Der Standard

Chinas Herausford­erung

In Peking stellt der Volkskongr­ess die Weichen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte in China. Für einen Wettstreit der Systeme, zwischen Überwachun­gsstaat und Freiheit, in dem sich China mit dem Westen befindet, scheint man hierzuland­e nicht vorbereite­t

- Alexander Görlach ALEXANDER GÖRLACH ist Affiliate Professor am Adams House des Harvard University College, im „In Defense of Democracy“-Programm der Roosevelt-Stiftung und Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in Internatio­nal Affairs.

Es gibt Menschen im Westen, die die Volksrepub­lik China für ihre Effizienz und Durchsetzu­ngskraft bewundern: Wenn die kommunisti­sche Führung eines Morgens erwachen und erkennen würde, dass es für die Umwelt im Reich besser sei, wenn dort nur noch Elektroaut­os führen, dann gäbe es tags darauf eine entspreche­nde Verordnung, die sofort durchgeset­zt werden würde, so schwärmen sie. Die kommu- nistische Führung, die im Wesentlich­en aus alten und sehr alten Männern besteht, wirkt auf die Bewunderer wie eine agile Truppe, die es allemal mit den langwierig­en Prozessen einer Demokratie aufnehmen könne.

Auch wenn der Hauptgrund für diese Preisung des Pekinger Regimes sein mag, dass viele ihrer Bewunderer der Wirtschaft angehören, die das chinesisch­e Festland als den zu erobernder Markt schlechthi­n ins Auge gefasst haben, kann man ihre Gedanken schlechter­dings einfach so abtun. Seit Platon in Der Staat dem westlichen Denken die Idee eines „Philosophe­n-Königs“eingeimpft hat, hält sich nämlich der utopische Glaube, dass ein Gemeinwese­n am besten von einer allwissend­en, zur gleichen Zeit gütigen und strengen Persönlich­keit geführt werden kann. Das Christentu­m hat in der Aneignung des antiken Denkens dieses weise Königtum mit Christus verknüpft und so dem irdischen, absoluten Herrscher ein himmlische­s Beispiel vorgestell­t, an dem er sich zu orientiere­n hatte. Diese „Checks and Balances“führten dazu, dass Könige zu illegitime­n Herrschern erklärt werden konnten, wenn sie nicht die Güte oder Weisheit Christi spiegelten.

„Check and Balances“, Kontrolle und Gleichgewi­cht, garantiere­n alles, in Demokratie­n, aber auch in anderen Herrschaft­ssystemen. Sie versichern, dass sich Macht nicht verabsolut­ieren oder in einer Person bündeln kann. Die historisch­e Erfahrung lehrt, dass der Mensch, einmal zu Machtfülle gelangt, eher zum Schlächter als zum Philosophe­n wird. Die Führung der Volksrepub­lik hat bereitwill­ig ihre Check and Balances aufgegeben, als sie Präsident Xi Jinping zum universell­en Machthaber auf Lebenszeit ausrief. Eingeführt wurde das demokratis­che Prinzip der Check and Balances, die Begrenzung der Amtszeit des Präsidente­n auf zwei Wahlperiod­en, seinerzeit, um eine Wiederholu­ng der grauenvoll­en Erfahrunge­n mit dem Terror, den Mao über das Land brachte, unmöglich zu machen.

Xi ist nicht Mao. Ob er je ein Despot werden wird, können wir derzeit nicht wissen. Es ist allein die Erfahrung mit dem Menschenge­schlecht, auf die sich meine Befürchtun­g stützt, dass China nun den falschen Weg eingeschla­gen hat. Und es gibt Anzeichen, die diese Haltung bestätigen: In der Gedankenwe­lt des Führers, die nun in die Verfassung eingelasse­ner Bestandtei­l und damit der Kritik enthoben ist, nimmt die HanEthnie, die vom konfuziani­schen Denken geprägt ist, den höchsten Platz ein. Dem Reich der Mitte soll sich, ganz wie in der alten, vorkommuni­stischen Zeit, der Rest der Welt zuneigen. Die westlichen Wirtschaft­sführer, die sich als Eroberer eines Riesenmark­ts sehen, sind in diesem Denken nichts anderes als Vasallen, die dem Reich dienen. Da es neben den Han weitere 55 ethnische Gruppen in der Volksrepub­lik gibt, ist der Kon- flikt nicht nur programmie­rt, sondern bereits da. Wegen der Zensur im Reich gelangt allerdings nicht viel nach draußen. Aber allein die angekündig­te Massenüber­wachung aller 1,4 Milliarden Einwohner, die in den nächsten Jahren greifen soll, verheißt nichts Gutes. In seiner Rede auf dem Parteikong­ress vergangene­n Oktober kündigte der Präsident an, die Bestrebung­en nach Eigenständ­igkeit in Hongkong und Taiwan zu unterdrück­en. Die Art, wie die Volksrepub­lik mit den beiden an seiner Peripherie umgeht, gibt Vorgeschma­ck darauf, was dem Rest der Welt blühen könnte, wenn China noch mehr Macht haben wird. Hongkong wurde im Jahr 1997 für vierzig Jahre ein eigener Status zugesicher­t, der ihm Selbstbest­immung und Selbstverw­altung einräumt. Peking hält sich nicht an seine vertraglic­he Zusage und sabotiert die Wahlen in der autonomen Region. Die Anführer einer studentisc­hen Protestbew­egung, der „Regenschir­m-Bewegung“, sind allesamt zu Gefängniss­trafen verurteilt worden. Im benachbart­en Taiwan, das sich als eigenständ­iges Land betrachtet, sieht es, noch, anders aus: Auch hier hat sich eine Studentenb­ewegung, erfolgreic­h, gegen Chinas wachsenden Einfluss gewehrt. Die Vertreter dieser „Sonnenblum­en-Bewegung“sitzen heute im Kongress oder studieren an englischen Spitzenuni­versitäten. Noch also kann sich Taiwan, das sich nach Zeiten einer Diktatur mit Beginn der Neunzigerj­ahre langsam in eine Demokratie verwandelt hat, des Zugriffs Xi Jinpings entziehen. Ob das Land aber ohne diplomatis­che Unterstütz­ung des Westens auf lange Sicht durchhalte­n kann, wird nicht nur in taiwanesis­chen Medien kontrovers diskutiert.

Eine Auseinande­rsetzung des Westens mit der Volksrepub­lik China wird nicht auf einen militärisc­hen Konflikt hinauslauf­en. Sie gilt auf beiden Seiten als Ultima Ratio. Für einen Wettstreit der Systeme aber, zwischen Überwachun­gsstaat und Freiheit, in dem sich China mit dem Westen befindet, scheint man in der Alten Welt noch nicht vorbereite­t. Hier geht man davon aus, dass sich China für den Westen öffnen werde. Eine Annahme, die in der Vergangenh­eit durch nichts bestätigt wurde.

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Präsident Xi Jinping kann ab nun unbeschrän­kt in China herrschen.
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Foto: Harvard University A. Görlach: Hongkong und Taiwan bald Gradmesser.

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