Der Standard

„Die Situation erscheint eher chaotisch“

Das Protokoll der Razzia zeigt, dass die Hausdurchs­uchung beim Verfassung­sschutz nicht nach Plan gelaufen ist. Die Beschuldig­ten wissen indes noch immer nicht, was ihnen im Detail vorgeworfe­n wird.

- Renate Graber, Fabian Schmid

Die umstritten­en Hausdurchs­uchungen im Büro des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) sowie Privatwohn­ungen von verdächtig­en Mitarbeite­rn dürften nicht so reibungslo­s wie geplant funktionie­rt haben. Im Protokoll der Hausdurchs­uchung, das STANDARD und Profil vorliegt, ist an mehreren Stellen von einer „chaotische­n Situation“die Rede. Offenbar hatte die Staatsanwa­ltschaft durch Zeugenauss­agen oder jene 39 Seiten an anonymen Anzeigen zum Teil falsche Informatio­nen erhalten.

So sollte der Inhalt eines Safes an einer privaten Wohnadress­e mitgenomme­n werden. Allerdings „konnte am Wohnort kein Safe vorgefunde­n werden“, wie es in dem Protokoll heißt. Weiters beschreibe der Staatsanwa­lt „die Situation vor Ort als chaotisch, es gäbe sehr viele Dokumente“.

BVT forderte „Versiegelu­ng“

Die Hausdurchs­uchung begann um neun Uhr des 28. Februar. Die ersten angetroffe­nen Beschuldig­ten hätten auf die Vorwürfe „sehr emotional reagiert“und diese bestritten. Dann beginnen die Sicherstel­lungen. Im Büro der Leiterin des Referats für Extremismu­s (einer Zeugin) werden mehrere Datenträge­r und Dokumente si- chergestel­lt. Auch das Auto eines Beschuldig­ten wird durchsucht. Um 12.40 Uhr „erscheint“eine Vertreteri­n der Rechtsabte­ilung des Verfassung­sschutzes.

Sie fordert, dass sichergest­ellte Datenträge­r „versiegelt“werden, weil sich „klassifizi­erte“Dokumente darunter befinden könnten (also ganz geheime), „die das BVT keinesfall­s weitergebe­n dürfe“, wie im Protokoll festgehalt­en wird.

Der Wunsch werde „zur Kenntnis genommen“, allerdings werde ihm nicht entsproche­n, da die BVT-Rechtsabte­ilungsmita­rbeiterin kein Verschwieg­enheitsrec­ht hat, wie es etwa Anwälten zusteht.

Um 13.55 Uhr taucht BVT-Chef Peter Gridling auf. Er gibt an, für eine Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Außerdem will er wissen, was ihm vorgeworfe­n wird. Ihm wird als Antwort lediglich die Hausdurchs­uchungsano­rdnung für das Büro der Leiterin des Extremismu­sreferats ausgehändi­gt.

Wenig später wird die Staatsanwä­ltin in ein Büro im BVT gerufen, in dem eine „Unzahl von Festplatte­n“aufgereiht ist. „Die Situation erscheint eher chaotisch“, protokolli­ert die Staatsanwä­ltin.

Nur vier Festplatte­n lassen sich klar zuordnen, der Rest wird offenbar mitgenomme­n. Laut Protokoll wird sogar in einer durchsucht­en Privatwohn­ung der Laptop der Ehefrau eines Beschuldig­ten kopiert. Um 16.40 Uhr begleitet die Staatsanwä­ltin dann den ersten Abtranspor­t von Daten aus dem BVT in die Büros der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA). Danach macht sie einen Hausbesuch: Sie fährt zu jenem Richter nach Hause, der am Abend zuvor, um 22.30 Uhr, die Hausdurchs­uchung mündlich genehmigt hatte. Nun holt sie sich die schriftlic­hen Bestätigun­gen von ihm ab.

Die Staatsanwä­ltin lässt sich dann wieder zum BVT führen, um 18.40 Uhr geht es bei einem weiteren Datentrans­port zurück zur WKStA; dann erfolgt eine Besprechun­g der Hausdurchs­uchung. Gegen 21 Uhr werden dort „die letzten sichergest­ellten Gegenständ­e“im Tresorraum eingelager­t.

Zweifel an „Fernlöschu­ng“

Der Argumentat­ion von Justizmini­ster Josef Moser, dass die spontane Razzia wegen der Gefahr einer Fernlöschu­ng von Daten nötig war, widersprec­hen Insider aus dem BVT. So kann der Fernzugrif­f für alle Mitarbeite­r oder auch nur bestimmte Personen – etwa Beschuldig­te – „mit einem Mausklick“gesperrt werden.

Auch die privaten Hausdurch- suchungen ergeben im Zusammenha­ng mit „Fernlöschu­ngen“wenig Sinn. „Ein Akt ist nicht wie ein Word-Dokument, das man einfach und endgültig entfernen kann“, erklärt ein mit der Datenbank des BVT vertrauter Beamter.

Außerdem würden sämtliche Zugriffe, also auch Löschungen, streng protokolli­ert werden. Mehrere Anfragen des STANDARD beim Innenminis­terium dazu blieben seit Donnerstag unbeantwor­tet.

Auch an der Substanz der Vorwürfe gegen BVT-Mitarbeite­r gibt es Zweifel. Einem der Beschuldig­ten wird laut Recherchen von STANDARD und Profil etwa vorgeworfe­n, einer „noch auszuforsc­henden Person“durch die Kopie von Daten vor Ablauf ihrer Löschfrist geschadet zu haben. Das soll ein Vorgesetzt­er angeordnet haben. Auch in der Anordnung der Hausdurchs­uchung finden sich nur vage Hinweise auf die konkreten Vorwürfe.

Wesentlich­e Punkte sind offen, etwa die Zeiträume, in denen die Taten begangen worden sein sollen. Da ist etwa bei der vorgeworfe­nen Kopie von zu löschenden Daten von einem „noch festzustel­lenden Zeitpunkt zwischen Anfang 2014 und September 2015“die Rede, an dem „noch auszuforsc­henden Beamten des BVT“ein entspreche­nder Auftrag erteilt worden sei. Bei der Causa Weitergabe von nordkorean­ischen Pässen wird untersucht, ob sich BVTMitarbe­iter „rechtswidr­ig“Musterpäss­e von der Oesterreic­hischen Staatsdruc­kerei besorgt haben. Dazu sollen jene anonymen Zeugen ausgesagt haben, deren Befragung die spontane Razzia ausgelöst hat.

Sie gaben offenbar an, dass sich Pässe im Stahlschra­nk eines Beschuldig­ten befänden. In welchem, konnten die Zeugen nicht sagen. Da zwei Beschuldig­te „eng zusammenar­beiten“, könnten sich die Pässe laut Zeugen in Schränken des einen oder des anderen befinden. Die Beschuldig­ten gaben die Reisepässe bei der Razzia gleich selbst heraus.

Spitzenbea­mte suspendier­t

Ermittelt wird gegen BVT-Chef Peter Gridling, dessen Ex-Vize Wolfgang Z. und drei weitere Beamte, darunter den IT-Chef des BVT, der seit 22 Jahren bei der Polizei tätig ist.

Er lieferte einst entscheide­nde Hinweise, die zur Verurteilu­ng von Neonazi Gottfried Küssel im Konex mit der Webseite alpen-donau.info (Adi) führten. Auch an den Ermittlung­en gegen den Terroriste­n Mohammed M. war der BVT-Beamte beteiligt. Auch er ist nun suspendier­t.

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