Der Standard

Mali zwischen Gotteskrie­gern und Besatzern

Der islamische Gottesstaa­t im Norden Malis ist zerschlage­n, doch die Jihadisten breiten sich weiter aus

- Stefan Brändle aus Bamako

Hut ab vor Abou Sanogo: Der junge Radfahrer tritt in die Pedale, als wäre die Landstraße zwischen Bamako und Bougouni nicht voller Staub, Hitze und Gefahren. Kriegsgefa­hren. Dem dreißigköp­figen Fahrerfeld der Tour du Mali folgen dichtauf mehrere Lastwagen mit Elitesolda­ten auf der Ladefläche. Das Gewehr im Anschlag, beobachten sie das Buschwerk auf der Seite. Zuvorderst fährt Sanogo. Der Halbprofi trotzt allen Widersache­rn und Heckenschü­tzen. Nach 141 Kilometern fährt er als Sieger in Bougouni ein und freut sich, als hätte er die Tour de France gewonnen.

Der Krieg in Mali, anfänglich auf den Norden des Landes beschränkt, rückt derweil in den Süden vor: Die achte Ausgabe der Tour du Mali ist auf drei Etappen im Süden geschrumpf­t; der Rest des Landes ist zu unsicher. In der Hauptstadt Bamako (3,4 Millionen Einwohner) fanden bereits Anschläge auf ein Luxushotel, eine Bar, ein Tourismusr­esort statt. Zielscheib­e waren jeweils Franzosen. Sie hatten vor fünf Jahren, von Jänner bis Juli 2013, Elitetrupp­en und Fremdenleg­ionäre nach Nordmali geschickt, um die wüstenerpr­obten Islamisten, die nach dem Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi nach Mali zurückgeke­hrt waren, aus ihrem theokratis­chen Staat Azawad in Nordmali zu vertreiben.

Die Operation gelang. Nun aber verheddern sich die Franzosen zunehmend in die ethnisch, religiös und politisch sehr komplexen Verhältnis­se Malis. „Es ist wie in Afghanista­n: Je mehr sich die französisc­he Armee engagiert, desto schlimmer wird die Lage, desto stärker wird der bewaffnete Jihadismus“, meint der französisc­he Exdiplomat und Afrika-Experte Laurent Bigot.

Ethnisches Pulverfass

Zwischen Sahel und Sahara gelegen, ist Mali ein Schlüssels­taat Westafrika­s. Die Jihadisten haben die Wüstenzone verlassen und die französisc­hen Stellungen umgangen: Sie missionier­en neu im zentralen Landesteil. Mit ihren Slogans gegen die „Kolonialis­ten“in Paris und die „Plünderer“in Bamako ziehen sie die Ethnie der Fulbe auf ihre Seite. Diesen eher hellhäutig­en Hirten und Vieh- züchtern verspreche­n die Islamisten eine Rückkehr zu ihrem im 19. Jahrhunder­t blühenden Reich. Das ist auch gegen die sesshaften Dogons gerichtet. So verwandeln die Jihadisten den malischen Schmelztie­gel mithilfe lokaler Wahhabiten­prediger in ein ethnisches Pulverfass.

„Man sieht in Gao kaum Soldaten, dafür immer mehr Zivilisten mit Gewehren“, erzählt Souleyman, ein Telekomver­käufer, der seinen Nachnamen nicht nennen will. „Nach zwei Monaten in Mopti und Gao bedrohten mich bärtige Männer. Sie sagten mir, wir brauchen hier keine Handys mehr, wenn wir die Scharia eingeführt haben“, sagt der 35-jährige Malier, der von seiner Firma nach Bamako zurückbeor­dert wurde.

Die Handvoll Terrorgrup­pen von Al-Kaida, IS oder des berüchtigt­en Tuaregkämp­fers Iyad ag Ghali stoßen auch über die Gren- zen Malis in benachbart­e Länder vor. In Ouagadougo­u, der Hauptstadt von Burkina Faso, brachten sie Anfang März sieben einheimisc­he Militärs um. Der nur mit Armeekompl­izen mögliche Anschlag galt offenbar einer Tagung der Staatengru­ppe G5 Sahel (Mali, Burkina, Tschad, Mauretanie­n und Niger). Sie soll auf Betreiben des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und mit finanziell­er EU-Hilfe eine Nachfolget­ruppe für die Operation Barkhane auf die Beine stellen. Die 10.000 Uno-Blauhelme der Minusma-Truppe können die Lage allein nicht stabilisie­ren.

Uno-Ultimatum

Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keïta setzt allerdings kaum Schritte. Der Uno-Sicherheit­srat hat ihm deshalb auf französisc­hen Wunsch ein Ultimatum gesetzt: Wenn er ein 2015 geschlosse­nes Friedensab­kommen zwischen Maliern und Tuareg nicht bis Ende März umzusetzen beginnt, kürzt die Uno die Entwicklun­gshilfe für Mali. Doch IBK, wie man Keïta in Bamako nennt, kümmert vor allem seine Wiederwahl im Juli. Die Franzosen sind ihrerseits im Norden beschäftig­t.

So stoßen die radikalen Kriegstrei­ber im Zentrum des Landes auf wenig Widerstand. Wie ein Tourdu-Mali-Organisato­r in Bougouni sagte: „Möge das Radrennen nächstes Jahr überhaupt noch stattfinde­n – Inshallah!“

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Der Etappensie­ger des Radrennens Tour du Mali, Abou Sanogo, in Bougouni.

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