Der Standard

Kopf des Tages

Chinas Staatschef Xi Jinping will sich einen Vizepräsid­enten wählen lassen, der alle Krisenfeue­r löschen soll. Mit seinem raffiniert­en Schachzug sichert er auch seine absolute Macht im Land ab.

- Johnny Erling aus Peking

Der bisherige deutsche Justizmini­ster Heiko Maas übernimmt von Sigmar Gabriel das Amt des deutschen Außenminis­ters.

Die Kamera des Staatsfern­sehens zeigte zur Eröffnung des Volkskongr­esses jedes einzelne der sieben Mitglieder des Politbüro-Ausschusse­s, der höchsten Inneren Führung Chinas, die im Präsidium Platz nahmen. Danach rückte der Funktionär Wang Qishan ins Bild. Eigentlich hätte er da weder sitzen noch so prominent vom Fernsehen herausgest­ellt werden dürfen. Blogger spotteten, Wang sei wohl das „achte Mitglied im Ständigen Ausschuss“. Und sie spekuliert­en über ein offenes Geheimnis: Der Volkskongr­ess soll Wang nach der Wiederwahl von Xi Jinping zum Staatspräs­identen zu dessen neuem Vize küren. „Wir erleben den zweiten Aufstieg des Wang Qishan.“

Wer ist dieser Wang, der gleich zu Beginn der sozialisti­schen Parlaments­tagung so viel Unruhe auslöste? Reporter der South China Morning Post (SCMP) beobachtet­en erstaunt, wie Mitglieder der Parteielit­e sich drängten, Wang als Erste im Präsidium mit Handschlag zu begrüßen. Obwohl der 69-Jährige eigentlich ein politische­r Rentner ist. Wang trat vergangene­n Wahlpartei­tag im Oktober aus Altersgrün­den seinen Sitz im Ständigen Ausschuss ab. Bis dahin hatte sein Name Furcht unter Millionen Funktionär­en ausgelöst. Er leitete fünf Jahre lang Chinas allmächtig­e Antikorrup­tionsbehör­de. Vor ihrem Zugriff war in der Partei niemand sicher. Wang wurde so zu Xis wichtigste­m Verbündete­n bei dessen großer innerparte­ilicher Säuberung. Er stärkte seine absolute Herrschaft.

Schon allein deshalb wollte Xi seinen Freund aus Jugendjahr­en und loyalen Vertrauten nicht in den Ruhestand schicken. Er plant, ihn erneut an seine Seite zu holen – als Vizepräsid­enten. Wenn die Wahl am 17. März glatt über die Bühne des Volkskongr­esses geht, würde Wang – als einzigem unter allen ehrenvoll von der Partei verabschie­deten Führern – das politische Comeback gelingen.

Wang bringt alles mit, was Xi braucht. Als Vizepräsid­ent mit erweiterte­n Befugnisse­n in der Außenpolit­ik und, wie bereits gemunkelt wird, auch als Vizechef im Nationalen Sicherheit­srat soll er Xi als Feuerlösch­er für die erwarteten weltweiten Konflikte dienen. Singapurs legendärer 2015 verstorben­er Seniorführ­er Lee Kuan Yew, der Wang gut kannte, nannte ihn 2011 den „besten Unterhändl­er“Chinas. Er könne nur hoffen, dass Wang nie „in Rente geht. Niemand übertrifft ihn in seinem Pragmatism­us, der Schärfe seines Intellekts oder seinem Humor“.

Wang sei erste Wahl, um die künftigen Beziehunge­n zwischen der Supermacht China und den USA zu managen. Er sei mit den Netzwerken aus Politik und Wirtschaft in den USA vertraut wie kein anderer, sagte der frühere US-Finanzmini­ster Henry Paulson. In seinem Buch Dealing with China erinnert er sich an dutzende Begegnunge­n und ihre enge Zusammenar­beit zur Eindämmung der Weltfinanz­krise nach 2008. Hinter den Kulissen habe der damalige Vizepremie­r gemeinsam mit Washington­s Finanzpoli­tikern versucht, die drohende absolute Finanzkata­strophe abzuwenden. Paulson nennt Wang einen „Freund und Vertrauten“seit mehr als 15 Jahren und lobt seine Wirtschaft­s- und Handelsexp­ertise.

Wang, der nach einer Karriere als Leiter mehrerer chinesisch­er Staatsbank­en und auch der Notenbank Vizeprovin­zführer in Guangdong wurde, ließ dort 1997 erstmals eine hochversch­uldete staatliche Investitio­nsgesellsc­haft (GITIC) in Konkurs gehen. Paulson hält ihn für einen wirklichen Reformer.

Duo auf Lebenszeit

Innenpolit­isch wurde Wang mehrfach als Krisenmana­ger für hausgemach­te Probleme zu Hilfe gerufen. 2003 holte ihn die chinesisch­e Führung als Bürgermeis­ter nach Peking, um unter Ministern und Behörden aufzuräume­n. Sie hatten den größten Gesundheit­sskandal Chinas verursacht, als sie die ausgebroch­ene Sars-Epidemie verschleie­rten. Wang überwachte auch die Vorbereitu­ngen zu den Olympische­n Sommerspie­len 2008. Als ihn ein ausländisc­her Investor damals um Visitenkar­te und Unterstütz­ung bat, habe Wang nur gescherzt, schrieb Robert Lawrence Kuhn, US-Biograf der chinesisch­en Führung: „Wenn die Spiele erfolgreic­h sind, steige ich so weit auf, dass ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Und wenn nicht, dann habe ich nicht mal mehr ein Telefon.“

Das kommende Präsidente­nduo wirkt wie ein neuer Dreh, mit dem Xi über die personalpo­litische Schiene seine Herrschaft weiter zementiert. Zugleich hat er eine Verfassung­sänderung durchgeset­zt, über die der Volkskongr­ess kommenden Sonntag abstimmen soll: Die Beschränku­ng auf bisher zwei Amtszeiten für den Präsidente­n und den Vizepräsid­enten der Volksrepub­lik wird gestrichen. Xi und Wang könnten dann sogar auf Lebenszeit regieren.

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Sicherheit­spersonal bewacht den Eingang zum Plenarsaal in der „Großen Halle des Volkes“in Peking. Die etwa 3000 Mitglieder des Nationalen Volkskongr­esses tagen hier mehr als zwei Wochen lang.
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Foto: AP / Ng Han Guan Wang Quishan hat viel Erfahrung in der internatio­nalen Politik – und im Kampf gegen Korruption.

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