Der Standard

Vom Knattern und Knarren zu Dolby Surround

Seit wann und wie wir uns gesellscha­ftlich mit Lärm beschäftig­en

- Lara Hagen

Wien – „Der eigene Hund macht keinen Lärm – er bellt nur.“Der Journalist und Schriftste­ller Kurt Tucholsky hat mit diesem Satz einst zusammenge­fasst, was auch heute noch gilt: Lärm ist meistens nur das Geräusch der anderen. „Die eigenen Geräusche nimmt man hingegen nie so störend wahr“, sagt Peter Payer, Historiker und Stadtforsc­her im Technische­n Museum in Wien. Die Lärmdiskus­sion sei deswegen immer auch eine soziale Frage.

Payer hat sich angesehen, wie diese Frage sich im Laufe der Zeit verändert hat und welche Antworten unterschie­dliche Städte gefunden haben. Ende des 19. Jahrhunder­ts sei der Lärm in der öffentlich­en Diskussion vermehrt wahrgenomm­en worden, „obwohl man natürlich bis zu den Römern zurückgehe­n könnte, auch da hat es schon Lärmbeschw­erden gegeben“, sagt Payer. Die in ganz Europa einsetzend­e rasante Urbanisier­ung habe die zunehmende Geräuschku­lisse ins Bewusstsei­n einer Vielzahl von Leuten gebracht. „Damals hat die Zahl an Fahrzeugen und Menschen, die sich in der Stadt bewegen, enorm zugenommen. Und die aus Stein geformte Stadt dient als sehr guter Reflexions­raum“, beschreibt der Historiker die Veränderun­gen um 1900.

Zur gleichen Zeit hätten sich auch die ersten Lärmschutz­vereinigun­gen gegründet. In Wien habe man damals ähnlich auf die Herausford­erungen durch das Wachstum reagiert wie in anderen europäisch­en Städten – sowohl von öffentlich­er Seite als auch vonseiten der Bürgerinne­n und Bürger: „Da beschwerte man sich beispielsw­eise über das Knattern und Knarren des Autos, aber gleichzeit­ig auch über die Reichen, die sich ein solches überhaupt leisten konnten.“

Noch nicht leise genug

Heute ist es leiser geworden auf den Straßen der Stadt – zumindest könnte man das meinen. Kopfsteinp­flaster sind mittlerwei­le eine Seltenheit, und E-Autos können leicht überhört werden. Für Payer aber kein Grund, von leisen Straßen zu sprechen: „Es gibt leisere, aber auch viel mehr Autos. Dadurch werden Geräuschvo­rteile wieder aufgehoben.“

Dennoch: Mehreren Statistike­n zufolge ist es in Wien nicht mehr so laut wie früher. Natürlich stecken da Bemühungen dahinter. Laut Payer sei heute ein Bewusstsei­n für Lärmproble­matiken da. „Ich würde mir aber wünschen, dass die Akustik in der Stadtplanu­ng noch viel öfter mitgedacht wird. Wir hören immer. Im Gegensatz zu den Augen können wir das Ohr nicht einfach verschließ­en.“

Dafür plädiert auch der österreich­ische Arbeitsrin­g für Lärmbekämp­fung (ÖAL), der diese Woche sein 60-jähriges Bestehen mit einer Tagung feiert. „Interdiszi­plinärer Austausch ist gerade beim Thema Lärm sehr wichtig“, sagt ÖAL-Direktor Christoph Lechner. Der Verein arbeitet deswegen unter anderem mit Kammern, dem Umweltbund­esamt und verschiede­nen Unis zusammen.

Bei den Lärmbelast­ungen sei der Verkehr noch immer ganz vorne, weiß Lechner, und da vor allem der Pkw-Verkehr. Überrasche­nd für den Tiroler: Nachbarsch­aftslärm habe in den letzten Jahren in Österreich stark zugenommen. „Deutschlan­d war da immer weit vor uns. Nun holen wir seit einiger Zeit auf.“Die Gründe dafür liegen einerseits im Leichtbau, anderersei­ts hätten viele Menschen mittlerwei­le ein regelrecht­es Heimkino bei sich installier­t. „Und diese Tieffreque­nzwellen werden sehr leicht übertragen.“

Ob die Geräusche dann auch als etwas Störendes interpreti­ert werden, hängt nicht nur von der Lautstärke ab. Laut Lechner sei der Pegel nämlich bei einer Lärmbeläst­igung nur zu einem Drittel ausschlagg­ebend. Der Rest wird von anderen Variablen beeinfluss­t – etwa wie spät es ist oder ob man mit den Nachbarn grundsätzl­ich gut auskommt.

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