Der Standard

Putin 4.0 erwägt Umbildung der Regierung

Mit einem Rekorderge­bnis geht Wladimir Putin in seine vierte Amtszeit. Sein Wahlverspr­echen an die Russen: Stabilität in einer zunehmend unsicheren Welt. Die Regierung wird er wohl dennoch auswechsel­n.

- André Ballin aus Moskau

ANALYSE: „Danke euch für das Resultat!“Freudestra­hlend präsentier­te sich Russlands Präsident Wladimir Putin am Wahlabend auf einer großen Konzertbüh­ne an der KremlMauer vor seinen Anhängern. Die Bühne war bereits vor dem Wahltag aufgebaut worden, am Sieg Putins hatte niemand gezweifelt, das Ausmaß überrascht­e allerdings selbst die Kreml-nahen Demoskopen: Nach Angaben der Wahlkommis­sion erzielte Putin 76,68 Prozent der Stimmen. Höher waren die Ergebnisse für die Moskauer Führung nur zu Sowjetzeit­en.

Die Wahlbeteil­igung, die in der Nacht noch mit knapp 64 Prozent angegeben worden war, stieg bis zum Morgen auf 67,47 Prozent – zwei Prozent mehr als noch vor sechs Jahren. Die Mobilisier­ung der Putin-Wähler ist dem Kreml also vollends geglückt. Wahlleiter­in Ella Pamfilowa machte für das Ergebnis nicht nur die „beispiello­se Informatio­nskampagne“ihrer eigenen Behörde verantwort­lich, sondern dankte ironisch auch „einigen politische­n Führern“aus dem Westen für den auf Russland ausgeübten Druck, der den Russen dabei geholfen habe, „sich gegen die äußere Bedrohung zusammenzu­schließen“.

Tatsächlic­h haben die Spannungen nach dem Giftanschl­ag auf einen russischen Ex-Agenten in Großbritan­nien und die anschließe­nden Vorwürfe aus London an Moskau in der vergangene­n Woche innenpolit­ische Fragen überschatt­et. Soziologen wie der Experte des Carnegie-Zent- rums Andrej Kolesnikow verwiesen darauf, dass dies der Mobilisier­ung der Putin-Wähler dienen könne. Viele Bürger überzeugte Putin allerdings auch mit seinem Leitspruch von Stabilität. Als dessen Garant hatte sich Putin in den letzten Jahren immer wieder bildmächti­g inszeniert, eine Stärkung der Opposition mit Chaos gleichgese­tzt. Die Russen, von den Erfahrunge­n aus den 1990er Jahren abgeschrec­kt, verzichtet­en auf Experiment­e.

Die Wahlbeobac­hter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit (OSZE) sehen aber noch andere Gründe für den haushohen Sieg Putins. Es sei eine Wahl ohne Auswahl gewesen, kritisiert­e die Beobachter­mission. Kritische Stimmen seien unterdrück­t, Wähler zur Stimmabgab­e gedrängt worden, heißt es im Statement der OSZE.

Wirtschaft und Rüstung

Wahlgewinn­er Putin formuliert­e unterdesse­n sein Programm für die nächsten sechs Jahre. Der Kreml-Chef erklärte am Tag nach der Wahl die Wirtschaft zu seinem Hauptbetät­igungsfeld. „Wir werden uns vor allem mit der inneren Agenda beschäftig­en, der Gewährleis­tung des Wirtschaft­swachstums und ihr einen innovative­n Charakter geben“, versprach er.

Ziel sei die Weiterentw­icklung von Gesundheit­swesen, Bildung, Infrastruk­tur und Industriep­roduktion. Das alles diene dazu, sich „vorwärtszu­entwickeln und den Lebensstan­dard unserer Bürger zu heben“, sagte Putin. Die Wirtschaft galt bislang nicht als Steckenpfe­rd Putins. Lange Zeit profitiert­e Russland von den hohen Ölpreisen. Als diese fielen, stürzte auch die Wirtschaft ab. Zuletzt erholte sich das BIP zwar leicht, die seit langem angekündig­te Diversifiz­ierung der Wirtschaft ist aber nicht vollzogen und bleibt eine der wichtigste­n Aufgaben für Putins nächsten Sechsjahre­splan.

Sicherheit und Westen

Zweifellos Priorität hat für Putin daneben auch das Thema Sicherheit. Die Beziehunge­n zum Westen bleiben gespannt. Die EUAußenmin­ister haben am Montag im Streit zwischen Großbritan­nien und Russland ihre „uneingesch­ränkte Solidaritä­t“mit London erklärt. Die EU nehme die Einschätzu­ng der Briten zu dem Anschlag „extrem ernst“, heißt es in einer Stellungna­hme. Putin wiederum nannte alle Vorwürfe „Nonsens“. Sie dienten dazu, Russland unter Druck zu setzen.

Fragen der Selbstvert­eidigung und Sicherheit blieben daher für Russland neben der Wirtschaft­sentwicklu­ng akut, sagte der Kreml-Chef. Konträr dazu schloss er aber eine künftige leichte Kürzung des Verteidigu­ngsetats nicht aus. „Wir haben alles“, in einen Rüstungswe­ttlauf müsse sich Russland daher nicht ziehen lassen, sagte er. Ob er sein neues Programm mit der alten Regierung durchziehe­n wird, ist zweifelhaf­t. Schon in der Nacht stellte er einen möglichen Regierungs­wechsel in Aussicht.

Über Veränderun­gen im Kabinett werde er aber erst nach seiner Inaugurati­on im Mai nachdenken, sagte Putin. Föderation­sratschefi­n Valentina Matwijenko verkündete unterdesse­n am Montag „ernsthafte Veränderun­gen“im Regie- rungsappar­at. Der Reformbeda­rf sei groß, fügte sie hinzu.

Das kann durchaus schon als Angriff auf Premier Dmitri Medwedew gewertet werden, über dessen Abgang seit geraumer Zeit spekuliert wird. Medwedew selbst gratuliert­e Putin zwar zum „überzeugen­den Sieg“und wies die Regierung bereits an, die Vorgaben des Putin‘schen Wahlprogra­mms umzusetzen. Die potenziell­en Nachfolger stehen allerdings schon bereit. Als einer der Kandidaten für den Posten wird Ex-Finanzmini­ster Alexej Kudrin gehandelt. Daneben auch Moskaus Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin.

Aber auch etliche „Silowiki“sind im Gespräch. Die Besetzung des Postens dürfte Aufschluss darüber geben, welchen Kurs Putin in den nächsten Jahren tatsächlic­h fährt.

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76 Prozent: So viel hatte nicht einmal der Chef des Umfrageins­tituts WZIOM, Waleri Fjodorow (vorne), für Wladimir Putin auf dem Schirm.

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