„Die Situation erscheint eher chaotisch“
Das Protokoll der Razzia zeigt, dass die Hausdurchsuchung beim Verfassungsschutz nicht nach Plan gelaufen ist. Die Beschuldigten wissen indes noch immer nicht, was ihnen im Detail vorgeworfen wird.
Die umstrittenen Hausdurchsuchungen im Büro des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sowie Privatwohnungen von verdächtigen Mitarbeitern dürften nicht so reibungslos wie geplant funktioniert haben. Im Protokoll der Hausdurchsuchung, das STANDARD und Profil vorliegt, ist an mehreren Stellen von einer „chaotischen Situation“die Rede. Offenbar hatte die Staatsanwaltschaft durch Zeugenaussagen oder jene 39 Seiten an anonymen Anzeigen zum Teil falsche Informationen erhalten.
So sollte der Inhalt eines Safes an einer privaten Wohnadresse mitgenommen werden. Allerdings „konnte am Wohnort kein Safe vorgefunden werden“, wie es in dem Protokoll heißt. Weiters beschreibe der Staatsanwalt „die Situation vor Ort als chaotisch, es gäbe sehr viele Dokumente“.
BVT forderte „Versiegelung“
Die Hausdurchsuchung begann um neun Uhr des 28. Februar. Die ersten angetroffenen Beschuldigten hätten auf die Vorwürfe „sehr emotional reagiert“und diese bestritten. Dann beginnen die Sicherstellungen. Im Büro der Leiterin des Referats für Extremismus (einer Zeugin) werden mehrere Datenträger und Dokumente si- chergestellt. Auch das Auto eines Beschuldigten wird durchsucht. Um 12.40 Uhr „erscheint“eine Vertreterin der Rechtsabteilung des Verfassungsschutzes.
Sie fordert, dass sichergestellte Datenträger „versiegelt“werden, weil sich „klassifizierte“Dokumente darunter befinden könnten (also ganz geheime), „die das BVT keinesfalls weitergeben dürfe“, wie im Protokoll festgehalten wird.
Der Wunsch werde „zur Kenntnis genommen“, allerdings werde ihm nicht entsprochen, da die BVT-Rechtsabteilungsmitarbeiterin kein Verschwiegenheitsrecht hat, wie es etwa Anwälten zusteht.
Um 13.55 Uhr taucht BVT-Chef Peter Gridling auf. Er gibt an, für eine Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Außerdem will er wissen, was ihm vorgeworfen wird. Ihm wird als Antwort lediglich die Hausdurchsuchungsanordnung für das Büro der Leiterin des Extremismusreferats ausgehändigt.
Wenig später wird die Staatsanwältin in ein Büro im BVT gerufen, in dem eine „Unzahl von Festplatten“aufgereiht ist. „Die Situation erscheint eher chaotisch“, protokolliert die Staatsanwältin.
Nur vier Festplatten lassen sich klar zuordnen, der Rest wird offenbar mitgenommen. Laut Protokoll wird sogar in einer durchsuchten Privatwohnung der Laptop der Ehefrau eines Beschuldigten kopiert. Um 16.40 Uhr begleitet die Staatsanwältin dann den ersten Abtransport von Daten aus dem BVT in die Büros der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Danach macht sie einen Hausbesuch: Sie fährt zu jenem Richter nach Hause, der am Abend zuvor, um 22.30 Uhr, die Hausdurchsuchung mündlich genehmigt hatte. Nun holt sie sich die schriftlichen Bestätigungen von ihm ab.
Die Staatsanwältin lässt sich dann wieder zum BVT führen, um 18.40 Uhr geht es bei einem weiteren Datentransport zurück zur WKStA; dann erfolgt eine Besprechung der Hausdurchsuchung. Gegen 21 Uhr werden dort „die letzten sichergestellten Gegenstände“im Tresorraum eingelagert.
Zweifel an „Fernlöschung“
Der Argumentation von Justizminister Josef Moser, dass die spontane Razzia wegen der Gefahr einer Fernlöschung von Daten nötig war, widersprechen Insider aus dem BVT. So kann der Fernzugriff für alle Mitarbeiter oder auch nur bestimmte Personen – etwa Beschuldigte – „mit einem Mausklick“gesperrt werden.
Auch die privaten Hausdurch- suchungen ergeben im Zusammenhang mit „Fernlöschungen“wenig Sinn. „Ein Akt ist nicht wie ein Word-Dokument, das man einfach und endgültig entfernen kann“, erklärt ein mit der Datenbank des BVT vertrauter Beamter.
Außerdem würden sämtliche Zugriffe, also auch Löschungen, streng protokolliert werden. Mehrere Anfragen des STANDARD beim Innenministerium dazu blieben seit Donnerstag unbeantwortet.
Auch an der Substanz der Vorwürfe gegen BVT-Mitarbeiter gibt es Zweifel. Einem der Beschuldigten wird laut Recherchen von STANDARD und Profil etwa vorgeworfen, einer „noch auszuforschenden Person“durch die Kopie von Daten vor Ablauf ihrer Löschfrist geschadet zu haben. Das soll ein Vorgesetzter angeordnet haben. Auch in der Anordnung der Hausdurchsuchung finden sich nur vage Hinweise auf die konkreten Vorwürfe.
Wesentliche Punkte sind offen, etwa die Zeiträume, in denen die Taten begangen worden sein sollen. Da ist etwa bei der vorgeworfenen Kopie von zu löschenden Daten von einem „noch festzustellenden Zeitpunkt zwischen Anfang 2014 und September 2015“die Rede, an dem „noch auszuforschenden Beamten des BVT“ein entsprechender Auftrag erteilt worden sei. Bei der Causa Weitergabe von nordkoreanischen Pässen wird untersucht, ob sich BVTMitarbeiter „rechtswidrig“Musterpässe von der Oesterreichischen Staatsdruckerei besorgt haben. Dazu sollen jene anonymen Zeugen ausgesagt haben, deren Befragung die spontane Razzia ausgelöst hat.
Sie gaben offenbar an, dass sich Pässe im Stahlschrank eines Beschuldigten befänden. In welchem, konnten die Zeugen nicht sagen. Da zwei Beschuldigte „eng zusammenarbeiten“, könnten sich die Pässe laut Zeugen in Schränken des einen oder des anderen befinden. Die Beschuldigten gaben die Reisepässe bei der Razzia gleich selbst heraus.
Spitzenbeamte suspendiert
Ermittelt wird gegen BVT-Chef Peter Gridling, dessen Ex-Vize Wolfgang Z. und drei weitere Beamte, darunter den IT-Chef des BVT, der seit 22 Jahren bei der Polizei tätig ist.
Er lieferte einst entscheidende Hinweise, die zur Verurteilung von Neonazi Gottfried Küssel im Konex mit der Webseite alpen-donau.info (Adi) führten. Auch an den Ermittlungen gegen den Terroristen Mohammed M. war der BVT-Beamte beteiligt. Auch er ist nun suspendiert.