Der Standard

Ein großer Schritt zur eigenen Identität

Intersexua­lität: Verfassung­sgerichtsh­of prüft Recht auf drittes Geschlecht

- Markus Rohrhofer

Wien/Linz – Vor dem Landesverw­altungsger­icht Oberösterr­eich ist Alex Jürgen im Oktober 2016 mit seinem Antrag auf Eintrag eines dritten Geschlecht­s im Personenst­andsregist­er noch abgeblitzt. Die Gesamtrech­tsordnung gehe davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist, lautete damals die Begründung. Mit seiner Beschwerde beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) war Jürgen jetzt deutlich erfolgreic­her. Konkret äußerte der VfGH in seinem Prüfungsbe­schluss vom 14. März Bedenken, dass es gegen den grundrecht­lichen Schutz der Privatsphä­re (Art. 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion) verstoßen könnte, wenn es nur die Möglichkei­t gibt, das Geschlecht weiblich oder männlich anzugeben. Eine Entscheidu­ng des Gerichtsho­fs über diese Frage sei „in einer der nächsten Sessionen“zu erwarten, hieß es am Montag seitens des VfGH.

Es ist dies ein Etappensie­g im Ringen um die eigene Identität. Doch Alex Jürgen hat Übung darin. Der Kampf dauert bereits sein halbes Leben an – zuerst im Stillen, ab 2004 dank Outing öffentlich. Alex Jürgen fühlt sich weder als Mann noch als Frau und ist nach medizinisc­hen Normvorste­llungen weder männlich noch weiblich. Seit zehn Jahren lebt der Steyrer als intergesch­lechtliche Person. Das Geburtenre­gister weist „ihn“als Mann aus, andere Schriftstü­cke als Frau. Primär liegt der Grund für den Gang vor den Kadi in der Weige- rung der Beamten am Standesamt Steyr, dem Antrag Jürgens, im Personenst­andsregist­er (PStG) das Geschlecht neutral zu formuliere­n, Folge zu leisten.

Blick auf soziale Realität

Das Personenst­andsgesetz sieht vor, dass das Geschlecht bei der Eintragung von Geburt, Eheschließ­ung, Begründung einer eingetrage­nen Partnersch­aft und Tod in das Zentrale Personenst­andsregist­er einzutrage­n ist. Zwar werden die Kategorien für diese Eintragung nicht vorgegeben. Der VfGH geht in seinem Prüfungsbe­schluss jedoch davon aus, „dass die Regelungen des PStG 2013 vor dem Hintergrun­d der in der Rechtsordn­ung (auch) sonst vorherrsch­enden Kategorisi­erung des ,Geschlecht­s‘ in ,weiblich‘ und ,männlich‘ und einer sozialen Realität zu sehen sind, die Men- schen (unter anderem) auch wesentlich mit ihrem Geschlecht wahrnimmt und dabei (immer noch) überwiegen­d von einer binären Zuordnung in Menschen männlichen oder weiblichen Geschlecht­s ausgehen dürfte“.

Und der VfGH verweist auch darauf, dass die Geschlecht­smerkmale eines Menschen durch eine „atypische Entwicklun­g des chromosoma­len, anatomisch­en oder hormonelle­n Geschlecht­s“gekennzeic­hnet sein können, „sodass die Geschlecht­sentwicklu­ng mancher Personen Varianten aufweist, die die Einordnung als männlich oder weiblich nicht eindeutig zulassen“. Solche Menschen dürften eine besonders verwundbar­e Gruppe darstellen.

Bei der Bezirkshau­ptmannscha­ft Steyr verzichtet­e man bislang auf eine erhöhte Sensibilit­ät. Im LVwG-Verfahren führte ein Behördenve­rtreter aus, dass das Computerpr­ogramm des Innenminis­teriums nur männlich oder weiblich vorsehe: „Kreuzt man nichts an, kann der Akt nicht abgeschlos­sen werden.“

Bei einem Treffen vor gut zwei Jahren stellte Alex Jürgen im Gespräch mit dem Standard klar, dass es nicht nur um seinen Fall gehe: „Es muss endlich Schluss damit sein, dass man versucht, Kinder operativ an gesellscha­ftlichen Rollenbild­er anzupassen. In der Tierwelt hat man auch keine Probleme damit. Oder jagt jemand einer Schnecke hinterher und versucht ihr was abzuschnei­den? Und bei Fischen wird applaudier­t, wenn sie spontan das Geschlecht ändern.“

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Foto: Andreas Krenn Alex Jürgen möchte mit „Herm“angesproch­en werden.

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