Der Standard

Kickl über Razzia informiert

Mitarbeite­r Lett als „Vertrauens­person“von Zeugen

- Günther Oswald, Renate Graber, Fabian Schmid, Maria Sterkl

Wien – Die engsten Mitarbeite­r von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) haben im Vorfeld der Hausdurchs­uchung im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) eine zentrale Rolle gespielt. Laut Informatio­nen des STANDARD war Udo Lett, ein aus dem Landesamt für Verfassung­sschutz Wien an das Kabinett dienstzuge­teilter Mitarbeite­r als „Vertrauens­person“dabei, als zwei Zeugen bei der Korruption­sstaatsanw­altschaft BVT-Mitarbeite­r, also Letts Kollegen, belasteten.

Kickl selbst räumte im Rahmen einer dringliche­n Anfrage im Bundesrat am Donnerstag ein, dass auch er persönlich über die Einsatzbes­prechung am Tag vor der Razzia im BVT informiert gewesen sei. Der Innenminis­ter betonte aber auch neuerlich, dass man verpflicht­et sei, Verdachtsl­agen nachzugehe­n. Es gehe nicht um „Umfärbung, politische Machtkämpf­e oder um Intrigen – das ist der Weg der Rechtsstaa­tlichkeit“, so Kickl. (red)

Die Regierungs­spitze war zuletzt bemüht, in der Affäre um das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) zu kalmieren. Für Justizmini­ster Josef Moser (früher FP, jetzt VP) waren die durchgefüh­rten Hausdurchs­uchungen rechtskonf­orm, wie er am Mittwoch bei der Präsentati­on eines ersten Prüfberich­ts erläuterte. Das Innenminis­terium unter Herbert Kickl (FPÖ) wiederum versuchte stets die eigene Rolle herunterzu­spielen. Ihm stehe eine Beurteilun­g des Falles „überhaupt nicht zu“, erklärte Kickl vor einigen Tagen und stellte fest, „dass ich hier der falsche Ansprechpa­rtner bin“.

Nach und nach wurde allerdings deutlich, wie stark das KicklBüro in die BVT-Affäre involviert war. Immer wieder wurden dabei Aussagen nachjustie­rt. So bezeichnet­e der Generalsek­retär des Innenminis­teriums, Peter Goldgruber, am Dienstag noch STANDARD- Recherchen als „Unfug“, wonach er selbst es war, der eine Anzeige bei der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) einbrachte. Am Mittwoch erklärte dann der Generalsek­retär des Justizress­orts, Christian Pilnacek, die Übergabe von Unterlagen durch Goldgruber an die WKStA sei dort natürlich als Anzeige aufgenomme­n worden.

Ebenfalls durch das Justizress­ort wurde publik, dass ein Kabinettsm­itarbeiter Kickls bei den Aussagen von zwei der vier anonymen Belastungs­zeugen dabei gewesen ist – als „Vertrauens­person“. Zur Erinnerung: Die Ermittlung­en, die ursprüngli­ch auf einem anonym verschickt­en 39seitigen Dossier basierten, wurden durch diese Zeugen beschleuni­gt. Letztlich seien deren Aussagen, die bis jetzt nicht im Detail bekannt sind, der Hauptgrund für die Razzia gewesen, heißt es.

STANDARD- Informatio­nen zufolge handelt es sich bei dem Kabinettsm­itarbeiter um Udo Lett. Er ist, wie berichtet, eigentlich Mitarbeite­r des Landesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (LVT) in Wien und derzeit dem Kabinett dienstzuge­teilt. Bei den LVTs handelt es sich um die Landesnied­erlassunge­n des Verfassung­sschutzes.

Ein Mitarbeite­r des LVT Wien war also bei den Aussagen von zwei Zeugen dabei, als diese seine Kollegen vom BVT belasteten. Zudem haben Lett und Goldgru- ber, so der bisherige Ermittlung­sstand, den allererste­n Zeugen persönlich an die WKStA vermittelt. Auf Anfrage stellte Goldgruber das zuletzt noch etwas anders dar. Er gab an, nicht zu wissen, wer die Zeugen sind.

Nachfolger Gridlings?

Im Innenresso­rt wurde die Rolle Letts, dem auch Ambitionen auf die Nachfolge des derzeit suspendier­ten BVT-Chefs Peter Gridling nachgesagt werden, hinter vorgehalte­ner Hand bereits kritisch beäugt. So wurde das LVT Wien nach dem von Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache (FPÖ) gemeldeten Einbruch in seinem Büro und der dort angeblich gefundenen Wanze mit den Ermittlung­en beauftragt. Zuständig ist das LVT unter anderem auch für den Kampf gegen Rechtsextr­emismus, und wie berichtet haben sich BVT und LVT auch immer wieder kritisch mit Veranstalt­ungen auseinande­rgesetzt, an denen FPÖPolitik­er teilnahmen.

Angesichts der vielen Ungereimth­eiten macht die Opposition weiter Druck. Am Donnerstag- nachmittag brachten die Grünen im Bundesrat dringliche Anfragen an Kickl und Moser ein. Der Justizmini­ster bekräftigt­e dabei, es bestehe „kein Anlass zur Kritik“an der Staatsanwa­ltschaft.

Die Hausdurchs­uchung sei nötig gewesen, weil die Gefahr bestanden habe, dass Beweismitt­el vernichtet werden. Konkret geht es dabei um Daten des Wiener Anwalts Gabriel Lansky und der früheren Grün-Politikeri­n Sigrid Maurer, die eigentlich gelöscht werden hätten sollen, das aber angeblich nicht wurden. Beim zweiten Ermittlung­sstrang geht es um die Weitergabe nordkorean­ischer Pässe an Südkorea. Von diesen Ermittlung­en wusste das BVT, wie berichtet, lange vor der Hausdurchs­uchung.

Kickls Gegenfrage­n

Kickl holte bei seinem Auftritt im Bundesrat zu einer Reihe von Gegenfrage­n aus und wollte von den Grünen unter anderem wissen, ob man bei Vorliegen eines Verdachtes „so tun solle, als wäre nichts“. Die Suspendier­ung Gridlings verteidigt­e er neuerlich unter Berufung auf das Beamtendie­nstrecht. Er räumte aber erstmals explizit ein, dass auch er über die Einsatzbes­prechung am Vortag der Hausdurchs­uchung informiert gewesen sei. Bei dieser wurde ja die vom FPÖ-Gemeindepo­litiker Wolfgang Preiszler geleitete Einsatzgru­ppe zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität (EGS) beauftragt.

Neben BVT-Chef Peter Gridling wehren sich nun weitere beschuldig­te BVT-Beamte gegen die Hausdurchs­uchung. Rechtsanwa­lt Otto Dietrich, der einen Bedienstet­en vertritt, begründet das damit, dass der Tatverdach­t gegen seinen Mandanten nicht konkret und die Hausdurchs­uchung unverhältn­ismäßig gewesen sei.

Die Beschwerde geht ans Oberlandes­gericht Wien, wo ein Senat aus drei unabhängig­en und weisungsfr­eien Richtern nun die Rechtmäßig­keit der Hausdurchs­uchung prüfen muss. Als „eigentümli­ch“bezeichnet Anwalt Dietrich die erwähnten Auftritte Mosers und Pilnaceks, weil sich das Justizress­ort offenbar „schon eine Meinung gebildet hat“und die Vorgangswe­ise als verhältnis­und rechtmäßig einstufte. „Aber was ist in diesem Fall nicht eigentümli­ch?“

Message-Control“war eines der zentralen Ziele der Regierung Kurz. Anders als die Vorgängerk­oalition würde sie den Medien und der Öffentlich­keit die Themen vorgeben, diese in einfache Botschafte­n packen und jeden öffentlich­en Streit vermeiden. Das ging ein paar Wochen gut. Aber politische Kommunikat­ion besteht nicht nur aus der Umsetzung vorgeplant­er Strategien, sondern auch aus einer angemessen­en Reaktion auf unvorherge­sehene Ereignisse. Und beim Umgang mit ihrer ersten echten Krise – der Affäre rund um das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) – erweist sich die türkis-blaue Koalition zumindest als ungeschick­t, wenn nicht als geradezu unfähig.

Die aktuellen Turbulenze­n wurden der Regierung nicht einmal von außen aufgezwung­en, sie sind hausgemach­t. Aber sie legen die Bruchlinie­n in der Koalition offen, die nicht weniger tief sind als einst bei Rot-Schwarz.

Was ist geschehen? Ein machtbewus­ster Innenminis­ter hat offenbar mithilfe seines treuen Generalsek­retärs versucht, einen Schlüsselb­ereich des Sicherheit­sapparates, der unter anderem den Rechtsextr­emismus bekämpfen soll, unter seine Kontrolle zu bringen. Herbert Kickl und Peter Goldgruber dürften dabei taktische und wohl auch rechtliche Fehler gemacht haben. Jedenfalls hatten sie nicht erwartet, dass die Sache so viel öffentlich­es Aufsehen erregt.

Das war höchst kurzsichti­g. Die Medien, unterstütz­t von Informante­n, berichtete­n ausführlic­h und stießen auf massives Interesse. Der Eindruck, hier sei eine Säule des liberalen Rechtsstaa­tes bedroht, regt auch Bürger auf, die Türkis-Blau nicht von vornherein ablehnten. Und jeder Widerspruc­h in den offizielle­n Aussagen über die Vorwürfe gegen das BVT oder die Razzien – und von denen gibt es täglich mehr – schürt bloß weiteres Misstrauen.

Auffallend ist, wie hilflos die ÖVP hier reagiert. Sie will in die Affäre nicht hineingezo­gen werden, wagt es aber auch nicht, durch offene Distanzier­ung den Koalitions­partner zu vergrämen und den Schein der Geschlosse­nheit zu zerstören, auf den Kanzler Sebastian Kurz so viel Wert legt. Schien es anfangs, als wolle das Justizmini­sterium für Aufklärung sorgen, tat Ressortche­f Josef Moser am Mittwoch das Gegenteil: Mit vielen Worten und wenig Überzeugun­g kaute er Kickls und Goldgruber­s Version nach. Und als VP-Sicherheit­ssprecher Werner Amon den suspendier­ten BVT-Chef Peter Gridling als Einziger verteidigt­e, wies ihn Strache sofort in die Schranken. Seither sind die Türkisen still. Auch Kurz schweigt; er weiß wohl nicht, was er sagen soll.

Als Folge der missglückt­en Kommunikat­ionspoliti­k wirkt die FPÖ machtgieri­g und perfide, die ÖVP nur schwach. Schlechter hätte es die letzte Regierung auch nicht hingebrach­t. Dass man das Innenminis­terium effektiv und rechtlich wasserdich­t umfär- ben kann, hat einst Ernst Strasser vorexerzie­rt. Kickl muss nun damit rechnen, dass jeder noch so kleine Schritt für neuerliche­n Aufschrei sorgt. Im grellen Scheinwerf­erlicht der Öffentlich­keit ist sein Spielraum begrenzt.

Voraussetz­ung dafür sind eine effektive Opposition, eine aktive Presse und eine unabhängig­e Justiz. Dafür gibt es keine Garantie, aber durch die BVTAffäre werden diese Kontrollin­stitutione­n motiviert und bestärkt.

Die Schonzeit für die Regierung Kurz ist vorbei. Die Sorge, ein perfekt gemanagter Politappar­at habe nun das Land im Griff, dürfte übertriebe­n sein.

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