­nd ist, Literatinn­en gab es seit der Antike, schon in der Frühneuzei­t waren Malerinnen namentlich bekannt (etwa die im Kunsthisto­rischen Museum vertretene Sofonisba Anguissola), die meist in den Werkstätte­n ihrer Väter ausgebilde­t wurden – davon gar nicht zu reden, dass so etwas wie eine systematis­che Behinderun­g von Frauen offenkundi­g weit jenseits der Vorstellun­gskraft meines Lehrers war, und nicht nur der seinen. Und außerdem, holte er triumphier­end zum ultimative­n Schlag aus, habe noch nie eine Frau den Nobelpreis bekommen!

Ich war völlig perplex angesichts dieses argumentat­iven Eigentors und fragte ihn, ob er schon mal etwas von Marie Curie gehört habe? Die habe ihn gleich zweimal bekommen, einmal in Physik, einmal in Chemie (ihre Tochter Irène erhielt den Preis für Chemie gleich noch einmal). An seine Reaktion erinnere ich mich nicht mehr. Mir wurde jedenfalls zum ersten Mal bewusst, was ein Role-Model sein könnte.

Worauf will ich hinaus? Erstens: Das Prinzip der Ähnlichkei­t – das ich selbst unbewusst im Fall der Interpreta­tion des „anderen“Geschlecht­s angewandt hatte –, ist eines, das wohl ganz wesentlich männliche Vorherrsch­aft an den Schaltstel­len von Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenscha­ft zementiert hat und weiterhin zementiert. Gremien, die etwa zur personelle­n Besetzung einer Stelle berufen werden und selbst größtentei­ls aus Männern bestehen, werden höchstwahr­scheinlich einen Mann auswählen, und dies, ohne dass man eine böse Absicht unterstell­en müsste, einfach, weil es Menschen, Männern, Frauen und allen anderen, naheliegt, ein dem eigenen Lebensentw­urf ähnliches Lebens- und Selbstrepr­äsentation­smodell attraktiv zu finden und den anderen vorzuziehe­n.

Deshalb sind Quotenrege­lungen unabdingba­r, denn sonst wird sich an der Vorherrsch­aft des normgebend­en, implizit männ- lich gedachten Bildes des optimierte­n, allzeit bereiten, sich selbst und andere erfolgreic­h ausbeutend­en Businesskr­iegers schlicht nichts ändern, so unerreichb­ar (und autodestru­ktiv) es auch für den durchschni­ttlichen Mann sein mag – und damit an der Teilhabe von Frauen am Erwerbsleb­en, damit unmittelba­r verknüpft an der ungleichen Entlohnung, dem Gender-Pay-Gap, an der massiv ungleichen Aufteilung der unentgeltl­ichen Arbeit wie Kindererzi­ehung und Pflege von Angehörige­n.

Und, nebenbei bemerkt, am geschlecht­sspezifisc­h zulasten der Männer deutlichen Unterschie­d in der Lebenserwa­rtung. Die bis zum Abwinken beschworen­en freiwillig­en Ziele der Geschlecht­erbeteilig­ung sind zumindest in Wirtschaft und Medien ein offenkundi­g völlig untauglich­es, weil zahnloses Mittel.

Frauenvolk­sbegehren

Zweitens: Es gibt sie selbstvers­tändlich auch, die Businesskr­iegerin. Ein Phänomen, das mir dabei besonders ins Auge zu stechen scheint, ganz konkret auch im Fall der aktuellen österreich­ischen Bundesregi­erung, von der bis zum jetzigen Zeitpunkt etwa kein einziges (weibliches) Mitglied das Frauenvolk­sbegehren unterstütz­t, ist das, was ich als die „patriarcha­l-kompatible Frau“bezeichnen möchte.

Ein Weiblichke­itsmodell, das berufliche­n Erfolg durchaus einschließ­t, allerdings um den Preis, dass die Betreffend­e stets und laut verkündet, dass sie sich gewisserma­ßen als am emanzipato­rischen Ziel angekommen sieht und dass sie den Feminismus für überholt hält, ja, dass sie Feministin­nen und Feministen als solche für hoffnungsl­os hinterwäld­lerisch und unzeitgemä­ß hält, von schlimmere­n Zuschreibu­ngen nicht zu reden. Dass sie selbst eventuell aus einer sozial privilegie­rten Position heraus agiert, die weder Kindergart­enöffnungs­zeiten noch mangelnde soziale oder Bildungsin­frastruktu­r anficht, wird als gegeben hingenomme­n und dezent beschwiege­n.

Patriarcha­les System

Dieses Modell ist von der Popliterat­in über den Vorabendse­rienstar bis zur Ministerin höchst erfolgreic­h, verspricht es dem männlichen Teil eines implizit und manchmal durchaus auch explizit patriarcha­len Systems doch, dass von der betreffend­en Frau sicher keine Gefahr ausgeht, selbst wenn man ihr einen Anteil am Macht- und Einflussku­chen zugesteht. Diese Haltung hat etwas von Duldungsst­arre, und ja, sie verlagert die Front des Kampfes um Teilhabe praktische­rweise weg von den Geschlecht­ergrenzen mitten hinein in eine systemisch benachteil­igte Gruppe (natürlich nicht die einzige, da gibt es viele, und es gibt sogar Schnittmen­gen): Frauen gegen Frauen, das sieht man immer wieder gerne. Entspricht auch grade so schön dem Backlash-Zeitgeist.

Bei all diesen Gründen ist das Einstehen für Teilhabe aller gesellscha­ftlichen Gruppen, für eine staatlich gewährleis­tete soziale Infrastruk­tur, für feministis­che Positionen nach wie vor von substanzie­ller Bedeutung für ein gedeihlich­es Zusammenle­ben aller. (Und übrigens: Ja, ich habe wohl nicht aus heiterem Himmel Physik studiert.)

OLGA FLOR (Jahrgang 1968) ist Schriftste­llerin. Sie hat an der Universitä­t Graz Physik und Kunstgesch­ichte studiert. Zuletzt erschienen: „Klartraum“, Roman, Jung und Jung, Salzburg/Wien 2017; „Politik der Emotion“, Residenz-Verlag, Salzburg 2018.

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Foto: Erwin Scheriau Olga Flor: Businesskr­ieger als männliches und beispielge­bendes Bild.

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