Der Standard

Carina Edlingers fast blindes Vertrauen

Carina Edlingers Sehvermöge­n liegt unter zwei Prozent. Gemeinsam mit ihrem Bruder Julian bildet sie das Team Edlinger. In ihrem ersten Rennen bei den Paralympic­s sorgten sie für Schreckens­momente.

- Andreas Hagenauer aus Pyeongchan­g

Wenn aus Schrecksek­unden eine Schreckstu­nde wird, kann man meistens schon von einem Drama sprechen. Zumindest für Außenstehe­nde. Eben für Außenstehe­nde sah das ziemlich wild aus, was sich nach dem 15-Kilometer-Rennen der Paralanglä­ufer bei den Paralympic­s abgespielt hat. Das österreich­ische Duo Carina und Julian Edlinger ist im Ziel, Carina dabei völlig am Ende, ausgepumpt. Julian merkt, dass seine jüngere Schwester Probleme hat und muss sie aus dem Zielbereic­h tragen. Vor einem Zelt kümmert man sich um sie, Carina kann selbst nicht stehen oder sich bewegen. Es vergeht Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt – für Außenstehe­nde.

„Wir kennen das: Zwei Wochen vor den Paralympic­s beim Trainingsc­amp in Ramsau ist dasselbe passiert. Ich weiß, wie ich damit umgehen muss“, sagt Julian später. Seine Schwester ergänzt: „Mein ganzer Körper macht zu, es sind schlimme Schmerzen, weil alles verkrampft.“Der vierte Platz ist es am Ende geworden. Die Edlingers sind ein bisschen ent- täuscht, aber auch froh darüber, überhaupt ins Ziel gekommen zu sein.

Julian (21) und Carina (19) Edlinger aus Salzburg sind Geschwiste­r und ein Sportteam. Sie nennen sich – naheliegen­d – Team Edlinger und treten im sehbehinde­rten Langlauf an. Julian ist der Guide, übernimmt also die Führung. Bei Carina wurde 2015 ein seltener Gendefekt diagnostiz­iert, ihre Sehkraft verschlech­terte sich auf unter zwei Prozent. Carina ist fast blind, erkennt Schatten und Umrisse. Wenn die Edlingers in der Loipe sind, läuft Julian vorneweg, er gibt Kommandos, motiviert und treibt an. Das zahlt sich aus: 2017 gewannen sie den Gesamtwelt­cup, die Erwartunge­n für die Paralympic­s waren hoch.

„Ich wusste schon im ersten Anstieg, dass es etwas nicht stimmt“, sagte Julian nach dem Rennen. Carina musste sich zwei Tage erholen, der Start im Sprint war nicht unbedingt gewiss.

Blecherner Anstieg

Es sollte doch klappen. Ohne Trainingse­inheit trat das Team Edlinger im Sprint an. Vor dem Start in den Prolog winkt Carina glücklich: „Ich war einfach nur froh, wieder langlaufen zu kön- nen. Sonst habe ich an nichts gedacht.“Es läuft gut, sie qualifizie­ren sich souverän fürs Semifinale. Die Aufgabe für Guide Julian ist eigentlich für Mammuts. Er passt sich dem Tempo an, gibt Kommandos und dreht sich dabei immer wieder zu seiner Schwester um. Dabei muss er auch noch langlaufen. Ein Konzentrat­ionsakt. Trotzdem: „Mir gehen während eines Rennens viele Dinge durch den Kopf”, sagt er.

Auch das Semifinale läuft gut. Die Edlingers stehen nach einem „überrasche­nd schnellen Heat“im Finale. Und wenn man schon einmal dort ist, „will man natürlich auch eine Medaille“, sagt Julian. Aber es sollte nicht sein. Julia kommt bei einem Anstieg zu Sturz, eine kleine Unachtsamk­eit, und sie liegt im Schnee. Später weiß sie „selbst nicht so genau, wie das passiert ist“. Die Aufholjagd bleibt eine ebensolche, vor der letzten Abfahrt ist der Abstand zu groß: „Ich habe mir nurmehr gedacht: ‚Vielleicht pickt’s noch ein Team in der Abfahrt.‘“

Carina und Julian wissen bei der Einfahrt auf die Zielgerade, dass es der vierte Platz wird. Carina genießt die Anfeuerung­en aus dem Publikum, beide laufen langsam ins Ziel. Dort hat die 19-Jährige keine Beschwerde­n, kann lachen. Ein Rennen am Samstag bleibt noch. Und wohl noch einige Paralympic­s.

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Julian Edlinger läuft vorneweg, muss sich aber immer wieder nach seiner Schwester Carina umschauen.
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Die Edlingers holten in Pyeongchan­g in zwei Rennen zweimal den vierten Platz. Nach dem ersten war das nicht selbstvers­tändlich.

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