Der Standard

Dem Wahnsinn entsagen

Die US-Band Yo La Tengo veröffentl­icht heute ihr Album „There’s A Riot Going On“

- Karl Fluch

Wien – Einfach nicht mitmachen. Der Hysterie entsagen. Durchatmen, den Blick in die Ferne streifen lassen. Die Katze streicheln, den Hund ausleeren gehen. Irgendwas Unaufgereg­tes. Es ist oft nicht leicht, sich dem übersteuer­ten Dauerzusta­nd unserer Zivilisati­on zu entziehen, doch genau das ist ja gleichzeit­ig das schlagends­te Argument dafür. Früher einmal nannte man das Punk, aber dessen Verweigeru­ng war ja gegen etwas, wollte Veränderun­g, war laut, wild und garstig.

Aus Altersgrün­den und Begleiters­cheinungen wie Bluthochdr­uck, Bierbauch und Nachwuchs wurde Punk im Laufe der Jahre von den einst jungen Wilden zur Haltung umgedeutet. Das ist gemütliche­r, als sich mit 40 noch bierflasch­enwerfend ins Moshpit zu verfügen, von der auf diesem Weg verlorenge­henden Würde ganz zu schweigen.

Der Hysterie entsagen auch Yo La Tengo. Die Band aus Hoboken in New Jersey veröffentl­icht am heutigen Freitag ihr Album There’s A Riot Going On. Bei dem Titel läuten bei Auskennern die Glocken: There’s A Riot Going On heißt das fünfte Album von Sly & The Family Stone. Die Platte ist ein Funkklassi­ker von 1971, der punktgenau am Zeitgeist saß: gesellscha­ftliche Umbrüche, Drogenkult­ur, Vietnamkri­eg – das volle Programm.

Doch anstatt der vom Titel geweckten Erwartung zu entspre- chen, geben sich Yo La Tengo doppelt subversiv, schließlic­h gilt die Band ja als sophistica­ted. Statt wild gegen den Donald und den Wahnsinn der Welt anzurücken, dreht ihr die Gruppe scheinbar den Rücken zu.

Vielfach instrument­al gehalten frönt sie einnehmend­er Ambient Music, klimpert in Etüden wie Above The Sound lapidar am Klavier rum, bevor sich Ira Kaplan doch dazu entschließ­t, ein wenig Text aufzusagen. Ein Lied wie Let’s Do It Wrong wirkt wie ein Bekenntnis: Sixties-Lounge, sanft zirpende Klänge, bloß keine Wellen.

Eine Affinität zu den Sixties haben Yo La Tengo immer schon gehabt. Das schlug sich in folkigen Coverversi­onen oder Beach-BoysWürdig­ungen nieder – hin und wieder von Krach zerschnitt­en, der in Erinnerung rief, dass der Kalender doch schon länger die Ära des Postpunk anzeigt. Über 30 Jahre gibt es Yo La Tengo schon. Die Band besteht aus dem Ehepaar Georgia Hubley und Ira Kaplan, den Bass spielt einen Kopf höher James McNew.

Die Accounts abdrehen

Ihr There’s A Riot Going On erinnert an die 1990er, als Ambient Music retrofutur­istisch eine Renaissanc­e erlebte. Plötzlich blubberten überall Lavalampen, die T-Shirts wurden eng, die Hosen unten weit. Dieses Album ver- weist in diese Zeit. Ähnliches hat das Trio schon damals gemacht, nur nicht so konsequent. Man setzt auf Ruhe, ist tranquillo. Da ist es nicht weit zu Tranquiliz­ern, pharmazeut­ischen Beruhigung­smitteln und Angstlöser­n.

Rein musikalisc­h verabreich­t ist das keine schlechte Strategie, um dieser Tage über die Runden zu kommen. Zur Sicherheit kann man zusätzlich die Social-MediaAccou­nts abdrehen, das ist nie falsch. Stattdesse­n rausgehen, den Kopf freimachen.

There’s A Riot Going On bietet sich dafür als Soundtrack an. Wobei: Muss man wirklich immer und überall Musik hören? Eigentlich nicht.

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Wenn das US-Trio Yo La Tengo dieser Tage auf die Straße geht, dann nur wegen eines Fotoshooti­ngs. Dass der Titel ihres neuen Albums das Gegenteil nahelegt, nennt man Subversion. Schlau!

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