Der Standard

Stephan Suschke im Porträt

Sein Leben als Theaterman­n führte Stephan Suschke als jungen DDR-Studenten einst an die Seite des Dramatiker­stars Heiner Müller. Heute leitet Suschke das Schauspiel in Linz. Ein Porträt.

- Ronald Pohl

Linz – „Ich sammle mit Heiner Müllers Anatomie Titus gerade eine Menge Erfahrunge­n“, erzählt Stephan Suschke. „Man erschließt den Text ganz genau. Die Vorlage gilt ja gemeinhin als Shakespear­es schwächste­s Stück. Eben deshalb war es für Müller als Vorlage für eine ,Übermalung‘ geeignet.“Suschke inszeniert das Stück mit dem rätselhaft­en Stakkato-Titel Anatomie Titus Fall of Rome am Linzer Landesthea­ter (Premiere heute, Freitag).

Er weiß, dass man dieses Blutbad innerhalb der Tore Roms (mitsamt Kannibalis­mus) heutigen Zusehern recht genau erklären muss. Er sagt: „Müllers ideologisc­her Impetus galt in den 1980erJahr­en der Liebe zur Dritten Welt. Ich bin mir nur nicht sicher, ob Shakespear­es Stoff für eine Parteinahm­e zugunsten der Dritten Welt überhaupt geeignet ist.“

Suschke ist seit Herbst 2016 Schauspiel­chef in Linz. Darüber hinaus scheint der höfliche, hochgewach­sene Thüringer wie kaum ein Zweiter berufen, über die wahren Absichten des großen, bei uns nur mehr selten gespielten DDR-Dramatiker­s Heiner Müller (1929–1995) Auskunft zu geben. Müller bildete in den Jahren des Kalten Krieges die weltläufig­e Alternativ­e zum Gurkenglas­kommunismu­s ostdeutsch­er Prove- nienz. Er verwaltete selbststän­dig das Bertolt-Brecht-Erbe. Vom SED-Regime wurde er misstrauis­ch beäugt und stand dennoch mit ihm auf Duzfuß.

Seit 1987 leistete Suschke für den Theaterman­n mit der unvermeidl­ichen Zigarre wertvolle Assistenzd­ienste. Müller begann zu diesem Zeitpunkt selbst zu inszeniere­n. Suschke datiert seine Erstbegegn­ung mit dem Müller-Theater auf einen noch früheren Zeitpunkt. „Ich war vom Stanislaws­kiTheater geprägt, ein junger, strebsamer Student aus Weimar. Da bekam ich die Karge/Langhoff-Aufführung von Schlacht/Traktor an der Volksbühne zu sehen.“Susch- ke fand die Inszenieru­ng zwar irgendwie scheußlich, fühlte sich aber auch wachgeküss­t und innerlich ergriffen. Heiner Müller, der eine famose Begabung für soziale Kontakte besaß, nahm den Jüngling bereitwill­ig unter seine Fittiche. Und Suschke begleitete unauffälli­g Müllers Aufstieg ins Establishm­ent.

Der sprachgewa­ltige Dichter schrieb immer weniger Stücke. Dafür wurde er immer häufiger als qualmende Sphinx zur Lage der postkommun­istischen Welt befragt. Suschke folgte dem Charismati­ker nach dessen Tod sogar auf den Direktoren­sessel des Berliner Ensembles (1997 bis 1999) nach. Heute schwärmt der Linzer Theaterche­f von Müllers Fähigkeit, „im Gespräch sofort einen angstfreie­n Raum herzustell­en. Das war für alle Beteiligte­n sehr produktiv! Von ängstliche­n Menschen bekommt man ja nichts. Das haben nur die Manager im Neoliberal­ismus noch nicht verstanden.“

Das Stehen auf eigenen Füßen hat Suschke nach Ende seines Engagement­s am BE neu erlernen müssen. „Meine ganze Arbeit bis 1999 hatte ich immer in Müllers Fußstapfen geleistet. Ich hätte mich auch nie als selbststän­digen Regisseur bezeichnet, obwohl ich sicher ein paar anständige Inszenieru­ngen abgeliefer­t hatte.“

In der „weiten Theaterwel­t draußen“hätte jedenfalls niemand auf ihn gewartet gehabt. Suschke kann heute darüber schmunzeln. Er habe sich durch die Provinz gearbeitet, wie man sich durch einen Grießberg hindurchis­st. Die Nennung des Namens „Müller“sei in den Nullerjahr­en für ein Engagement nicht förderlich gewesen. Paradoxerw­eise sagt Suschke: „Eigentlich war es toll!“Er habe sich an das Bild, das er sich von sich gemacht habe, „heranarbei­ten“müssen. „Das ist sehr protestant­isch gedacht. Aber irgendwann möchte man sich in sich selbst einfach zu Hause fühlen können.“

Auflösung und Rache

Das tut er jetzt, in Linz. Müllers Titus Andronicus sei des Dichters liebste „Schlachtpl­atte“gewesen: „Da wird augenschei­nlich eine Gesellscha­ft gezeigt, in der ein Vakuum herrscht. Titus ist eine Rachetragö­die. Aber Rache funktionie­rt nur in Systemen, in denen sich die Staatsordn­ung auflöst. Der Einzelne wird dadurch von den Institutio­nen im Stich gelassen und bekommt keine Gerechtigk­eit mehr. An diesem Punkt kocht jeder sein eigenes Süppchen.“Was die Schlachtpl­atte besonders bekömmlich macht.

„Müller bedient auch die Ästhetik des Schreckens. Man muss sie durch die Brille von Quentin Tarantino betrachten.“Was Suschke verblüfft: Die Geschichte einer Ereigniske­tte von Gräueln hat in ihm das Bedürfnis nach starken Institutio­nen geweckt. Der Kaiserthro­n in Rom ist leer. Den Zwist der Prinzen machen sich die Gotenkönig­in und ihr Diener zu eigen ... „Es ist gut, dass es Institutio­nen gibt, die das Recht verwalten“, sagt Suschke. So ist aus Müllers Assistent ein Habermas’scher Verfassung­spatriot geworden. www.landesthea­ter-linz.at

 ??  ?? Stephan Suschke (wird heuer 60) heftete sich einst an die Fersen des Charismati­kers Heiner Müller. Heute inszeniert er dessen Shakespear­e-Paraphrase „Anatomie Titus“in Linz.
Stephan Suschke (wird heuer 60) heftete sich einst an die Fersen des Charismati­kers Heiner Müller. Heute inszeniert er dessen Shakespear­e-Paraphrase „Anatomie Titus“in Linz.

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