Kickl über Razzia informiert
Mitarbeiter Lett als „Vertrauensperson“von Zeugen
Wien – Die engsten Mitarbeiter von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) haben im Vorfeld der Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) eine zentrale Rolle gespielt. Laut Informationen des STANDARD war Udo Lett, ein aus dem Landesamt für Verfassungsschutz Wien an das Kabinett dienstzugeteilter Mitarbeiter als „Vertrauensperson“dabei, als zwei Zeugen bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft BVT-Mitarbeiter, also Letts Kollegen, belasteten.
Kickl selbst räumte im Rahmen einer dringlichen Anfrage im Bundesrat am Donnerstag ein, dass auch er persönlich über die Einsatzbesprechung am Tag vor der Razzia im BVT informiert gewesen sei. Der Innenminister betonte aber auch neuerlich, dass man verpflichtet sei, Verdachtslagen nachzugehen. Es gehe nicht um „Umfärbung, politische Machtkämpfe oder um Intrigen – das ist der Weg der Rechtsstaatlichkeit“, so Kickl. (red)
Die Regierungsspitze war zuletzt bemüht, in der Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zu kalmieren. Für Justizminister Josef Moser (früher FP, jetzt VP) waren die durchgeführten Hausdurchsuchungen rechtskonform, wie er am Mittwoch bei der Präsentation eines ersten Prüfberichts erläuterte. Das Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) wiederum versuchte stets die eigene Rolle herunterzuspielen. Ihm stehe eine Beurteilung des Falles „überhaupt nicht zu“, erklärte Kickl vor einigen Tagen und stellte fest, „dass ich hier der falsche Ansprechpartner bin“.
Nach und nach wurde allerdings deutlich, wie stark das KicklBüro in die BVT-Affäre involviert war. Immer wieder wurden dabei Aussagen nachjustiert. So bezeichnete der Generalsekretär des Innenministeriums, Peter Goldgruber, am Dienstag noch STANDARD- Recherchen als „Unfug“, wonach er selbst es war, der eine Anzeige bei der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einbrachte. Am Mittwoch erklärte dann der Generalsekretär des Justizressorts, Christian Pilnacek, die Übergabe von Unterlagen durch Goldgruber an die WKStA sei dort natürlich als Anzeige aufgenommen worden.
Ebenfalls durch das Justizressort wurde publik, dass ein Kabinettsmitarbeiter Kickls bei den Aussagen von zwei der vier anonymen Belastungszeugen dabei gewesen ist – als „Vertrauensperson“. Zur Erinnerung: Die Ermittlungen, die ursprünglich auf einem anonym verschickten 39seitigen Dossier basierten, wurden durch diese Zeugen beschleunigt. Letztlich seien deren Aussagen, die bis jetzt nicht im Detail bekannt sind, der Hauptgrund für die Razzia gewesen, heißt es.
STANDARD- Informationen zufolge handelt es sich bei dem Kabinettsmitarbeiter um Udo Lett. Er ist, wie berichtet, eigentlich Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Wien und derzeit dem Kabinett dienstzugeteilt. Bei den LVTs handelt es sich um die Landesniederlassungen des Verfassungsschutzes.
Ein Mitarbeiter des LVT Wien war also bei den Aussagen von zwei Zeugen dabei, als diese seine Kollegen vom BVT belasteten. Zudem haben Lett und Goldgru- ber, so der bisherige Ermittlungsstand, den allerersten Zeugen persönlich an die WKStA vermittelt. Auf Anfrage stellte Goldgruber das zuletzt noch etwas anders dar. Er gab an, nicht zu wissen, wer die Zeugen sind.
Nachfolger Gridlings?
Im Innenressort wurde die Rolle Letts, dem auch Ambitionen auf die Nachfolge des derzeit suspendierten BVT-Chefs Peter Gridling nachgesagt werden, hinter vorgehaltener Hand bereits kritisch beäugt. So wurde das LVT Wien nach dem von Vizekanzler HeinzChristian Strache (FPÖ) gemeldeten Einbruch in seinem Büro und der dort angeblich gefundenen Wanze mit den Ermittlungen beauftragt. Zuständig ist das LVT unter anderem auch für den Kampf gegen Rechtsextremismus, und wie berichtet haben sich BVT und LVT auch immer wieder kritisch mit Veranstaltungen auseinandergesetzt, an denen FPÖPolitiker teilnahmen.
Angesichts der vielen Ungereimtheiten macht die Opposition weiter Druck. Am Donnerstag- nachmittag brachten die Grünen im Bundesrat dringliche Anfragen an Kickl und Moser ein. Der Justizminister bekräftigte dabei, es bestehe „kein Anlass zur Kritik“an der Staatsanwaltschaft.
Die Hausdurchsuchung sei nötig gewesen, weil die Gefahr bestanden habe, dass Beweismittel vernichtet werden. Konkret geht es dabei um Daten des Wiener Anwalts Gabriel Lansky und der früheren Grün-Politikerin Sigrid Maurer, die eigentlich gelöscht werden hätten sollen, das aber angeblich nicht wurden. Beim zweiten Ermittlungsstrang geht es um die Weitergabe nordkoreanischer Pässe an Südkorea. Von diesen Ermittlungen wusste das BVT, wie berichtet, lange vor der Hausdurchsuchung.
Kickls Gegenfragen
Kickl holte bei seinem Auftritt im Bundesrat zu einer Reihe von Gegenfragen aus und wollte von den Grünen unter anderem wissen, ob man bei Vorliegen eines Verdachtes „so tun solle, als wäre nichts“. Die Suspendierung Gridlings verteidigte er neuerlich unter Berufung auf das Beamtendienstrecht. Er räumte aber erstmals explizit ein, dass auch er über die Einsatzbesprechung am Vortag der Hausdurchsuchung informiert gewesen sei. Bei dieser wurde ja die vom FPÖ-Gemeindepolitiker Wolfgang Preiszler geleitete Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) beauftragt.
Neben BVT-Chef Peter Gridling wehren sich nun weitere beschuldigte BVT-Beamte gegen die Hausdurchsuchung. Rechtsanwalt Otto Dietrich, der einen Bediensteten vertritt, begründet das damit, dass der Tatverdacht gegen seinen Mandanten nicht konkret und die Hausdurchsuchung unverhältnismäßig gewesen sei.
Die Beschwerde geht ans Oberlandesgericht Wien, wo ein Senat aus drei unabhängigen und weisungsfreien Richtern nun die Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchung prüfen muss. Als „eigentümlich“bezeichnet Anwalt Dietrich die erwähnten Auftritte Mosers und Pilnaceks, weil sich das Justizressort offenbar „schon eine Meinung gebildet hat“und die Vorgangsweise als verhältnisund rechtmäßig einstufte. „Aber was ist in diesem Fall nicht eigentümlich?“
Message-Control“war eines der zentralen Ziele der Regierung Kurz. Anders als die Vorgängerkoalition würde sie den Medien und der Öffentlichkeit die Themen vorgeben, diese in einfache Botschaften packen und jeden öffentlichen Streit vermeiden. Das ging ein paar Wochen gut. Aber politische Kommunikation besteht nicht nur aus der Umsetzung vorgeplanter Strategien, sondern auch aus einer angemessenen Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse. Und beim Umgang mit ihrer ersten echten Krise – der Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) – erweist sich die türkis-blaue Koalition zumindest als ungeschickt, wenn nicht als geradezu unfähig.
Die aktuellen Turbulenzen wurden der Regierung nicht einmal von außen aufgezwungen, sie sind hausgemacht. Aber sie legen die Bruchlinien in der Koalition offen, die nicht weniger tief sind als einst bei Rot-Schwarz.
Was ist geschehen? Ein machtbewusster Innenminister hat offenbar mithilfe seines treuen Generalsekretärs versucht, einen Schlüsselbereich des Sicherheitsapparates, der unter anderem den Rechtsextremismus bekämpfen soll, unter seine Kontrolle zu bringen. Herbert Kickl und Peter Goldgruber dürften dabei taktische und wohl auch rechtliche Fehler gemacht haben. Jedenfalls hatten sie nicht erwartet, dass die Sache so viel öffentliches Aufsehen erregt.
Das war höchst kurzsichtig. Die Medien, unterstützt von Informanten, berichteten ausführlich und stießen auf massives Interesse. Der Eindruck, hier sei eine Säule des liberalen Rechtsstaates bedroht, regt auch Bürger auf, die Türkis-Blau nicht von vornherein ablehnten. Und jeder Widerspruch in den offiziellen Aussagen über die Vorwürfe gegen das BVT oder die Razzien – und von denen gibt es täglich mehr – schürt bloß weiteres Misstrauen.
Auffallend ist, wie hilflos die ÖVP hier reagiert. Sie will in die Affäre nicht hineingezogen werden, wagt es aber auch nicht, durch offene Distanzierung den Koalitionspartner zu vergrämen und den Schein der Geschlossenheit zu zerstören, auf den Kanzler Sebastian Kurz so viel Wert legt. Schien es anfangs, als wolle das Justizministerium für Aufklärung sorgen, tat Ressortchef Josef Moser am Mittwoch das Gegenteil: Mit vielen Worten und wenig Überzeugung kaute er Kickls und Goldgrubers Version nach. Und als VP-Sicherheitssprecher Werner Amon den suspendierten BVT-Chef Peter Gridling als Einziger verteidigte, wies ihn Strache sofort in die Schranken. Seither sind die Türkisen still. Auch Kurz schweigt; er weiß wohl nicht, was er sagen soll.
Als Folge der missglückten Kommunikationspolitik wirkt die FPÖ machtgierig und perfide, die ÖVP nur schwach. Schlechter hätte es die letzte Regierung auch nicht hingebracht. Dass man das Innenministerium effektiv und rechtlich wasserdicht umfär- ben kann, hat einst Ernst Strasser vorexerziert. Kickl muss nun damit rechnen, dass jeder noch so kleine Schritt für neuerlichen Aufschrei sorgt. Im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit ist sein Spielraum begrenzt.
Voraussetzung dafür sind eine effektive Opposition, eine aktive Presse und eine unabhängige Justiz. Dafür gibt es keine Garantie, aber durch die BVTAffäre werden diese Kontrollinstitutionen motiviert und bestärkt.
Die Schonzeit für die Regierung Kurz ist vorbei. Die Sorge, ein perfekt gemanagter Politapparat habe nun das Land im Griff, dürfte übertrieben sein.