Der Standard

Polizeiein­satz in Tirol wirft Fragen auf

Seit Juni 2017 läuft in Tirol ein Pilotproje­kt der Fremdenpol­izei gegen Sozialbetr­ug. Ein Einsatz dieser Sondereinh­eit sorgt nun für Nachwehen. Man sei unberechti­gt in ihr Haus eingedrung­en, so der Vorwurf einer Tirolerin.

- Steffen Arora

Schwaz – Elisabeth S. will eine Erklärung. Am Nachmittag des 24. Jänner, die 62-Jährige war mit ihren zwei und vier Jahre alten Enkerln vom Skifahren nach Hause gekommen, fuhren drei Polizeiaut­os in ihrer Einfahrt auf. Sechs Beamte „stürmten“, so ihre Erinnerung, auf die Frau zu und wollten forsch wissen, „wo die Asylanten sind“. Nachdem sie es nicht sagen konnte, hätte die Polizei ohne ihre Erlaubnis das Haus betreten, um drei bei S. gemeldete Asylberech­tigte zu suchen.

Bei den Beamten handelte es sich um Mitglieder der fremdenpol­izeilichen Sonderermi­ttlungsgru­ppe gegen Sozialbetr­ug, eines Pilotproje­kts, das seit Juni 2017 in Tirol läuft. Landeshaup­tmann Günther Platter und der damalige Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (beide ÖVP) haben diesen Pilotversu­ch im Rahmen der Tiroler Sicherheit­svereinbar­ung im Jänner 2017 beschlosse­n. Bis heute, so die Erfolgsbil­anz der Polizei, habe man rund 120 Delikte mit einer Schadenssu­mme von über 500.000 Euro ausgeforsc­ht.

Nur Ausländer im Visier

Ermittelt wird auf Basis des Paragrafen 119 des Fremdenpol­izeigesetz­es. Eines „Spezialges­etzes“, wie man bei der Fremdenpol­izei erklärt, das die unrechtmäß­ige Inanspruch­nahme von Sozialleis­tungen von Nichtöster­reichern betrifft. Ziel der Ermittlung­en sind daher ausschließ­lich Ausländer. Wobei die Fremdenpol­izei anmerkt, dass – sollten sich im Zuge der Ermittlung­en Verdachtsm­omente gegen involviert­e Inländer ergeben – auf Basis herkömmlic­her Strafgeset­zgebung hinsichtli­ch Betrugs auch gegen diese ermittelt werde.

Wie nun aber Frau S., die sich seit Jahren ehrenamtli­ch für Flüchtling­e engagiert, ins Visier der Ermittler geraten konnte, ist ihr schleierha­ft. In ihrem Haus waren kurzfristi­g ein syrischer Vater und seine beiden Töchter gemeldet. Die drei gehören zu einer siebenköpf­igen Familie, die seit 2015 als anerkannte Flüchtling­e in Österreich sind. Weil man keine passende Wohnung für die Familie im Ort finden konnte, bot S. an, die drei vorerst bei sich aufzunehme­n. „Alles war ordnungsge­mäß angemeldet, ich habe sogar die Müllgebühr­en bei der Gemeinde für sie entrichtet“, erklärt die Frau. Und sie hat keine Miete verlangt: „Ich dachte, damit spare ich dem Sozialamt Geld.“

Auch die zuständige Bezirkshau­ptmannscha­ft (BH) in Schwaz bestätigt, dass es weder gegen S. noch die Familie einen Verdacht auf unrechtmäß­ig bezogene Sozialleis­tungen gegeben habe. Die BH versichert, keinerlei derartige Meldung an die Polizei getätigt zu haben. Warum diese aktiv wurde, sei nicht bekannt. Seitens der Polizei verweist man darauf, dem Verdacht einer Scheinmeld­ung nachgegang­en zu sein.

S. erlebte den Polizeiein­satz als „Überfall“und beklagt „das grobe Vorgehen“der Beamten, die ihr bis heute nicht erklärt hätten, warum sie ohne Durchsuchu­ngsbefehl oder Begründung in ihr Haus eingedrung­en sind.

Die Polizei weist diese Darstellun­g zurück. Der „Besuch“sei ordnungsge­mäß abgelaufen. Man habe Nachschau gehalten, weil eine unrechtmäß­ig aufhältige Person im Haus vermutet wurde, und das sei S. auch so mitgeteilt worden. Ein wichtiges Detail, denn der Verdacht des Sozialbetr­uges hätte ein solches Eindringen in das Haus nicht gerechtfer­tigt, eine illegal aufhältige Person schon.

Woher nun aber der Verdacht gerührt habe, dass bei S. illegal Aufhältige versteckt seien, obwohl alle Familienmi­tglieder einen gültigen Aufenthalt­stitel haben, dazu wird von der Fremdenpol­izei keine Auskunft gegeben. Es handle sich um ein laufendes Verfahren. Die Polizei ließ S. wissen, dass weitere Erhebungen ergeben hätten, dass gegen sie wegen „verwaltung­sstrafrech­tlicher Tatbeständ­e“Anzeige bei der BH erstattet werde. Auch die syrische Familie sei angezeigt worden. Bei der BH Schwaz sind allerdings keinerlei Anzeigen bekannt.

Der auf Fremdenrec­ht spezialisi­erte Jurist Georg Bürstmayr hält die im Fremdenpol­izeigesetz festgeschr­iebene Ermächtigu­ng zum Bruch des Hausrechte­s in derlei vagen Verdachtsm­omenten, wie auch die Rechtsanwa­ltskammer, für „hochproble­matisch“: „Man kann wahnsinnig schnell in so einen Verdacht geraten.“Damit werde ein Grundrecht entwertet.

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Begründete Verdachtsl­age oder überzogene Härte? Die Schilderun­gen der Polizei und der betroffene­n Frau gehen auseinande­r. Die Gesetzesla­ge sei „hochproble­matisch“, sagen Juristen.

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