Der Westen gegen Russland
Sanktionen wegen US-Wahl, Kritik wegen Giftanschlags
Moskau/Washington/London – Wenige Tage vor der erwarteten Wiederwahl von Wladimir Putin als Präsident Russlands intensiviert sich im Westen die Kritik an und Skepsis gegenüber Moskau. So verhängte die US-Regierung Sanktionen wegen der mutmaßlichen Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf 2016. Dies teilte Finanzminister Steven Mnuchin am Donnerstag mit. Diese fallen allerdings vergleichsweise begrenzt aus: Die Strafmaßnahmen betreffen vorerst nur fünf Firmen und Organisationen sowie 19 russische Einzelpersonen.
Nach dem Giftanschlag auf den Exspion Sergej Skripal und dessen Tochter in Südengland stellen sich die USA, Frankreich und Deutschland hinter die britische Regierung und fordern von Russland Aufklärung. Das Attentat sei ein „Übergriff auf die Souveränität“Großbritanniens. Russland weist die Vorwürfe zurück und bestreitet, das eingesetzte Nervengift entwickelt zu haben. (red)
Während Premierministerin Theresa May als Antwort auf den Nervengiftanschlag von Salisbury den Rückhalt der westlichen Verbündeten gewinnt, ist die Labour Party über ihre Haltung gegenüber Russland gespalten. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat der Regierung die Unterstützung für deren Sanktionen gegen Moskau verweigert. Dafür wurde er am Donnerstag öffentlich von seiner verteidigungspolitischen Sprecherin Nia Griffith getadelt: „Die Position des Schattenkabinetts ist eindeutig: Wir unterstützen die Regierungsmaßnahmen.“
Die Regierungschefin hatte am Mittwoch die Ausweisung von 23 als Diplomaten getarnten russischen Spionen bekanntgegeben. Die ohnehin spärlichen Kontakte mit Moskau auf Regierungsebene würden eingefroren. Auch werde ungeklärten Todesfällen russischer Exilanten auf der Insel nachgegangen. Unklar blieb hingegen, ob und in welcher Weise London gegen reiche Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgehen will, die in London Milliardenwerte investiert haben. Oligarchen sowie deren Familienmitglieder haben den Konservativen binnen achtzehn Monaten rund eine Million Euro gespendet.
Am Donnerstag informierte sich May vor Ort in Salisbury über den Anschlag gegen Sergej und Julia Skripal. Beide schweben weiter in Lebensgefahr. Der Doppel- agent und seine Tochter waren am vorvergangenen Sonntag bewusstlos auf einer Parkbank im Ortszentrum gefunden worden. Die Aufmerksamkeit der Ermittler richtet sich offenbar vor allem auf das Haus und den BMW des 2010 aus Russland auf die Insel gekommenen Militärexperten.
„Offensive Anwendung“
In London veröffentlichte Mays Amtssitz eine von den USA, Deutschland und Frankreich mitunterzeichnete Erklärung. Darin wird „die erste offensive Anwendung eines militärischen Nervenkampfstoffes seit dem Zweiten Weltkrieg“als Angriff auf die Souveränität Großbritanniens sowie als Verletzung des Völkerrechts angeprangert. Man teile die briti- sche Einschätzung, wonach Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“die Verantwortung trage.
Die Solidarität der beiden größten EU-Staaten sowie der Nato wurde mit Erleichterung und Genugtuung aufgenommen. Bis Mittwoch hatten sich sowohl ein Sprecher von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wie auch das Weiße Haus von US-Präsident Donald Trump zurückhaltender oder widersprüchlich geäußert.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Vorwürfe als „unbegründet und flegelhaft“. Diplomatischen Gepflogenheiten gemäß dürfte Moskau eine Reihe britischer Geheimdienstler ausweisen.
Erstmals seit der Wahl vor neun Monaten begehren gemäßigte So- zialdemokraten gegen den weit links stehenden Labour-Chef Corbyn auf. Der 68-Jährige hatte am Mittwoch vermieden, Russland für den Anschlag verantwortlich zu machen; stattdessen prangerte er Kürzungen im Budget des Außenministeriums an.
Selbst Verbündete, die dem britischen Patriotismusreflex („Right or wrong: my country“) kritisch gegenüberstehen, beklagten Corbyns Auftritt. Dessen Sprecher Seumas Milne goss Öl ins Feuer, indem er Salisbury mit der Kontroverse um Saddam Husseins ABC-Waffenprogramm verglich: Im Vorfeld des Irakkriegs 2003 hatten Geheimdienste von Massenvernichtungswaffen gesprochen, die sich nach dessen Sturz als nichtexistent herausstellten.