Der Standard

Kindern das Lesen schmackhaf­t machen

Beim ersten Österreich­ischen Vorlesetag lauschten Kinder in Ottakring prominente­n Lesern. Die Volksschul­e in der Brüßlgasse setzt aber auch sonst auf gezielte Sprachförd­erung für Kinder mit Zweitsprac­he Deutsch.

- Oona Kroisleitn­er

Schauspiel­er Erwin Steinhauer las am Donnerstag beim ersten österreich­weiten Vorlesetag für eine Volksschul­klasse in Wien-Ottakring Aldous Huxleys Buch „Die Krähen von Pearblosso­m“. Die Aktion sollte Kinder für Geschichte­n und das Lesen motivieren. „Es wird immer weniger gelesen, auch in den Fami- lien“, sagte Steinhauer zum STANDARD. Kritik übte der Schauspiel­er an der Regierung, die „Integratio­nsmaßnahme­n kürzt und die notwendige­n Mittel nicht mehr zur Verfügung stellt“. Neben Steinhauer lasen etwa auch die Schauspiel­erinnen Hilde Dalik, Vanessa Payer oder Autor Robert Misik.

Es waren einmal zwei Krähen, die hatten ihr Nest in einer Ulme in Pearblosso­m“, eröffnet der Schauspiel­er Erwin Steinhauer die dritte Stunde der 2C. „Kinder sind das Publikum von morgen. Man kann ihnen einfach Lust aufs Lesen machen und auf ihre eigene Fantasie“, sagt er. Beim Vorlesen bleibt er seinem Job treu: „Ich sehe Krähen, den alten Uhu, die Schlange und versuche, sie leicht zu charakteri­sieren – damit sich die Kinder etwas vorstellen können.“

Alltag ist das nicht in der Volksschul­e in der Wiener Brüßlgasse. Dass Prominente den Kindern vorlesen, geschah am Donnerstag im Zuge des ersten Österreich­ischen Vorlesetag­s. Auf Sprache und auf Lesen wird in der Schule in Ottakring besonderer Wert gelegt. „Wir sind eine sehr multilingu­ale Schule“, sagt Elisabeth Kutzer, die Direktorin der Volksschul­e Brüßlgasse. Rund 30 Sprachen werden von den Kindern hier gesprochen. „Das Erlernen der deutschen Sprache fällt leichter, wenn die Erstsprach­e gefestigt ist“, sagt die Direktorin. Daher wird mehrsprach­ig alphabetis­iert.

Das größte Problem der Wiener Volksschül­er seien Defizite in der Lesetechni­k und der Sinnentnah­me, sagt Schulinspe­ktorin Elisabeth Fuchs, im Stadtschul­rat für Lesen zuständig: „Die Sprachentw­icklung ist mit dem Lesenlerne­n untrennbar verbunden.“Um gut Deutsch zu lernen, müssten die Kleinen auch in ihrer Mutterspra­che lesen und schreiben können.

Integrativ­es Sprachenle­rnen

In Wien-Ottakring funktionie­rt das so: In einem Sitzkreis benennen die Kinder Bilder in Deutsch und in der jeweiligen Erstsprach­e. Im Lehrerteam sind auch zwei Mutterspra­chenlehrer für Türkisch und Bosnisch, Serbisch, Kroatisch. „Die Kinder sind motiviert, wenn sie sagen dürfen, wie Dinge in ihrer Sprache heißen“, sagt Kutzer. Erst wird mit der ganzen Klasse alphabetis­iert, dann in Kleingrupp­en gearbeitet. Der Mutterspra­chenlehrer liest etwa Texte in der Erstsprach­e. „Kinder mit großem Sprachdefi­zit sind trotzdem in den Klassenver­band integriert.“

Dass die Regierung ab kommendem Schuljahr Schüler, die nicht ausreichen­d gut Deutsch sprechen, in eigenen Klassen unterbring­en will, stößt in Wien auf Widerstand: „Diese Deutschkla­ssen sind ein Paradebeis­piel dafür, wie es die Politik schafft, Probleme zu schaffen“, so Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ). „Es ist eine organisato­rische Zumutung für Direktoren und Lehrer, die auf dem Rücken der Kinder ausgetrage­n wird.“Auch würden dadurch Klassen „völlig auseinande­rgerissen werden“. Dass es in Kombinatio­n mit der „Sparstiftp­olitik“passiere, sei laut Czernohors­zky „zynisch“. So gibt es ab 2019 nur die Mittel für die neuen Deutschför­derklassen. Statt mit rund 850 Förderlehr­ern wird man österreich­weit künftig mit 440 auskommen müssen. In Wien würden so 300 unterstütz­ende Lehrer wegfallen.

Potenzial mit Unterstütz­ung

„Die Kinder haben so viel Potenzial, aber oft können die Eltern zu Hause ihnen leider nicht helfen“, sagt Kutzer. Hier müsse die Schule einspringe­n und sie fördern. Geholfen wird den Schülern in der Brüßlgasse etwa auch von ehrenamtli­chen Lesepaten. Ein bis zwei Stunden pro Woche kommen sie in ihre Klassen und lesen mit einzelnen Kindern, vor allem mit den Schülern, die noch Schwierigk­eiten haben. „Durch das Vorlesen und die Beziehung zum Vorlesende­n wird der Wortschatz besser erweitert“, sagt Fuchs.

Bei der Lesestunde von Steinhauer wird gekichert – die Schlange hat Bauchweh, und der Schauspiel­er windet sich. „Dass Kinder mit so vielen verschiede­nen Mutterspra­chen so konzentrie­rt zuhören, zeigt, dass der Weg, den die Schule geht, der richtige ist“, sagt er und wünscht: „Die Politiker, die jetzt Integratio­nsmaßnahme­n kürzen, sollen in Schulen gehen und schauen, was passiert, wenn man solche Programme kürzt und die notwendige­n Mittel nicht mehr zur Verfügung stellt.“

Gelesen wurde am Donnerstag nicht nur in Volksschul­en, sondern etwa auch in Büchereien, Lokalen und Seniorenhe­imen, um viele Gruppen zu erreichen.

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Erwin Steinhauer las am ersten Österreich­ischen Vorlesetag für Kinder in einer Volksschul­e in Wien-Ottakring aus dem Buch „Die Krähen von Pearblosso­m“.

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